»Wie bist du darauf gekommen, Dagháin mit Illan in Verbindung zu bringen?«, wollte Fáelán wissen.
»Énna selbst hat in einer wie nebensächlich hingeworfenen Bemerkung verlauten lassen, dass seine Frau ein Verhältnis mit Illan gehabt hätte. Du wusstest doch von ihrer Liebschaft, Énna, nicht wahr?«
Der auf seinem Stuhl Zusammengesunkene blickte mit rotumränderten Augen auf. Bekümmert nickte er.
»Ich wusste davon, ja. Aber dass sie so vernarrt in ihn war und zu solchen Mitteln greifen würde, als er sie von sich wies, hätte ich nie gedacht«, flüsterte er. »Fáelán, ich bin eines tánaiste nicht würdig, ich trete zurück.«
»Darüber reden wir später miteinander«, erklärte der König von Laighan mit sichtlichem Unbehagen und darauf bedacht, an Muadnat, seiner Frau, vorbeizusehen. »Ich kann mich in deine Situation hineinversetzen. Zweifelsohne gibt es mehrere Opfer in diesem schrecklichen Drama. Und doch will mir nicht in den Kopf, warum Dagháin so etwas tun konnte. Sie war die Frau eines tánaiste, des rechtmäßigen Anwärters auf den Thron von Laighin, Illan hingegen nichts weiter als ein Rennreiter. Nur weil er sie wegen einer neuen Liebschaft von sich stieß, ließ sie sich zu so einer Tat hinreißen?«
Die Frage war an Fidelma gerichtet.
»Die Gefühle eines Menschen ergründen zu wollen ist alles andere als einfach, Fáelán«, erwiderte sie. »Aber wenn wir nach den Opfern in dieser Geschichte fragen, dann sollten wir in erster Linie an Aonbharr denken. Das arme Tier erlitt einen schmählichen Tod, weil es für menschliche Vergehen herhalten musste.«
Draußen ertönte eine Fanfare.
Mit einem Stoßseufzer riss sich Fáelán zusammen.
»Das ist das Signal für mich, das Rennen des heutigen Nachmittags zu eröffnen … Mit dem Herzen bin ich nicht dabei.«
Er erhob sich und bot wie gewohnt seiner Frau den Arm. Zögernd und ohne ihn anzuschauen, nahm sie ihn an. Das Verhältnis von König und Königin wieder ins rechte Lot zu bringen würde einiges kosten, dachte Fidelma für sich. Fáelán wandte sich um und rief seinem Bischof zu: »Ob du uns nicht besser begleitest, Bressal? Komm und bleib bei mir, wenn ich das Fest eröffne. Die Leute sollen sehen, dass wir zusammenstehen und keine Feindschaft gegeneinander hegen. Wenn schon unsere Pferde beim Rennen nicht mitmachen, sollten wir beide wenigstens den Menschen Einigkeit demonstrieren, zumindest heute.«
Bressal brauchte ein Weilchen, ehe er der Aufforderung nachgab.
»Gott sei gedankt, dass wir so weise Brehons wie dich haben, Fidelma«, sagte Fáelán als Letztes. »Die Anwaltskosten, die ich dir schuldig bin, schicke ich nach Kildare.«
Als sie das Zelt verlassen hatten, erhob sich auch Énna langsam. Niedergeschlagen blickte er Fidelma und Laisran an.
»Ich wusste, dass sie eine Liebschaft hatte. Stets hätte ich zu ihr gestanden, selbst mein Amt hergegeben, so wie ich auch jetzt bereit bin, es zu tun. Hätte sie sich mir anvertraut und die Wahrheit bekannt, nie im Leben hätte ich mich von ihr scheiden lassen oder sie zurückgewiesen. Ich bleibe auch weiterhin an ihrer Seite.«
Schweigend sahen ihm Fidelma und Laisran nach, wie er das Zelt verließ.
»Es ist eine traurige Welt, in der wir leben«, stellte Fidelma nachdenklich fest.
Dann gingen auch sie und bahnten sich einen Weg durch die lärmende, sorglose Menge, die zur Rennstrecke strömte. Mit einem verhaltenen Lächeln schaute Fidelma ihren alten Lehrmeister an.
»Es ist, wie du gesagt hast, Laisran – ein Pferderennen ist das beste Heilmittel für alle Übel der Menschheit. Es nimmt den Leuten ihre Streitlust und Habgier.«
Schmunzelnd sah er in ihr schelmisches Gesicht, war aber klug genug, auf eine Erwiderung zu verzichten.
VOR DEM ZELT DES HOLOFERNES
Schwester Fidelma hielt ihre Stute an und schaute hinunter in das breite Tal. Der vor ihr liegende Weg schmiegte sich um die Flanke des Bergs, und ein blassblauer Fluss schlängelte sich durch das Grün der Clanländereien der Uí Dróna. In der Ferne erkannte sie die grauen Granitmauern der Burg, des Stammessitzes, der ihr Ziel war. Über ihr verschwitztes Gesicht glitt ein Lächeln freudiger Erwartung. Seit ihrem Aufbruch vom Kloster Durrow waren vier Tage vergangen. Sie war ermüdet und fühlte sich in den vom Reisestaub bedeckten Sachen nicht wohl. Doch es waren nicht nur ein Bad, saubere Kleidung und das Ausruhen nach dem langen Ritt, worauf sie sich freute. Vor allem beglückte sie der Gedanke, Liadin wiederzusehen.
Fidelma war als einzige Tochter zwischen älteren Brüdern großgeworden, und Liadin, ihre Freundin aus Kindheitstagen, war ihr gewissermaßen eine Schwester gewesen. Beide verband eine innige Beziehung. Gemeinsam waren sie bis zum Alter der Wahl aufgewachsen, dem Jahr, in dem sie das Gesetz zu mündigen Frauen erklärte. Damals war Fidelma die anamchara, die Seelenfreundin Liadins geworden, ihre geistliche Vertraute und Ratgeberin, wie es in Irland entsprechend dem Neuen Glauben üblich war.
In ihrer Tasche steckte eine dringende Nachricht von Liadin, die sie vor einer Woche in Durrow erhalten hatte. »Komm sofort! Ich bin in großer Not. Liadin«, hieß es da. Jetzt, kurz vor dem Ende ihrer Reise, sah Fidelma erregt der Wiederbegegnung entgegen, fürchtete sich aber zugleich davor.
Seit Jahren hatten sie einander nicht mehr gesehen. Ihre Wege hatten sich getrennt: Fidelma war nach Tara gegangen, um ihre Studien fortzusetzen, während Liadin geheiratet hatte.
Fidelma erinnerte sich, dass ihre Freundin der Heirat mit Zittern und Zagen entgegengesehen hatte. Liadins Vater, ein Kleinkönig von Cashel, drängte sie aus politischen Erwägungen in eine arrangierte Ehe. Liadin wäre viel lieber Lehrerin geworden. Sie verfügte über gute Kenntnisse des Griechischen und Lateinischen und auch in anderen Fächern. Und nun sollte sie einen fremdländischen Stammesfürsten heiraten. Es war ein Gallier namens Scoriath vom Stamme der Fir Morc, den seine Stammesgenossen ins Exil nach Irland getrieben hatten. Dort hatten ihm die Uí Dróna im Königreich Lagin Zuflucht gewährt, und er wurde sogar zum Hauptmann der Leibgarde ernannt. Der Stammesfürst der Uí Dróna hatte Liadins Vater davon überzeugt, dass es politische und finanzielle Vorteile brächte, seine Tochter mit einem Krieger aus Gallien zu verheiraten.
Damals hatte sich Fidelma sehr gesorgt um ihre unglückliche Seelenfreundin. Während die in eine Zwangsheirat einwilligen musste, ging Fidelma ihrem Studium der Rechtsvorschriften nach und wurde schließlich sogar als dálaigh, Anwältin bei den Gerichten in Irland, zugelassen.
Nach der Heirat hatte Fidelma ihre Freundin nur noch einmal getroffen, und da schwebte sie im siebenten Himmel, denn entgegen aller Erwartungen hatte sie ihren Mann lieben gelernt. Fidelma hatte nicht schlecht gestaunt über die Verwandlung ihrer Jugendgefährtin. Den überschwänglichen Schilderungen zufolge musste Fidelma annehmen, Liadin und Scoriath wären buchstäblich ineinander verschlungen wie ein Weinstock, der sich um einen Baum rankt. Fidelma hatte sichüber die Maßen gefreut und erst recht über die bald danach erfolgte Geburt ihres Sohnes. Dann hatten sie einander wieder aus den Augen verloren.
Das Kind müsste jetzt drei Jahre alt sein, überlegte Fidelma, als sie ihr Ross zur Stammesfestung der Uí Dróna lenkte. Was für ein Unheil mochte Liadin zugestoßen sein, dass sie ihr nun so eine Nachricht sandte?
Fidelma war längst aufgefallen, dass ein Mann sie beobachtete. Sie hatte den Vorsprung des Berges umrundet und ritt achtsam talwärts auf die düstere Festung zu. Er stand lässig mit untergeschlagenen Armen am Tor des rath und änderte auch bei ihrem Näherkommen seine Haltung nicht. Sie brachte ihr Pferd zum Stehen.