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»Und liebt sie dich?«

»Das wirst du sie selber fragen müssen.«

»Das habe ich auch vor. Wo hast du sie heute früh getroffen? Bist du mit ihnen zusammen zur Kirche gegangen, oder seid ihr getrennt gekommen?«

»Zuerst hatte ich mit meinem Geschäftspartner zu tun, dann habe ich sie in ihrer Herberge gesucht. Sie waren schon unterwegs zur Kirche, und da bin ich ihnen nachgegangen.«

»Wann bist du hier angekommen?«

»Kurz bevor der Gottesdienst begann.«

»Und du bist geradenwegs hereingekommen und hast dich zu ihnen gesetzt?«

»Ja.«

»Na schön. Bitte Egeria, zu mir zu kommen.«

Recht niedergeschlagen stand Enodoc auf und ging hinüber zu dem Mädchen. Er sprach mit ihr, erhielt aber keine Antwort. Sachte schob er eine Hand unter ihren Arm, zog sie langsam hoch und geleitete sie zu Fidelma. Sie wehrte sich nicht, war aber deutlich benommen.

»Danke«, sagte Fidelma und reichte dem Mädchen die Hand. »Ich kann mir vorstellen, wie dir zumute ist; du hast einen schmerzlichen Verlust erlitten. Und doch muss ich dir ein paar Fragen stellen. Bitte, setz dich.« Sie schaute zu Enodoc hoch. »Du kannst uns jetzt allein lassen.«

Nur ungern kehrte der gallische Seemann in das Kirchenschiff zurück.

Das Mädchen hockte sich auf den Schemel und hielt den Kopf gesenkt.

»Du heißt Egeria, nicht wahr?«

Das Mädchen nickte.

»Ich heiße Fidelma und muss dir ein paar Fragen stellen«, wiederholte sie. »Wir müssen herausbekommen, wer die schreckliche Tat begangen hat.«

Mit tränenverschleierten Augen blickte das Mädchen zu Fidelma auf.

»Docco wird mir dadurch nicht wiedergegeben. Aber ich will dir antworten, so gut ich kann.«

»Du hast deinen Bruder sehr gern gehabt, nehme ich an?«

»Er war mein Ein und Alles. Wir beide waren Waisenkinder.«

»Und er hat dich immer beschützt?«

»Ich bin … war jünger als er, und er hat mich aufgezogen. Unsere Eltern wurden bei einem Raubzug der Franken getötet, und seitdem war er das Oberhaupt der Familie.«

»Weshalb seid ihr nach Rom gereist?«

»Es war eine Pilgerfahrt, die wir uns schon lange vorgenommen hatten.«

»Hast du erwartet, Enodoc hier zu begegnen?«

Das Mädchen schüttelte den Kopf.

»Liebst du Enodoc?«

Egeria schaute sie an, schwieg einige Augenblicke und schüttelte erneut langsam den Kopf.

»Enodoc ist aus unserem Dorf. Als Kinder waren wir gute Freunde. Als Freund gefiel er mir, aber mehr war da nicht. Dann ist er zur See gefahren, wurde Kapitän eines Handelsschiffs. Ich sehe ihn nur sehr selten. Doch wenn, dann meint er jedes Mal, ich gehöre zu ihm.«

»Er beteuert, dich zu lieben.«

»Ich weiß. Er hat es mir des Öftern gesagt.«

»Aber du liebst ihn nicht?«

»Nein.«

»Hast du ihm das auseinandergesetzt? Ihn deutlich darauf hingewiesen?«

»Mehrfach schon. Aber er ist ein sturer Kopf und redet sich ein, nur Docco sei gegen ihn. Docco sei derjenige, der meine Entschlüsse für mich fasst.«

»Du meinst also, er bildet sich ein, Docco sei das Hindernis, das eurer Heirat entgegensteht?«

Das Mädchen nickte, und dabei wurden ihre Augen größer. »Du denkst doch nicht etwa …?«

»Ich stelle nur Fragen, Egeria. Wann bist du Enodoc heute begegnet?«

»Als er zum Gottesdienst kam.«

»Da warst du und dein Bruder bereits in der Kirche, vermute ich?«

Sie bestätigte es nickend.

»Und ihr hattet wie immer in der ersten Reihe Platz genommen?«

»Ja.«

»Hat sich dein Bruder stets ganz vorn hingesetzt?«

Egeria schluchzte und wischte sich eine Träne ab. »Er wollte immer als Erster das Abendmahl empfangen und hat sich daher immer in die Nähe des Priesters gesetzt. Das hatte er sich zur Gewohnheit gemacht, auch zu Hause schon.«

»An welcher Stelle in der Messe hat sich Enodoc zu euch gesellt?«

»Wenige Augenblicke nach Beginn der Andacht. Ich hatte schon gehofft, er hätte sich mit der Situation abgefunden, aber dann kam er doch, atemlos und erregt, als wäre er in großer Eile. Fast glaubte ich, der Priester, Pater Cornelius, würde ihn rügen, denn er hielt im Staffelgebet inne, als sich Enodoc setzte.«

»Warum sollte er ihn rügen? Ich bin selber zu spät gekommen, und Pater Cornelius hat deshalb nicht die Messfeier unterbrochen.«

»Weil Enodoc von hinter dem Altar hereinkam, den Raum vor dem Priester überquerte und sich zu uns begab.«

Das verschlug Fidelma geradezu die Sprache. »Meinst du im Ernst, Enodoc hat die Kirche durch die Sakristei betreten?«

Egeria zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht, woher. Jedenfalls ist er durch die Tür da gekommen.« Sie wandte sich um und zeigte auf die Tür zur Sakristei.

Fidelma schwieg eine Weile. »Du kannst auf deinen Platz zurückgehen, Egeria. Bitte schick Enodoc zu mir her. Es wird nicht lange dauern.«

Enodoc gab sich aufgeräumt wie zuvor.

»Mit deinen Auskünften bist du sehr sparsam gewesen«, begann Fidelma das Gespräch.

Der junge Mann runzelte die Stirn. »In welcher Hinsicht?«

»Docco war nicht der Einzige, der deiner Heirat mit Egeria im Wege stand.«

»Wer denn sonst noch?«

»Egeria selbst.«

»Das hat sie dir erzählt?« Er wurde rot.

»Ja.«

»Das meint sie nicht im Ernst. Sie sagt das zwar, aber sie ist nur das Sprachrohr von Docco. Das wird sich jetzt ändern.«

»Glaubst du das wirklich?«

»Sie ist völlig durcheinander. Wenn sie zur Ruhe kommt, wird sie sich auf ihre wahren Gefühle besinnen.« Seine Stimme klang selbstsicher.

»Na, vielleicht. Du hast nicht erwähnt, dass du die ecclesia durch die Sakristei betreten hast.«

»Du hast mich nicht danach gefragt. Ist das so wichtig?«

»Weshalb hast du diesen ungewöhnlichen Weg gewählt?«

»Da steckt nichts Geheimnisvolles dahinter. Ich habe dir gesagt, dass ich morgens einen Kaufherrn aufgesucht hatte. Nachdem ich alles mit ihm besprochen hatte, bin ich in die Kirche geeilt. Ich war noch auf der anderen Seite des Bauwerks, da hörte ich schon die Glocke, die den Beginn der Messe einläutet. Um das ganze Gebäude herumzugehen hätte ziemlich lange gedauert, denn eine Mauer versperrt die Straße und zwingt zu einem gehörigen Umweg. Ich habe den Eingang zur Sakristei gesehen und bin da hinein.«

»Du bist zuvor nur ein einziges Mal in dieser Kirche gewesen. Du musst dich genau umgeschaut und ein gutes Gedächtnis haben.«

»Ein besonders gutes Gedächtnis braucht man eigentlich nicht, wenn man sich an etwas erinnert, was nur einen Tag zurückliegt.«

»Wer war in der Sakristei, als du hineinkamst?«

»Niemand.«

»Und was hast du dort gemacht?«

»Nichts weiter. Ich bin einfach durchgegangen, wollte ja nur in die Kirche.«

»Ist dir in der Sakristei der Kelch aufgefallen?«

Enodoc schüttelte den Kopf, riss aber die Augen auf, als er begriff, worauf die Frage abzielte. Er presste die Lippen zusammen, schwieg einen Moment, und Zornesröte stieg ihm ins gebräunte Gesicht, doch er beherrschte sich.

»Ich bin sicher, dass der Kelch bereits auf dem Altar stand, denn als ich hereinkam, sprach der Priester schon die ersten Gebete.«

Fidelma betrachtete ihn nachdenklich. »Du kannst auf deinen Platz gehen.«

Sie überlegte kurz, was sie bislang erfahren hatte, stand auf und ging hinüber zum Portal, an dem der junge custos Wache hielt. Der empfing sie mit argwöhnischem Blick.

»Wie heißt du?«, lautete ihre erste Frage.

»Terentius.«

»Besuchst du oft die Messe in dieser Kirche?«

»Ich wohne nicht weit von hier, und als Angehöriger der custodes ist es meine Aufgabe, in dieser Gegend darauf zu achten, dass die öffentliche Ordnung nicht gestört wird.«