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Das Mädchen schauderte.

»Nein!« Ihre Stimme klang sehr entschieden. Zu entschieden.

»Warum mochtest du Moenach nicht?«

Ainder hob die Augen zu Fidelma. Ihre Wangen waren hochrot. Dann senkte sie den Blick und formulierte ganz besonders sorgfältig: »Ich will dir die Wahrheit nicht verschweigen, Schwester. Am Tag, bevor Moenach umgebracht wurde, hat er mich angegriffen.«

Fidelma schrak zusammen.

»Er hat dich angegriffen?«

»Er hat mich vergewaltigt.«

Fidelma bemerkte, dass sie das Wort forcor benutzte, das eine brutale Vergewaltigung bezeichnete, einen gewaltsamen Überfall, der nach dem Gesetz von sleth unterschieden wurde, dem Begriff für alle anderen Formen sexueller Beziehungen mit einer Frau gegen deren Willen.

»Erkläre mir die Umstände, Ainder. Und lass dich warnen, dass dies eine sehr ernste Anschuldigung ist.«

Ainders Gesicht verhärtete sich.

»Für mich ist es auch eine ernste Sache, denn wer wird nun meinen Brautpreis zahlen?«

Den Brautpreis, der zwischen der Braut und ihrem Vormund, gewöhnlich ihrem Vater, aufgeteilt wurde, zahlte gewöhnlich der Ehemann. Dieser Preis war an die Jungfräulichkeit der Braut gebunden. Falls sie keine Jungfrau mehr war, waren die Folgen Erniedrigung und finanzieller Verlust.

»Nun gut, jetzt erzähle mir, was geschehen ist«, forderte Fidelma sie auf.

»Ich trug an jenem Tag einen Korb mit Wäsche zum Kloster hinauf. Dabei überraschte mich Moenach. Er hasste mich, weil er wusste, dass Nath mich liebt. Erst hat er mich beleidigt, dann zu Boden geschlagen und vergewaltigt. Danach … sagte er, niemand würde mir glauben, wenn ich davon erzählte, denn es sei in der Gemeinschaft wohlbekannt, dass ihm Äbte und Könige ihr Vertrauen schenkten.«

»Hat er dich wirklich überfallen?«, erkundigte sich Fidelma. »Dir ist doch der Unterschied zwischen forcor und sleth klar?«

»Moenach war stark. Ich konnte mich gegen ihn nicht wehren. Er hat mich tatsächlich überwältigt.«

»Und du hast Nath davon erzählt?«

Das Mädchen hielt einen Augenblick lang inne, musterte Fidelmas Gesicht unter den Augenlidern hervor und nickte dann schnell.

»Ah ja. Und Nath war natürlich wütend?«

»Ich habe ihn nie zuvor so zornig gesehen.«

»Wann war das? Wie lange vor dem Mord an Moenach?«

»Er hat Moenach nicht getötet.«

Fidelma lächelte dünn.

»Ich habe keine solche Anschuldigung ausgesprochen. Aber warum beharrst du so sehr darauf?«

»Er würde so etwas nicht tun. Es ist nicht Naths Art.«

»Es ist in der Natur der meisten Menschen, wenn sie nur das richtige Motiv haben. Also beantworte bitte meine Frage: Wie lange vor dem Mord an Moenach hast du Nath von dem Überfall erzählt?«

»Am gleichen Nachmittag, als Moenach getötet wurde. Kaum eine Stunde vorher.«

»Wann hast du von Moenachs Tod gehört?«, erkundigte sich Fidelma.

»Nun …« Das Mädchen verzog das Gesicht. »Das war, als Pater Allán und einige andere aus dem Kloster kamen, um Muirenn zu suchen. Pater Allán sagte, man hätte sie mit der Tatwaffe in der Hand erwischt.«

»Hast du danach Nath noch einmal gesehen?«

Ainder schien zu zögern, ehe sie antwortete. Also wiederholte Fidelma ihre Frage noch einmal mit großem Nachdruck.

»Am gleichen Abend«, erwiderte das Mädchen widerwillig. »Er kam zu mir und hatte große Angst. Er hatte die Nachricht gehört und fürchtete um seine Sicherheit.«

»Er muss doch gewusst haben, dass man Muirenn verdächtigte. Warum ist er also weggelaufen?«

»Weil er glaubte, man würde ihn beschuldigen. Es war allgemein bekannt, dass er Moenach nicht mochte. Und Nath glaubte, dass man ihn des Mordes bezichtigen würde, sobald jemand erfuhr, dass Moenach mich überfallen hatte.«

Fidelma schaute das Mädchen traurig an.

»Sicherlich. Sowohl Nath als auch Muirenn sind nun der Tat verdächtig. Deswegen möchte ich dich fragen, warum du mir die Geschichte so bereitwillig erzählt hast, Ainder, wenn doch jetzt die Sache für Nath so schlimm aussieht?«

Das Mädchen schaute sie verletzt an.

»Ich habe sie erzählt, weil es die Wahrheit ist. Bringt man uns nicht bei, dass die Wahrheit über allen anderen Dingen steht? Nath kann nicht für immer in seinem Versteck bleiben. Ich kann keinen Gesetzlosen heiraten, der sich ständig in Moor und Heide und finsteren Schlupflöchern verbergen muss. Ich habe Nath viele Male gedrängt, er solle sich stellen und darauf vertrauen, dass die Wahrheit sein Schild ist.«

Fidelma lehnte sich zurück und betrachtete das Mädchen nachdenklich.

»Dir ist klar, wie schlimm Naths Lage ist, wenn er nicht zurückkommt und sich von mir befragen lässt?«

»Ja. Ich glaube, dass er das machen sollte und dass die Wahrheit ihn befreien wird.«

»Wenn das so ist, verrätst du mir dann, wo sich Nath versteckt hält?«

Das Mädchen senkte die Augen. Lange Zeit sagte sie nichts. Dann seufzte sie, als hätte sie einen Entschluss gefasst.

»Darf ich Nath zu dir bringen?«

»Wie er zu mir gelangt, ist mir einerlei«, erwiderte Fidelma. »Solange er nur vor mir erscheint.«

»Dann bringe ich ihn in der Abenddämmerung zur Hütte von Muirenn.«

Fidelma erwartete nicht, dass Bruder Nath an diesem Abend wirklich kommen würde. Irgendwie traute sie Ainder nicht. Sie war bereits eine halbe Stunde in Muirenns Hütte, als sie Ainder leise rufen hörte.

Fidelma saß auf einem Stuhl neben der grauen Asche des erloschenen Torffeuers, da erschien Ainders Gestalt im Türrahmen.

Fidelma stand auf und zündete eine Kerze an.

Erst da bemerkte sie den blassen jungen Mann im Ordensgewand, der nervös hinter dem Mädchen stand.

»Du bist also Nath?«, fragte sie.

Ainder zog den jungen Mann an der Hand hinter sich her in die Hütte und schloss rasch die Tür.

»Ich habe ihm gesagt, dass er sich vor dir nicht zu fürchten braucht, Schwester Fidelma, wenn er nur die Wahrheit spricht.«

Fidelma musterte den jungen Mönch. Er hatte ein frisches Gesicht und zerzauste Haare. Er wirkte leicht verwirrt, als sei er in Ereignisse hineingeraten, über die er keinerlei Gewalt mehr hatte. Ein mütterliches Gefühl regte sich in Fidelma, denn der junge Mann hatte den verlorenen Blick eines kleinen Jungen, der sich allein im dunklen Wald verirrt hat. Sie schüttelte den Kopf, um dieses Gefühl zu vertreiben.

Mit einer Handbewegung lud sie ihn ein, sich hinzusetzen.

»Erzähle mir deine Geschichte, Nath«, forderte sie ihn auf und nahm ihrerseits Platz.

»Da gibt es nicht viel zu erzählen«, antwortete der Junge ruhig. »Ich liebe Ainder und möchte sie heiraten. Moenach war schon immer mein Feind, meiner und der meiner Mitbrüder. Er war bereits als Kind ein Tyrann, und er blieb auch als junger Mann einer. Nichts machte ihm mehr Freude, als uns Böses zuzufügen. Doch wie jeder echte Tyrann wusste er sich auch bei seinen Vorgesetzten einzuschmeicheln. Pater Allán wollte nichts Schlechtes über ihn hören. Moenach brachte es fertig, dass Bruder Follamon aus dem Orden …«

»Davon weiß ich. Ich habe schon mit Bruder Ninnedo gesprochen.«

»Dann weißt du, wie Moenach wirklich war?«, fragte Nath.

»Ich weiß nur, was man mir berichtet hat. Als Ainder zu dir kam und erzählte, was ihr widerfahren war, wurdest du da sehr zornig?«

Nath senkte den Kopf und seufzte.

»Ich bin immer noch wütend. Ich bedaure Moenachs Tod nicht. Man hat uns gelehrt, die zu lieben, die unsere Feinde sind, die uns Böses zufügen. Ich bringe das nicht fertig. Ich begrüße diese letzte Strafe, die über Moenach verhängt wurde. Mein Herz frohlockt darüber. Allerdings sagt mir mein Verstand, dass dies nicht das Gesetz und nicht der Weg des Lebendigen Gottes ist.«