Fidelma wehrte einen jungen Burschen ab, der ihr heiße Pfannkuchen aufschwatzen wollte, und sah ihren um beträchtliche Jahre älteren Begleiter schmunzelnd an.
»Hast du Bischof Bressal heute schon gesehen?«
»Er soll hier gewesen sein, aber selbst gesehen habe ich ihn nicht. Er schickt heute sein Lieblingspferd Ochain ins Rennen. Seinen Jockey Murchad hingegen habe ich bereits zu Gesicht bekommen. Er schließt hohe Wetten ab, er würde mit Ochain gewinnen. Wie der Bischof ist auch er von sich und seinem Pferd überzeugt.«
Fidelma überlegte und schürzte die Lippen.
»Ochain. Von einem Ross mit dem Namen habe ich schon mal gehört. Wie kann man ein Pferd nur ›der Stöhnende‹ nennen?«
»Angeblich gibt Ochain, wenn er spürt, er ist am Gewinnen, einen stöhnenden Laut von sich. Pferde sind kluge Wesen.«
»Oft klüger als Menschen«, stimmte ihm Fidelma zu.
»Unter uns gesagt, bestimmt klüger als der gute Bischof«, spöttelte Laisran. »Er prahlt öffentlich damit herum, er würde heute das Rennen gegen Fáeláns Pferd gewinnen, und das entzückt den König nicht gerade. Es hat sich bereits herumgesprochen, dass der König über das angeberische Getue des Bischofs reichlich verärgert ist.«
»Fáelán lässt heute eins seiner Pferde laufen?«
»Sein bestes sogar. Damit steht, ehrlich gesagt, der Ausgang schon fest. Im Sattel sitzt Illan, des Königs bester Reiter, und wenn der Aonbharr zwischen seinen Schenkeln hat, kommt keiner in Laighin an ihn ran … Auch nicht ein Murchad auf Ochain. Nebenbei gesagt, wird es Bischof Bressal wenig freuen, dass ausgerechnet Illan das Pferd des Königs reitet.«
»Wieso das?«
»Früher hat Illan Bressals Pferde auf die Rennen vorbereitet und sie bei Wettkämpfen auch geritten. Dann hat der König von Laighin ihm mehr Geld geboten und ihn so für die Arbeit mit Aonbharr abgeworben.«
Aonbharr, das Pferd des Königs, war auch Fidelma ein Begriff. Es war unglaublich schnell, und der König hatte es nach dem sagenumwobenen Pferd des alten Gottes der Meere, Manánnan Mac Lir, benannt, einem wundersamen Ross, das über Land und Wasser fliegen konnte, ohne an Tempo zu verlieren. »Ich habe vergangenes Jahr das Pferderennen auf dem Curragh gesehen, da konnte keins der anderen Tiere mit ihm mithalten. Da muss Bressals Pferd schon enorm gut sein, oder seine Prahlerei wird ihn teuer zu stehen kommen.«
»Du warst das Jahr über auf Reisen und nicht hier, Fidelma, und weißt vielleicht nicht, dass der König und der Bischof mehr oder weniger in Fehde liegen. In den vergangenen zwölf Monaten hat Bressal viermal bei Rennen Pferde gegen des Königs bestes Ross und seinen Jockey in die Bahn geschickt und ist jedes Mal geschlagen worden. Natürlich ist das eine Schmach für ihn, und nun ist er wie besessen. Er fühlt sich von seinem früheren Dresseur und Rennreiter veralbert und ist nur noch darauf aus, das Pferd des Königs und vor allen Dingen Illan zu schlagen. Alle Welt macht sich schon über ihn lustig.« Der Abt wies mit einer Armbewegung auf die dichtgedrängte Menge. »Ich fürchte, ein gut Teil der Leute hier ist nur gekommen, um mit anzusehen, wie Bressal abermals gedemütigt wird, wenn Aonbharr spielend gewinnt.«
»Hab ich nicht gesagt, Pferde hätten mehr Verstand als Menschen?«, meinte Fidelma kopfschüttelnd. »Warum muss eine Lustbarkeit in Feindseligkeit enden?«
Unversehens blieb Laisran stehen und schaute in eine bestimmte Richtung. Ein junger Mann, von der Kleidung her zur Leibgarde des Königs von Laighin gehörend, kämpfte sich durch die Menschenmassen und hielt deutlich auf den Abt und Schwester Fidelma zu. Sichtlich erregt blieb er vor ihnen stehen.
»Ich bitte um Verzeihung, Abt Laisran«, begann er und wandte sich sofort Fidelma zu. »Bist du Schwester Fidelma von Kildare?«
Bestätigend neigte sie den Kopf.
»Würdest du bitte sogleich mit mir kommen, Schwester?«
»Worum geht es?«
»Es geschieht auf ausdrücklichen Wunsch des Königs.« Besorgt schaute sich der junge Mann um und senkte seine Stimme, damit die Umstehenden nicht hören konnten, was er sagte.
»Illan, des Königs ersten Rennreiter, hat man … tot aufgefunden. Aonbharr, des Königs Pferd, ist am Verenden. Der König glaubt, da habe jemand die Hand im Spiel und hat Bischof Bressal festgenommen.«
Mit finsterem Gesicht saß Fáelán vom Stamm der Uí Dúnlainge, König von Laighin, in seinem Zelt. Ohne Umschweife hatte man Fidelma und Laisran zu der beeindruckenden Gruppe von Zelten geführt, die eigens für den König, die Stammesfürsten und die dazugehörigen Damen entlang der Rennbahn aufgestellt worden waren. Es war durchaus üblich, dass ganze Familien während der neun Tage andauernden Festivitäten auf dem Gelände ihr Lager aufschlugen. Hinter den Zelten der Adligen standen die der Dresseure, Reiter und anderer Gefolgsleute, sowie weitere Zelte, die als Ställe für deren Pferde dienten.
Fáelán war ein Mann, der auf die vierzig zuging. Das schwarze Haar und die buschigen Augenbrauen ließen ihn ohnehin düster erscheinen, doch wenn er unfreundlich dreinblickte, hatte er etwas bösartig Gespenstisches an sich, und manch einer zitterte in seiner Nähe.
Nicht so Abt Laisran, der Fidelma begleitet hatte. Unbeeindruckt stand er lächelnd vor dem König, die Hände in den Falten seines Habits verborgen. Er kannte Fáelán gut und wusste, dass sich hinter dessen unnahbarem Äußeren ein anständiger und ehrenhafter Mann verbarg. Neben Fáelán saß die Königin, die schöne Muadnat mit dem glatten Haar, eine große und sinnliche Erscheinung, Geschichten ihrer Liebschaften waren in aller Munde. Sie war festlich gewandet, trug einen mit Juwelen besetzten Gürtel, an dem eine Dolchscheide hing, wie es für Frauen des Adels üblich war. Nur fiel Fidelma auf, dass der dazugehörige kleine Dolch nicht darin steckte. Die Königin wirkte niedergeschlagen, als hätte sie gerade geweint.
Hinter dem Königspaar stand Fáeláns Neffe Énna, der tánaiste, sein Thronnachfolger, und neben ihm dessen Frau Dagháin. Beide waren Mitte zwanzig. Énna war ein gutaussehender, wenn auch mürrisch wirkender Mann, seine Partnerin auf den ersten Blick eine eher unscheinbare Person. Im Gegensatz zur Königin ließ ihre durchaus modische Kleidung die nötige Sorgfalt vermissen. Fidelma bemerkte sofort, dass ihr Gewand befleckt und unordentlich war. Selbst der mit Juwelen besetzte Gürtel und die Dolchscheide machten keinen gepflegten Eindruck, und der zeremonielle Dolch wollte auch nicht so recht in seine Hülle passen. Die Frau hatte Mühe, ein gewisses Unbehagen zu überspielen.
Fidelma stand mit gefalteten Händen vor dem König und wartete geduldig.
»Ich brauche einen Brehon, Schwester«, begann Fáelán. »Ich habe von Énna« – er deutete mit dem Kopf zu seinem tánaiste – »erfahren, dass du mit Abt Laisran hier an der Rennbahn bist.«
Sie schaute ihn aufmerksam an.
»Weißt du schon, was geschehen ist?«, fiel Énna seinem König ins Wort, den dessen vorwitzige Art störte. Noch ehe Fidelma auf Énnas Frage antworten konnte, fuhr Fáelán fort: »Mein bester Rennreiter wurde ermordet, auch hat es jemand darauf angelegt, mein bestes Pferd zu töten. Vom Tierarzt höre ich, es liegt im Sterben und wird die nächsten Stunden nicht überleben.«
»Dein Leibwächter hat es mir gesagt«, erwiderte Fidelma. »Auch weiß ich, dass man Bischof Bressal festgenommen hat.«
»Es geschah auf mein Geheiß«, bestätigte der König. »Wenn einer aus der Gräueltat Gewinn ziehen kann, dann er. Du musst nämlich Folgendes wissen …«
»Ich habe von euren Streitigkeiten wegen der Pferderennen gehört.« Sie winkte ab. »Nur warum verlangst du nach mir? Du hast doch deinen eigenen Brehon.«