»Woher wusstest du, dass es das Zelt von Illan war?«, wollte Fidelma wissen.
»Jeder Rennreiter hat außen am Zelt ein kleines Banner stecken mit dem Zeichen des Besitzers des Pferdes, das er reitet. Bei großen Volksfesten wie diesen hier ist es üblich, die Wappen der Besitzer zu zeigen.«
»Das stimmt«, bekräftigte Fáelán.
»Ich kam also an dem Zelt vorbei und hörte drinnen erregte Stimmen. Die von Bressal erkannte ich sofort. Bei der anderen denke ich mal, es war die von Illan.«
»Und was hast du gemacht?«
Angaire zuckte mit den Schultern. »Es ging mich nichts an. Ich ging weiter zu Murchads Zelt und gab ihm ein paar Ratschläge, was er beim Rennen alles beachten sollte, wenngleich mir klar war, dass er gegen Illan kaum etwas würde ausrichten können.«
»Und dann?«
»Ich verließ Murchads Zelt und sah …«
»Wie viel später war das?«
Angaire blinzelte bei der Unterbrechung. »Zehn Minuten vielleicht. So genau kann ich mich nicht erinnern. Lange haben Murchad und ich jedenfalls nicht gesprochen.«
»Also was hast du gesehen?«
»Ich sah Bressal vorbeilaufen. Auf der Wange hatte er einen roten Striemen, und er war sichtlich aufgebracht. Er hat mich nicht gesehen. Außerdem hielt er unter seinem Umhang etwas verborgen.«
»Kannst du dich etwas genauer zu dem ›etwas‹ äußern?«
»Vielleicht so etwas wie ein langes, schmales Messer.«
»Wie kommst du darauf?«, fragte Fidelma und runzelte die Stirn. »Beschreibe, was genau du gesehen hast.«
»In der einen Hand hatte er etwas Langes und Schmales, verdeckt von seinem Umhang, länger als neun Zoll war es nicht, wie breit, kann ich nicht sagen.«
»Du kannst also nicht beschwören, dass es ein Messer war?« Fidelma wurde scharf. »Ich bin nicht hier, um mir irgendwelche Vermutungen anzuhören, ich brauche Tatsachen. Also weiter.«
Einen kurzen Moment sah er sie betroffen an, zuckte dann mit den Achseln und fuhr fort: »Ich ging meiner Arbeit nach und hörte plötzlich einen Wachmann sagen, man hätte Illan tot in seinem Zelt aufgefunden. Ich hielt es für meine Pflicht, dem Wachtposten von dem zu berichten, was ich wusste.«
»Der Wachtposten kam dann zu mir«, ergänzte Énna, »und später bin ich die Geschichte mit Angaire noch mal durchgegangen.«
»Und ich habe daraufhin Bressal festnehmen lassen.« Fáelán glaubte den Erläuterungen damit einen Schlusspunkt zu setzen.
»Was hat Bressal zu den Anschuldigungen gesagt?«, fragte Fidelma.
»Er hat jede Äußerung verweigert und darauf bestanden, einen Brehon zu sehen«, erwiderte der König. »Als ich von Énna erfuhr, dass du auf der Festwiese bist, habe ich nach dir schicken lassen. Du weißt jetzt genauso viel wie wir. Ich denke, ich habe rechtens gehandelt, den Bischof wegen eines anstehenden Verfahrens in Arrest zu halten. Willst du jetzt mit ihm reden?«
Zu aller Verwunderung schüttelte sie den Kopf.
»Ich möchte erst den Leichnam sehen. Hat man einen Arzt hinzugezogen?«
»Nein. Schließlich ist Illan tot.«
»Dann lass bitte einen kommen. Ich möchte die Leiche untersucht wissen. Während das geschieht, schau ich nach Aonbharr und werde mit dem Pferdedoktor sprechen. Wie hieß er doch gleich?«
»Cellach«, gab ihr der König Bescheid. »Er kümmert sich um alle meine Pferde.«
»Gut. Vielleicht kann mich dein Leibwächter begleiten und zu dem Tier bringen.« Sie wandte sich Abt Laisran zu, der sich die ganze Zeit abseits gehalten hatte. »Würdest du mit mir kommen, Laisran? Ich brauche deinen Rat.«
Unterwegs, als der Krieger ihnen voranging, eröffnete sie Laisran, was sie bewegte: »Ich wollte mit dir sprechen. Mir ist aufgefallen, dass Königin Muadnat von Illans Tod offensichtlich sehr betroffen ist.«
»Deine Beobachtungsgabe ist bemerkenswert, Fidelma. Ich, zum Beispiel, hatte auch nicht bemerkt, dass Dagháins Kleidung in Unordnung geraten war, erst, als du es erwähntest. Ja, Muadnat hatte ganz deutlich geweint. Illans Tod muss ihr sehr nahegehen.«
»Das hab ich ja selbst schon festgestellt. Aber du weißt mehr von dem, was man sich über das Treiben am Hof erzählt. Es muss doch einen Grund geben, dass sie der Tod derart berührt.«
»Muadnat ist eine hübsche Frau, und dem Hörensagen nach ist sie in ihren fleischlichen Gelüsten unersättlich. Mehr sage ich lieber nicht, denn Fáelán ist ein duldsamer Herrscher.«
»Weshalb sprichst du so in Rätseln, Laisran?«, fragte sie.
»Verzeih. Ich dachte, Illans Ruf als Frauenheld sei dir nicht unbekannt. Illan war nur einer von vielen Liebhabern, die sich in der Gefolgschaft der Königin die Ehre gaben.«
Als Fidelma und Laisran das Zelt betraten, in dem Aonbharr untergebracht war, lag das Pferd auf der Seite, jeder Atemstoß war ein quälendes Röcheln. Es rang mit dem Tod. Etliche Männer standen um das Tier herum, unter ihnen auch Cellach, der Tierarzt.
Der hagere Mann mit dem vom Wetter gegerbten Gesicht blickte die Schwester mit großen grauen und traurigen Augen an. Er litt deutlich mit dem Tier mit.
»Aonbharr stirbt«, gab er auf Fidelmas Frage zur Antwort.
»Kannst du bestätigen, dass man ihn vergiftet hat?«
»Ja«, erwiderte er bitter. »Mit einer Mischung aus Eisenhut, zerstampften Efeublättern und Alraune. So viel habe ich feststellen können, Schwester.«
Sie sah ihn verwundert an, und er bemerkte, dass sie seiner Aussage nicht recht traute.
»Das zu erkennen bedurfte keiner Zauberei, Schwester.«
Sanft berührte er das Maul des Pferdes und öffnete es einfühlsam. Der fahle Gaumen war mit Blut und Speichel besprenkelt. Inmitten des Schleims waren noch Futterreste zu erkennen.
»Du siehst da noch die Reste der Giftmischung. Es ist eindeutig, jemand hat das Tier mit dem tödlichen Zeug gefüttert.«
»Wie lange kann das her sein?«
»Nicht lange. Vielleicht eine Stunde oder auch weniger. Ein paar Handvoll davon sind von sofortiger Wirkung.«
Fidelma legte dem Pferd die Hand auf die Nüstern und streichelte es sanft. Unter Anstrengung machte es die großen braunen Augen auf, sah sie an und atmete mit lautem Stöhnen aus.
»Hat man ihm noch auf andere Weise etwas angetan?«, fragte sie.
»Nein, Schwester.«
»Wäre es denkbar, dass Aonbharr rein zufällig von allein die giftigen Pflanzen gefressen hat?«, gab Laisran zu überlegen.
»Wenn er doch hier im Stall angebunden war? Das ist schwer vorstellbar, Abt«, wehrte Cellach ab. »Auch im Freien verhalten sich Pferde klug und mit Vorsicht. Sie haben einen Spürsinn für Dinge, die ihnen schaden könnten. Abgesehen davon gibt es hier in der Gegend weder Alraune noch Eisenhut. Und wie sollte es Efeublätter kleinstoßen? Nein, das ist vorsätzlich von Menschenhand geschehen.«
»Besteht für das Tier noch Hoffnung?«, fragte Fidelma bewegt.
Cellach schüttelte den Kopf. »Länger als bis Mittag quält es sich nicht mehr.«
Sie ging auf den Zeltausgang zu. »Wir müssen wohl oder übel zu Illan und seinen Leichnam betrachten.«
»Bist du Schwester Fidelma?«, fragte eine Stimme gereizt.
Bei ihrem Eintreten richtete sich eine Nonne auf, die über den auf dem Erdboden liegenden Leichnam gebeugt gewesen war. Es war eine stämmige Frau mit großen Händen und grob geschnittenem Gesicht. Nachdem Schwester Fidelma ihre Frage bestätigt hatte, fuhr sie fort: »Ich bin Schwester Eblenn, die Apothekerin in der Gemeinschaft der heiligen Darerca.«
»Hast du die Leiche schon untersucht?«
Schwester Eblenn verneigte sich flüchtig vor Laisran, der hinter Fidelma erschien, und erwiderte: »Ja. Erstochen. Mitten ins Herz.«
Fidelma wechselte einen Blick mit dem Abt.
»Hast du das Messer gefunden?«