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»Ich bin froh, ehrwürdiger Abt Colmán, dass du gekommen bist. Der Mann hier verlangt von mir, das Grab aufzubrechen. Das zu tun ist Frevel, und ich habe mich geweigert, es sei denn, ein Kirchenmann mit Rang und Namen gebietet es mir.«

Irél trat einen Schritt vor, grüßte in aller Form und fragte ohne Umschweife: »Hat dir Tressach berichtet, was vorgefallen ist?«

Spöttisch schaute ihn der Abt an, als nähme er die Sache nicht sehr ernst, und fragte mit sarkastischem Unterton: »Könnten wir die Stimme bitte mal hören?« Dabei hielt er die Hand ans Ohr wie zum Lauschen.

»Seit ich Garbh habe holen lassen, haben wir nichts mehr gehört«, erklärte Irél und bemühte sich, seinen Ärger hinunterzuschlucken. »Ich habe die ganze Zeit Garbh dazu bewegen wollen, das Grab zu öffnen. Jede Minute zählt, vielleicht liegt dort jemand im Sterben.«

Garbh gab einen Lacher von sich.

»Man braucht sich doch nur die Türen anzugucken. Fünfzehnhundert Jahre sind die schon verschlossen. Wenn da einer gestorben ist, dann vor über einem Jahrtausend.«

»Als Friedhofswärter hat Garbh völlig richtig gehandelt, wenn er sich deiner Aufforderung verweigerte«, bestätigte Colmán. »Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich dir eine solche Erlaubnis erteilen darf.«

Das war der Moment, in dem sich Fidelma zu Wort meldete.

»Wenn das so ist, dann fälle ich die Entscheidung. Meiner Meinung nach sollten wir die Gruft unverzüglich öffnen.«

Mit einer heftigen Bewegung drehte sich Colmán zu ihr um und fragte besorgt: »Meinst du das ernst?«

»Wenn ein erfahrener Befehlshaber der Garde und ein Krieger die Sache ernst nehmen, sollte das Grund genug sein, ihnen zu glauben, dass sie etwas gehört haben. Sehen wir doch einfach nach, ob dem so ist.«

Überrascht blickte Irél die junge Nonne an, während Garbh nur höhnisch grinste. Colmán fügte sich seufzend und bedeutete Garbh, mit der Graböffnung zu beginnen.

»Schwester Fidelma ist eine dálaigh, Anwältin bei Gericht, und das im Range eines anruth«, erklärte er den Umstehenden und rechtfertigte damit seine Entscheidung. »Sie hat Verfügungsgewalt.«

Fast unmerklich zuckte es um Garbhs Augen. Es war die einzige Regung, die er zeigte, als er vernahm, dass die junge Nonne den zweithöchsten Grad erlangt hatte, den es im Rechtswesen des Landes überhaupt gab. Irél war sichtlich erleichtert, weil endlich eine Entscheidung getroffen worden war.

Grabh brauchte einige Zeit, bis er die alten Verriegelungen aufgeschlagen hatte und die Tür aufschieben konnte.

Sie drängten nach vorn, und einem wie dem anderen entfuhren Entsetzenslaute.

Unmittelbar an der Tür lag die Leiche eines Mannes.

Dass es kein Leichnam aus früheren Zeiten war, sahen sie sofort. Der Tod war erst vor kurzem eingetreten. In seinem Rücken steckte ein Stab aus Holz, mit dem man ihn offensichtlich erschossen oder erstochen hatte. Er sah wie der Schaft eines Pfeils aus, aber ohne die Schwungfedern am Ende. Der Mann lag mit dem Gesicht nach unten mit ausgestreckten Armen, als hätte er versucht, die Tür von innen zu öffnen. Die Fingernägel waren abgebrochen, und an den Fingern, mit denen er in seiner Verzweiflung an der Tür herumgekratzt hatte, klebte Blut. Und erst sein Gesicht! Die Augen angstgeweitet, als wäre ihm eine finstere Macht erschienen.

Tressach zitterte heftig. »Gott habe Erbarmen mit uns!«

Grabh rieb sich verstört das Kinn.

»Die Grabstätte war nach allen Regeln der Kunst verriegelt«, murmelte er. »Ihr alle habt die Siegel an der Tür gesehen. Versiegelt seit fünfzehnhundert Jahren.«

»Und doch steckte der Mann hier drinnen und versuchte, ins Freie zu gelangen«, stellte Fidelma sachlich fest. »Offensichtlich kämpfte er mit dem Tod, als Irél veranlassen wollte, die Gruft zu öffnen. Was Tressach und Irél gehört haben, waren seine Todesschreie.«

Irél sah sie an, und als sie sich beherzt einen Schritt vorwagte, warnte er: »Das ist schwerlich der richtige Anblick für eine fromme Schwester.«

»Ich bin eine dálaigh«, erinnerte sie ihn. »Ich übernehme die Untersuchung des Falls.«

Fragend schaute Irél zum Abt, der aber nickte leicht. Daraufhin gab er den Weg frei und ließ Fidelma die Grabstätte betreten. Sie verlangte nach Laternen, die ihr den Innenraum erleuchten sollten.

Eine gewisse Neugierde trieb sie voran. Sie kannte all die Geschichten über Tigernmas, den unrühmlichen König, der seine Druiden hatte töten lassen und sich der Verehrung eines mächtigen Idols verschrieben hatte. Generationen von Kindern hatte man mit Schauermärchen verängstigt, die Seele des bösen Königs würde aus der Anderswelt aufsteigen und sie mitnehmen, wenn sie nicht den Eltern gehorchten. Und nun stand sie an der Tür zu seinem Grab, die unberührt geblieben war, seit man seinen Leichnam vor langen Zeiten hier bestattet hatte. Einladend war der Ort nicht. Die Luft war muffig, feucht, es roch nach verrotteter Erde und verwesten Pflanzen.

Das Erste, was ihr auffiel, war, dass es sich bei dem Leichnam um einen Mann mittleren Alters handelte, rundlich von der Statur her, mit weißem Haar. Sie untersuchte die aufgeschürften und blutigen Hände und stellte fest, dass Finger und Handflächen eher weich und geschmeidig waren und nicht von handwerklicher Arbeit zeugten. Auch ein näheres Betrachten der Kleidung ergab, dass sie, abgesehen vom Staub und Schmutz, die von der Grabstätte herrührten, und abgesehen von den Blutflecken um seine Wunde, gepflegt war, wie es sich für jemand höheren Ranges geziemte. Schmuck trug der Mann jedoch nicht, auch keinerlei Zeichen seines Amtes, und die Lederbörse, die er am Gürtel hatte, war bis auf ein paar Münzen leer.

Erst nach all diesen Überprüfungen wendete sie ihre Aufmerksamkeit dem Gesicht zu. Sie versuchte, sich die schreckverzerrte Grimasse wegzudenken. Doch schon im nächsten Moment zog sie die Stirn in Falten, bat darum, man möge eine Laterne näher halten, und überlegte krampfhaft, wo sie das Gesicht schon mal gesehen hatte. Von irgendwoher kannte sie es.

»Abt Colmán, schau doch mal her«, rief sie. »Ich habe das Gefühl, ich kenne den Mann.«

Nur zögernd kam der Abt ihrer Aufforderung nach und beugte sich neben ihr nieder.

»Gott verdamm mich«, stieß er entsetzt aus und merkte nicht, was ihm da herausgerutscht war. »Es ist Fiacc, der Oberste Brehon von Ardgal.«

Fidelma stimmte ihm mit bitterem Nicken zu. Sie hatte sich also nicht geirrt. Der Oberste Richter des Clans von Ardgal war einer der landesweit anerkannten Brehons.

»Er wollte gewiss an der Ratsversammlung teilnehmen«, brachte Colmán erschüttert hervor.

Fidelma erhob sich und klopfte den Staub von ihrem Habit. »Weit wichtiger ist, dass wir herausfinden, was er ausgerechnet hier suchte«, meinte sie. »Wie gelangt ein anerkannter Richter in eine Grabstätte, die über Generationen hinweg nie geöffnet wurde, und wird dort erstochen?«

»Hexerei!« Die Antwort kam mit tonloser Stimme von Tressach.

Irél strafte seinen Untergebenen mit einem sarkastischen Blick. »Lehrt uns nicht Patrick, dass es so etwas wie Hexerei nicht gibt?«, tadelte er und meinte dann zu Fidelma: »Die Sache muss sich doch irgendwie erklären lassen, Schwester.«

Sie schmunzelte über seine selbstverständliche Art, sie mit einzubeziehen.

»Für alles, was geschieht, gibt es eine Erklärung«, bestätigte sie und warf dabei einen Blick in das Innere der Grabstätte. »Sie zu finden ist jedoch nicht immer leicht.« Sie wandte sich an Colmán. »Würdest du bitte den Vorsitzenden des Konvents fragen gehen, ob Fiacc schon sein Quartier bezogen hatte und ob er als Redner vorgesehen war?«

Der Abt ließ sich nicht lange bitten und eilte davon.

Fidelmas Aufmerksamkeit galt erneut der Leiche. Die Todesursache war offenkundig. Der pfeilähnliche Holzstab steckte im Rücken des Toten unterhalb des Schulterblattes.