»Das ist wieder eine reine Vermutung deinerseits«, rügte ihn Fidelma.
»Sei’s drum«, meinte Conn ungerührt. »Jedenfalls stand Liadin vor der Tür, und ich habe sie festgenommen. Gleich darauf kam Irnan mit Rathend, dem Brehon. Liadin wurde in Gewahrsam gebracht. Mehr habe ich nicht zu berichten.«
»Hast du Scoriath gut gekannt?«
»Gut eigentlich nicht, bis auf die Tatsache, dass er Hauptmann der Leibwache war.
»Warst du eifersüchtig auf ihn?«
Die Frage traf Conn unvermittelt und schien ihn zu verunsichern.
»Eifersüchtig?«
»Scoriath war ein Fremder hier«, setzte ihm Fidelma auseinander. »Ein Gallier. Und doch hatte er unter den Uí Dróna ein hohes Amt inne. Hat es dich nicht gewurmt, dass ein Fremdling ein solches Ansehen genoss?«
»Er war ein guter Mann, ein prächtiger Kämpfer. Es kommt mir nicht zu, Entscheidungen in Frage zu stellen, die von den Ratgebern des Königs oder von meinem Stammesfürsten getroffen werden. Für mich galt, er war ein tüchtiger Krieger. Und was das hohe Amt angeht … Ich selber bin doch der erwählte Nachfolger des Stammesfürsten, welchen Grund sollte ich gehabt haben, auf ihn eifersüchtig zu sein?«
»Und welche Beziehung hattest du zu Liadin?«
Überzog seine Wangen eine leichte Röte?
»Überhaupt keine«, knurrte er kurz angebunden. »Sie war Scoriaths Ehefrau.«
»Eine gute Ehefrau, soviel du weißt?«
»Ich denke schon.«
»Auch eine gute Mutter?«
»In derlei Dingen kenne ich mich nicht aus. Ich bin unverheiratet.«
»Wenn sie Scoriath ermordet hat, wie du vermeinst, wundert es dich dann nicht, dass sie auch ihr eigenes Kind … einen drei Jahre alten Jungen umgebracht hat?«
Conn blieb stur. »Ich kann nur aussagen, was ich weiß.«
»Hat Scoriath dir gegenüber jemals eine Jüdin erwähnt?«
Auch jetzt war Conn von dem jähen Wechsel der Fragestellung wie vor den Kopf geschlagen. »Nie. Ich habe nie gehört, dass eine Frau von dieser Religion hier in unserer Gegend lebt. Freilich spricht man darüber, dass viele jüdische Händler den Hafen von Síl Maíluidir an unserer Südküste anlaufen. Irnan kann dir vielleicht eine Antwort geben, sie hat einige Jugendjahre dort verbracht.«
Die Magd Branar war ein grobknochiges Mädchen mit frischer Gesichtsfarbe und großen, unschuldig dreinschauenden blauen Augen. Jung, wie sie war, wusste sie nicht recht, wie sie sich verhalten sollte. Das Alter der Wahl hatte sie höchstens vor einem oder zwei Jahren erreicht. Schwester Fidelma lächelte ihr aufmunternd zu und bot ihr eine Sitzgelegenheit an. Richter Rathend, der dem Gespräch beiwohnte, war leicht verärgert, denn Fidelma hatte Branars Mutter nicht gestattet, während der Vernehmung der Tochter dabei zu sein, und hatte sie in ein Nebengelass verwiesen. Rathend war der Ansicht, Fidelma hätte mehr Mitgefühl für das junge Mädchen aufbringen müssen, das in Begleitung ihrer Mutter gekommen war. Branar war aufgeregt und eingeschüchtert.
»Wie lange dienst du schon Liadin und Scoriath als Magd?«, begann Fidelma die Befragung.
»Noch kein ganzes Jahr, Schwester.« Unruhig wackelte das Mädchen mit dem Kopf. Ihr ängstlicher Blick wanderte von Fidelma zu der steinernen Miene des Brehon und zurück zu Fidelma.
»Ein Jahr, sagst du. Arbeitest du gern für sie?«
»O ja, sie haben mich immer gut behandelt.«
»Und deine Arbeit macht dir Spaß?«
»O ja.«
»Hattest du manchmal Schwierigkeiten mit Liadin oder mit Scoriath? Haben sie niemals mit dir gezankt?«
»Nein. Ich war stets froh und zufrieden.«
»War Liadin eine liebevolle Ehefrau und Mutter?«
»O ja.«
Fidelma versuchte, anders an sie heranzukommen. »Ist dir etwas über eine Jüdin bekannt? Hat Scoriath mit einer solchen Frau zu tun gehabt?«
Erstmals zeigte Rathend eine Regung. Überrascht zog er eine Braue hoch und musterte Fidelma, hielt sich aber zurück.
»Eine Jüdin? Nie.«
»Was geschah an dem Tag, als Scoriath getötet wurde?«
Die Magd schwieg beklommen, dann hellte sich ihr Gesicht auf. »Du meinst den Streit, den ich gehört habe? Ich bin an dem Morgen wie immer in das Haus gegangen, um bei Liadin und Scoriath sauberzumachen. Sie waren in der Schlafkammer, und die Tür war geschlossen; sie schrien einander an und zankten sich fürchterlich.«
»Worum ging es? Was haben sie gesagt?«
»Das konnte ich nicht verstehen. Die Tür war ja zu.«
»Aber du hast ihre Stimmen ganz klar erkannt und gehört, dass sie sich heftig stritten, richtig?«
»Ja. Sie haben laut miteinander geredet und waren sehr wütend.«
Fidelma blickte dem Dienstmädchen ins treuherzige Gesicht. »Du hast Liadins Stimme nur durch die geschlossene Tür gehört, bist dir aber ganz sicher, sie nicht mit einer anderen zu verwechseln?«
Branar nickte eifrig.
»Na schön. Was meinst du, hast du dich an meine Stimme so gewöhnt, dass du sie ohne weiteres erkennen würdest?«
Sie zögerte verunsichert, bestätigte es dann aber mit Kopfnicken.
»Und du würdest auch die Stimme deiner Mutter erkennen?«
Das Mädchen lachte auf, weil ihr die Frage derart dumm vorkam.
Schwester Fidelma stand auf. »Ich gehe jetzt in den Nebenraum, werde die Tür zumachen und dort drinnen ganz laut reden. Wollen mal sehen, ob du verstehst, was ich sage.«
Rathend holte hörbar Luft. Nach seinem Empfinden ging Fidelma reichlich theatralisch vor.
Die Anwältin begab sich in den Nebenraum und schloss die Tür hinter sich. Branars Mutter stand sofort ehrerbietig auf und erkundigte sich ängstlich: »Ist die Befragung schon vorbei, Schwester?«
Freundlich erklärte ihr Fidelma, was sie vorhatte. »Ich möchte, dass du, so laut du nur kannst, ein paar Sätze sprichst. Sag einfach, was dir gerade einfällt. Ich will nur etwas ausprobieren.«
Die Frau starrte Fidelma an, als wäre die nicht richtig im Kopf, doch als die dálaigh ihr auffordernd zunickte, begann sie mit kräftiger Stimme zu reden. Es war eine Mischung aus sinnvollen Sätzen und unverständlichem Kauderwelsch. Schließlich gab Fidelma ihr ein Zeichen zu schweigen, öffnete die Tür und rief Branar, die sich verunsichert erhob.
»Nun, was hast du gehört?«
»Ich habe dich ganz laut reden hören, Schwester, nur konnte ich nicht alles verstehen, was du gesagt hast.«
Fidelma strahlte übers ganze Gesicht. »Aber du hast meine Stimme gehört?«
»O ja.«
»Klar und deutlich meine Stimme?«
»O ja.«
Fidelma wandte sich um und stieß die Tür weiter auf. Branars Mutter schlurfte näher und war nicht weniger verblüfft als ihre Tochter.
»Die Stimme, die du gehört hast, war die Stimme deiner Mutter, Branar. Bist du immer noch bereit, zu schwören, dass es Liadin war, die sich mit Scoriath hinter der geschlossenen Tür stritt?«
Die Räumlichkeiten, die Liadin und Scoriath bewohnt hatten, lagen neben den Stallungen, nicht weit vom Haupttor der Festung entfernt. Die Wohnung bestand aus drei Kammern: einem Wohnraum, einer Schlafkammer und einem davon abgehenden Gelass, in dem ihr kleiner Sohn sein Bett hatte und in dem Liadin ihre Gewänder aufbewahrte. Die Räume wirkten jetzt kalt und unwirtlich, obwohl sie genügend Gegenstände enthielten, die einst ein Gefühl der Behaglichkeit verbreiteten. Vielleicht lag es daran, dass auf der Herdstelle kein Feuer brannte und der düstere Tag alles noch kälter erscheinen ließ.
Rathend durchquerte den Raum, in dem Mahlzeiten gekocht und gegessen wurden; über der toten Asche hing ein eiserner Kessel an einem Haken.
»Hier wurde Scoriath ermordet«, erklärte Rathend und betrat die geräumige Schlafkammer.
Die Granitblöcke der Wände waren mit Wandbehängen verkleidet. Es gab keine Fenster, der Raum war dunkel. Rathend bückte sich und entzündete eine Talgkerze. Im Lichtschein war eine breite, mit Schnitzwerk verzierte Bettstatt zu erkennen, auf der in einem wüsten Durcheinander Laken und Decken lagen. Sie wiesen Flecken getrockneten Bluts auf.