Fidelma presste die Lippen zusammen, während Laisran einen erschrockenen Laut von sich gab.
»Ich will den guten Bischof nicht länger als nötig warten lassen«, sagte Fidelma fast ein wenig ironisch. »Gehen wir zu ihm.« »Erzähl, wie sich dir die Dinge darstellen«, forderte Fidelma den Bischof des Königs von Laighin auf und nahm vor dem erregten Mann Platz. Bressal war groß und beleibt, von starkem Knochenbau und hatte im Gegensatz dazu ein blasses, fast kindliches Gesicht, dazu den Ansatz einer Glatze. Was ihr gleich als Erstes auffiel, war der rote Striemen auf seiner linken Wange.
Missbilligend sah er sein junges Gegenüber an, um dann aufzublicken und Abt Laisran zuzunicken, der gleichfalls das Zelt betreten hatte und mit verschränkten Armen am Eingang stehen geblieben war. Als vierte Person stand noch ein groß gewachsener Krieger im Raum, der zu Bressals Hausstand gehörte, denn Rang und Amt des Bischofs berechtigten ihn zu einer Leibwache.
»Du hast dich ohne Erlaubnis in meiner Gegenwart gesetzt, Schwester«, tadelte er Fidelma.
In aller Ruhe sah sie ihm ins Gesicht und erklärte ungerührt: »Mich zu setzen ist mir ohne ausdrückliche Aufforderung in der Gegenwart jedes Kleinkönigs gestattet. Ich bin eine dálaigh, Anwältin beim Gericht, und habe den Grad eines anruth erworben. Mit anderen Worten, selbst in der Gegenwart des Hochkönigs darf ich mit seiner Erlaubnis sitzen. Ich bin …«
Verärgert winkte er ab. Mit den Regeln von Vorrechten der Brehons in ihren Rangabstufungen war er vertraut.
»Kommen wir zur Sache, anruth. Wieso sehe ich dich erst jetzt? Je früher man mich anhört, desto rascher hat meine unerhörte Festnahme ein Ende.«
Nachdenklich sah sie ihn an. Was war das nur für ein hochmütiger Mann! An den Geschichten, die sie über ihn und sein eitles Vorhaben gehört hatte, beim Pferderennen unbedingt gegen das Pferd des Königs siegen zu wollen, musste etwas dran sein.
»Wenn dir an einer zügigen Klärung der Vorfälle gelegen ist, dann beantworte bitte meine Fragen und lass deine beiseite. Im vorliegenden Fall …«
»Der ist doch klar!«, polterte der Bischof los. »Fáelán versucht mir für eine Sache die Schuld zuzuschieben, mit der ich nichts zu tun habe. Da gibt es nichts dran zu rütteln. Wahrscheinlich hat er das alles selbst gemacht, um mich in ein schlechtes Licht zu setzen, weil er wusste, dass mein Pferd seins schlagen würde.«
Fidelma zog die Augenbrauen hoch.
»Mit Gegenanschuldigungen kommt man besser erst, wenn man seine Unschuld bewiesen hat. Ich hätte gern gewusst, wo überall du dich heute Morgen aufgehalten hast.«
Er wollte sich weiter mit ihr anlegen, ließ sich dann aber doch herab, ihr zu antworten.
»Ich bin in Begleitung meines Leibwächters Sílán« – er wies mit einer Kopfbewegung auf den Krieger – »zur Rennstrecke gegangen. Wir wollten nach meinem Pferd Ochain sehen.«
»Wer hatte Ochain dort hingebracht?«
»Angaire, der mit dem Pferd arbeitet, und Murchad, mein Rennreiter.«
»Und wann genau wart ihr unterwegs? Ich meine, wie lange, bevor man Illans Leiche entdeckte.«
»Wann man die Leiche entdeckt hat, weiß ich nicht, aber ich muss etwa eine Stunde zurück gewesen sein, als Fáelán, dieser Dreckskerl, mich hat verhaften lassen.«
»Bist du außer Angaire und Murchad noch anderen begegnet?«
»Da waren jede Menge Leute an der Rennstrecke. Der eine oder andere wird mich auch gesehen haben, aber wer im Einzelnen dort war, das kann ich nicht sagen.«
»Mir geht es mehr darum, ob du dich mit irgendjemand unterhalten hast, vielleicht auch mit jemand Bestimmtem … mit Illan, zum Beispiel.«
Er starrte sie an. Dann schüttelte er den Kopf. Sie sah ihm an, dass er nicht die Wahrheit sagte. Seine Augen verrieten ihn.
»Du hast also heute Morgen nicht mit Illan gesprochen?«, drängte sie.
»Ich hab es doch eben gesagt.«
»Denk noch einmal nach, Bressal. Bist du nicht zu seinem Zelt gegangen, weil du mit ihm sprechen wolltest?«
Er starrte sie abermals an. Schuldbewusstsein machte sich auf seinem Gesicht breit.
»Ein Knecht Gottes sollte nicht lügen, Bressal«, mahnte Laisran vom Zelteingang her. »Ein Bischof schon gar nicht.«
»Ich habe Illan nicht getötet«, erklärte er widerborstig.
»Wie hast du dir die frische Wunde auf der linken Wange zugezogen?«, fragte Fidelma plötzlich.
Wie im Reflex hob Bressal die Hand und tastete nach dem Striemen im Gesicht.
»Ich …« Er kam nicht weiter, ihm fiel keine brauchbare Antwort ein. Er sackte zusammen, wurde förmlich kleiner auf seinem Stuhl und gab sich geschlagen.
»In der Not ist die Wahrheit die beste Zuflucht«, empfahl ihm Fidelma ungerührt.
»Es stimmt, ich bin zu Illans Zelt gegangen und geriet in Streit mit ihm. Dabei hat er mir eine versetzt«, gab er mürrisch zu.
»Und du hast zurückgeschlagen?«
»Heißt es nicht bei Lukas: ›Wer dich schlägt auf einen Backen, dem biete den anderen auch dar‹?«, wehrte er sich.
»Nicht immer hält man sich an das, was in der Heiligen Schrift geschrieben steht. Muss ich es so verstehen, dass du – ein Mann nicht arm im Geiste – es Illan nicht mit gleicher Münze heimgezahlt hast, als er dich schlug?«
»Illan lebte, als ich ihn verließ«, murmelte er.
»Aber handgreiflich bist du geworden?«
»Natürlich! Der Hund hat es gewagt, mich, einen Fürsten und Bischof von Laighin, anzurühren!«
Fidelmas Seufzer war unüberhörbar.
»Und weswegen ist er gewalttätig geworden?«
»Ich … ich habe ihn erzürnt.«
»Hatte euer Streit etwas damit zu tun, dass er früher mal dein Rennreiter war, dann aber aus deinen Diensten ausgeschieden ist, um für Fáelán zu reiten?«
»Du scheinst eine Menge zu wissen, Schwester Fidelma«, sagte er aufs höchste erstaunt.
»In welchem Zustand hast du Illan verlassen?«
»Ich hatte ihm einen Kinnhaken versetzt, und er fiel in Ohnmacht. Unser Gespräch war damit zu Ende, und ich ging. Getötet habe ich ihn nicht.«
»Wie kam es zu dem Streit?«
Beschämt senkte Bressal den Kopf, aber da er sich nun einmal für eine wahrheitsgemäße Schilderung entschieden hatte, blieb er seinem Vorsatz treu.
»Ich bin zu ihm gegangen, weil ich ihn mit Geld überreden wollte, von dem Rennen Abstand zu nehmen und sich wieder in meine Dienste zu begeben.«
»Hat irgendjemand davon gewusst, dass du ihn bestechen wolltest?«
»Ja, Angaire.«
»Dein Stallknecht, der mit deinem Pferd arbeitet?« Fidelma überlegte fieberhaft.
»Ich hatte Angaire gesagt, dass ich mit der Art und Weise, wie er Ochain zuritt, nicht sehr glücklich wäre. Ich habe ihm auch gesagt, wenn ich Illan dazu bewegen könnte, zu mir zurückzukommen, könne er sich nach einer anderen Arbeit umsehen. In allen diesjährigen Rennen hat mir Angaire nicht einen Sieg beschert.«
Fidelma wandte sich dem schweigend dastehenden Krieger zu.
»Wie viel von dem eben Dargelegten kannst du bestätigen, Sílán?«
Verblüfft starrte sie der Mann an und schaute dann zu Bressal, als brauche er sein Einverständnis, sprechen zu dürfen.
»Erzähl ihnen, was sich heute früh zugetragen hat«, befahl ihm Bressal unwirsch.
Steif bezog Sílán Position vor Fidelma, Blick geradeaus, und fing mit monotoner Stimme an zu reden.
»Ich bin an der Rennbahn kurz nach …«
»Bist du schon lange Leibwächter des Bischofs?«, unterbrach ihn Fidelma. Sie hatte etwas gegen einstudierte Reden, und wenn sie das Gefühl hatte, man wollte ihr eine vorsetzen, ging sie gern mit einer Frage dazwischen, um den Vortragenden aus dem Konzept zu bringen.
»Ja, Schwester. Seit einem Jahr.«
»Fahr fort.«
»Kurz nach der Morgendämmerung bin ich zur Rennbahn gekommen, um beim Zeltaufbau des Bischofs zu helfen.«