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Jo Nesbø

Der Fledermausmann

It rose into space, its wings spread wide, then fell, its wings now a fluttering cape wrapped tight about the body of a man.

Frank Miller

WALLA

1

Sydney, Mister Kensington und drei Sterne

Etwas lief schief.

Die Beamtin an der Paßkontrolle hatte zuerst breit gegrinst: »How are you, mate?«

»I'm fine«, hatte Harry Hole gelogen. Vor mehr als dreißig Stunden hatte er Oslo via London verlassen, und seit Bahrain, wo er ein anderes Flugzeug nehmen mußte, hatte er die ganze Zeit auf diesem verdammten Platz vor dem Notausgang gesessen. Aus Sicherheitsgründen konnte man den Sitz nur minimal nach hinten lehnen, und schon vor Singapur hatte sein Rückgrat damit gedroht, zu kollabieren.

Und jetzt grinste auch die Frau an der Paßkontrolle nicht mehr.

Sie hatte seinen Ausweis mit auffallendem Interesse studiert. Ob es das Bild war oder die Schreibweise des Namens, der sie am Anfang amüsiert hatte, war schwer zu sagen.

»Business?«

Harry Hole glaubte, daß die Zollbeamten in den meisten anderen Ländern der Welt dieser Frage ein »Sir« nachgestellt hätten, doch hatte er gelesen, daß diese Art formeller Höflichkeitsfloskeln in Australien nicht allzusehr verbreitet war. Das war auch ziemlich egal, Harry war weder sonderlich reiseerfahren noch irgendwie eingebildet, er wünschte sich nur, so schnell wie möglich in ein Hotelzimmer mit einem Bett zu gelangen.

»Yes« hatte er geantwortet und dabei mit den Fingern auf den Tisch getrommelt.

Genau in diesem Augenblick hatte sie häßlich ihre Lippen gespitzt und mit scharfer Stimme gesagt:

»Why isn't there a visa in your passport, Sir?«

Sein Herz zuckte unweigerlich zusammen, wie immer, wenn eine Katastrophe im Anmarsch zu sein schien. »Sir« wurde vielleicht nur verwendet, wenn eine Situation zu eskalieren drohte.

»Sorry, I forgot«, murmelte Harry und durchsuchte dabei fieberhaft die Innentaschen seiner Jacke. Warum hatten sie das Spezialvisum nicht wie gewöhnlich in seinen Paß heften können? Hinter sich in der Warteschlange hörte er das schwache Summen eines Walkmans und wußte genau, daß es der Nebenmann aus dem Flugzeug war. Er hatte während des ganzen Fluges immer wieder die gleiche Cassette gehört.

Warum, zum Teufel, konnte er sich nie daran erinnern, in welche Tasche er was gesteckt hatte? Zu allem Überfluß war es auch noch heiß, und das, obwohl es schon fast zehn Uhr abends war. Harry spürte, wie sein Kopf zu jucken begann.

Endlich fand er das Dokument und legte es vor ihr auf den Tisch.

»Police officer, are you?«

Die Beamtin schaute von dem Spezialvisum auf und musterte ihn, aber ihr verkniffener Mund hatte sich wieder entspannt.

»Ich hoffe, es sind keine norwegischen Blondinen ermordet worden?«

Sie lachte erfrischend auf und knallte gutgelaunt den Stempel auf das Visum.

»Well, just one«, antwortete Harry Hole.

Die Ankunftshalle des Flughafens war voller Vertreter von Reiseunternehmen und Abholern, die Schilder mit den jeweiligen Namen hochhielten, nur keins mit »Hole«. Er war kurz davor, sich ein Taxi zu nehmen, als er einen Schwarzen in Jeans und Hawaiihemd, einer ungewöhnlich breiten Nase und kurzen dunklen Locken bemerkte, der sich einen Weg durch die Schilder bahnte und langsam auf ihn zukam.

»Mr. Häo – li, I presume!« triumphierte er.

Harry Hole stutzte einen Moment. Er hatte sich darauf eingerichtet, die erste Zeit in Australien damit zu verbringen, die Aussprache seines Nachnamens zu korrigieren, um nicht mit einem Loch verwechselt zu werden. Mr. Heilig war ihm da schon um einiges lieber.

»Andrew Kensington, how are ya?« stellte sich der Mann vor, grinste und streckte ihm eine gewaltige Pranke entgegen.

Seine Hand war die reinste Saftpresse.

»Welcome to Sydney – hope you enjoyed the flight«, sagte der Fremde herzlich, wie ein Echo der Stewardeß vor etwa zwanzig Minuten. Er nahm Holes abgenutzten Koffer und begann, ohne sich noch einmal umzusehen, auf den Ausgang zuzugehen. Harry hielt sich dicht hinter ihm.

»Arbeiten Sie für die Polizei in Sydney?« begann er.

»Sure do, mate. Watch out!«

Die Schwingtür klatschte Harry voll auf die Nase, so daß ihm die Tränen in die Augen stiegen. Der Anfang einer miesen Slapstick- Komödie hätte nicht schlimmer sein können. Er rieb sich seinen Zinken und fluchte laut auf norwegisch. Kensington schaute ihn mitleidsvoll an.

»Bloody doors, ay?« sagte er.

Harry antwortete nicht. Er wußte nicht, was man hier unten auf so etwas antwortete.

Auf dem Parkplatz schloß Kensington den Kofferraum eines alten, kleinen Toyotas auf und hob den Koffer hinein.

»Do you wanna drive, mate?« fragte er überrascht.

Harry begriff, daß er auf der Fahrerseite stand. Scheiße, hier fährt man ja links. Auf dem Beifahrersitz lagen aber so viele Zeitungen, Cassetten und Müll, daß Harry sich ohne Umstände auf die Rückbank schob.

»You must be an aborigine«, fragte er, als sie auf die Autobahn fuhren.

»Guess there's no foolin' you, officer«, antwortete Kensington und blickte in den Rückspiegel.

»In Norway we call you ›australneger‹ – Australian negro

Kensington betrachtete ihn im Rückspiegel.

»Really?«

Harry begann sich unwohl zu fühlen.

»Äh, ich meine nur, daß Ihre Vorfahren ganz offensichtlich nicht zu den Strafgefangenen gehört haben, die vor zweihundert Jahren von England hierhergeschickt wurden«, entschuldigte er sich, um zu zeigen, daß er wenigstens gewisse Grundkenntnisse über die Geschichte dieses Landes besaß.

»That's right Häo-li, meine Vorfahren waren schon ein bißchen früher hier. Vierzigtausend Jahre, um genau zu sein.«

Kensington grinste in den Spiegel, und Harry beschloß, jetzt erst einmal für eine Weile den Mund zu halten.

»I see. Nennen Sie mich Harry!«

»Okay, Harry, ich bin Andrew.«

Den Rest der Strecke redete Andrew. Er fuhr Harry nach King's Cross und erklärte ihm alles: Dieses Viertel war die Heimat von Sydneys Prostituierten und das Zentrum für Drogenhandel und andere lichtscheue Aktivitäten der Stadt. Jeder zweite öffentliche Skandal schien Verbindungen zu dem einen oder anderen Hotel oder einer Stripbar dieses Quadratkilometers zu haben.

»Da wären wir«, sagte Andrew plötzlich. Er hielt am Straßenrand an, stieg aus dem Auto und holte Harrys Gepäck aus dem Kofferraum.

»See ya tomorrow«, sagte Andrew, und damit waren er und das Auto auch schon verschwunden. Mit steifem Rücken und einem Jetlag, der sich immer mehr bemerkbar machte, standen Harry und sein Koffer plötzlich alleine auf dem Bürgersteig einer Stadt, deren Einwohnerzahl in etwa der Bevölkerung von ganz Norwegen entsprach. Hinter ihm erhob sich die Fassade des Crescent Hotel. Neben dem Namen prangten drei Sterne. Oslos Polizeipräsidentin war nicht gerade bekannt dafür, besonders großzügig bei der Einquartierung ihrer Untergebenen zu sein. Aber vielleicht war es diesmal ja doch nicht so schlecht. Wahrscheinlich gab es Rabatt für den öffentlichen Dienst und besonders kleine Zimmer, dachte Harry.

Und so war es dann auch.

2

Ein tasmanischer Teufel, ein Clown und eine Schwedin

Harry klopfte vorsichtig an die Tür des Polizeichefs des Distriktes Sydney South.

»Komm' rein!« dröhnte eine tiefe Stimme von drinnen.

Ein großer, breiter Mann mit einem beeindruckenden Bauch stand hinter einem Schreibtisch aus Eiche am Fenster. Unter seinem schütteren Haar stachen graue, buschige Augenbrauen hervor, doch in den Augenfalten lag ein Lächeln.