»Das brauchst du mir nicht zu versichern«, erwiderte Fidelma rasch. »Ich habe erreicht, dass dein Prozess um vierundzwanzig Stunden vertagt wird. Erzähl mir alles, was du weißt, damit ich mir zurechtlegen kann, wie ich dich am besten verteidige.«
Liadin schluchzte still vor sich hin. »Seit ich die schreckliche Kunde von Scoriaths Tod erhalten habe, kann ich überhaupt nicht mehr klar denken. Wie betäubt bin ich von dem Schock und kann es nicht fassen, dass man mich jetzt anklagt. Ich habe geglaubt, ich würde aufwachen und von all dem … von …« Ihre Stimme versagte, und Fidelma drückte ihrer Freundin mitfühlend die Hand.
»Ich will es übernehmen, für dich zu denken. Erzähl mir einfach, was sich ereignet hat.«
Liadin wischte sich die Tränen ab und zwang sich zu einem Lächeln. »Ich schöpfe wieder Hoffnung. Doch viel kann ich dir nicht berichten.«
»Bei unserem letzten Beisammensein hattest du mir vorgeschwärmt, wie glücklich du mit Scoriath warst. Hatte sich seither etwas verändert?«
Liadin schüttelte energisch den Kopf. »Wir lebten glücklich und zufrieden und hatten ein prächtiges Kind.«
»War Scoriath bis zuletzt Hauptmann der Leibwache der Stammesfürstin?«
»Ja. Auch als Irnan vor einem Monat ihrem Vater Drón als Anführer des Clans folgte, blieb Scoriath ihr Hauptmann. Doch er trug sich mit dem Gedanken, das Kriegshandwerk ganz und gar aufzugeben und sich nur noch der Bewirtschaftung seines Grund und Bodens zu widmen.«
Fidelma schürzte die Lippen. Sie musste daran denken, wie gehässig sich Irnan über Liadin geäußert hatte.
»Hat er sich mit jemand in einflussreicher Stellung nicht vertragen? Wie stand er sich mit dem tánaiste? Gab es Spannungen zwischen ihm und dem gewählten Thronfolger?«
»Conn? Nein, da war keinerlei Zwietracht zwischen den beiden.«
»Kommen wir auf den Tod von Scoriath und deinem Sohn zu sprechen.« Trösten würde sie ihre Freundin später können.
»Es geschah vor einer Woche. Ich war gerade nicht hier.«
»Das musst du mir erklären. Wenn du nicht hier warst, wie kann man dich beschuldigen, die Morde begangen zu haben? Fang bitte ganz vorn an.«
Liadin hob hilflos die Arme. »Am Tag, als das passierte, hatte ich Scoriath und unser Kind allein gelassen und war zu einer erkrankten Verwandten, meiner Tante Flidais, geritten. Doch so schlimm, wie erwartet, stand es mit ihr nicht. Ich traf sie schon fast genesen an, es war nur eine Erkältung gewesen. So konnte ich bald wieder zurückreiten und erreichte die Festung etwa eine Stunde nach Sonnenuntergang. In dem Moment, da ich unsere Wohnstatt betreten wollte, kam Conn herausgestürzt und packte mich derb an.«
»Er packte dich derb an? Warum?«
»Ich habe nur noch eine verschwommene Vorstellung von allem. Er brüllte los, Scoriath und mein Sohn seien erschlagen. Ich war fassungslos. Er muss mich auch sofort beschuldigt haben.«
»Ohne jeden Grund?«
»Er hatte ein blutiges Messer und blutbefleckte Kleidungsstücke von mir gefunden, angeblich in meiner Ankleidekammer verborgen. Scoriath und mein Sohn hätten in unseren Räumen gelegen – beide erstochen.«
»Du hast natürlich sofort seine Anschuldigung zurückgewiesen?«
Liadin nickte heftig. »Der Gedanke, eine Mutter würde ihr eigenes Kind abschlachten, ist doch völlig abwegig!«
»Dergleichen ist leider schon vorgekommen, Liadin. Wir müssen die Dinge so sachlich wie möglich betrachten. Haben sie noch andere Beweise gegen dich vorgebracht?«
Liadin überlegte einen Moment. »Eine Bedienstete hat gegen mich ausgesagt. Die Magd Branar behauptet, sie sei Zeugin gewesen, wie Scoriath und ich uns an dem Tag heftig gestritten hätten.«
»Zeugin sei sie gewesen? Wäre das vorstellbar?«
»Natürlich nicht. Ich hatte Branar den ganzen Vormittag über nicht gesehen.«
»Dann lügt sie also? Wie kann sie aber behaupten, sie hätte euren Streit miterlebt?«
»Sie sagt, sie hätte so etwas gehört«, berichtigte sich Liadin sofort. »Sie wäre an unserer Schlafkammer vorbeigekommen und hätte gehört, dass wir uns erbittert zankten, habe es jedoch für ratsam gehalten, nicht stehen zu bleiben. Ich habe das bestritten, doch niemand will mir glauben.«
»Wer hatte dir die Nachricht gebracht, dass deine Tante erkrankt wäre?«
»Ein Mönch vom Kloster des heiligen Moling, das hier in der Nähe ist. Der Bruder heißt Suathar.«
»Hat dich jemand gesehen, wie du den rath verlassen hast, als du zu deiner Tante aufgebrochen bist?«
»Viele Leute waren zugange. Es war ja Mittag, als ich losritt.«
»Also war es doch bekannt, dass du die Festung verlassen hattest.«
»Das ist anzunehmen.«
»Und wer hat dich gesehen, als du abends zurückkamst?«
»Conn natürlich, der hat mich ja gleich derb gepackt.«
Fidelma runzelte die Stirn. »Mir geht es um die Toreinfahrt. Er hat dich hereinkommen sehen und dich dann später gegriffen?«
Verwirrt schüttelte Liadin den Kopf. »Nein. Er hat mich in dem Augenblick gesehen, als er mich an der Tür zu unseren Gemächern festhielt.«
»Demnach hat niemand dich wirklich gesehen, als du heimkamst? Es wäre für andere durchaus vorstellbar, dass du früher zurückgekehrt bist. Du warst mit dem Pferd unterwegs. Was sagen die Stallburschen?«
Liadin sah gequält und geängstigt aus. »Ich begreife, worauf du hinaus willst. Im Stall war niemand. Ich habe mein Pferd allein abgesattelt. Tut mir leid, aber es war niemand da, der gesehen haben könnte, wie ich zurückkam.«
»Aber deine Tante, die könnte bezeugen, wann du sie verlassen hast?«
»Meine Tante ist bereits hier und hat das bezeugt, doch Rathend sagt, das tut wenig zur Sache. Keiner stellt in Abrede, dass ich meine Tante besucht habe und noch an dem Abend heimgekehrt bin. Es heißt jedoch, ich hätte schon früher zurückgekommen sein können, wäre sofort zu Scoriath geeilt, hätte erst ihn und danach mein Kind ermordet, hätte mich dann im Dunkeln davongeschlichen und schließlich eine spätere Heimkehr vorgetäuscht, in der Hoffnung, man würde während meiner Abwesenheit die Leichen gefunden haben.«
Nachdenklich nagte Fidelma an ihrer Unterlippe. »Wie es aussieht, ist Branar die Hauptzeugin der Anklage. Sie liefert uns ein Motiv, nämlich dass deine Beziehungen mit Scoriath nicht so herzlich waren, wie du sie darstellst. Wenn es keinen Streit zwischen dir und Scoriath gegeben hat, dann ist Branar einem Irrtum erlegen oder sie lügt. Hat jemand Scoriath nach eurem angeblichen Streit gesehen?«
»O ja«, rief Liadin sofort. »Unser Sohn Cunobel war den ganzen Nachmittag in Branars Obhut, denn ich war unterwegs, und Scoriath hat Irnan zur Ratsversammlung des Clans begleitet. Die Versammlung löste sich bei Sonnenuntergang auf. Doch wie sollen das Messer und die blutbesudelten Kleider in meine Kammer gekommen sein?«
»Beweismaterial solcher Art lässt sich leicht fingieren, aber im vermeintlichen Ablauf des Geschehens, da sehe ich einen Widerspruch. Schwer vorstellbar, dass du derartige Beweise in deiner Kammer liegenlässt, dich im Dunkel der Nacht wieder davonschleichst und dir so ein Alibi zu verschaffen glaubst.«
Liadin versuchte die Logik der Beweisführung zu begreifen, nickte und lächelte flüchtig. »So habe ich das noch nicht gesehen.«
»Da hast du es«, sagte Fidelma aufmunternd. »Die gegen dich vorgebrachten Beweise sind nicht folgerichtig. Und alles sind nur Indizien, keine handfesten Tatsachen. Hat jemand Gründe angeführt, weshalb du deinen Mann und dein Kind umbringen wolltest?«
»Richter Rathend ist der Auffassung, ich hätte es in einer unbeherrschten Aufwallung der Gefühle, in einem Eifersuchtsanfall getan.«
Fidelma schaute ihre Freundin durchdringend an. »Hattest du Anlass, eifersüchtig zu sein?«, fragte sie leise.