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»Wissen Sie, mit wem sie zusammen war?«

»Eigentlich nicht. Wie gesagt, wir haben zwar miteinander geredet, aber sie hat mir nie richtig Einblick in ihr Leben gegeben. Ich habe auch nicht darum gebeten. Im Oktober ist sie einmal nach Queensland gefahren und hat dort wohl eine Gruppe aus Sydney getroffen, zu der sie seitdem Kontakt hatte. Ich glaube, sie hat dort oben einen Kerl kennengelernt, er war einmal abends hier. Aber das habe ich doch alles schon einmal erzählt«, sagte sie fragend.

»Ich weiß, liebe Miss Enquist, ich wollte nur, daß mein norwegischer Kollege das von Ihnen direkt hört und dabei auch zu sehen bekommt, wo Inger gearbeitet hat. Harry Hole gilt schließlich als Norwegens bester Ermittler, und es kann ja sein, daß wir von der Polizei in Sydney etwas übersehen haben, dem er gerne nachgehen möchte.«

Harry bekam einen kräftigen Hustenanfall.

»Wer ist Mr. Bean?« fragte er mit gequälter, fremd klingender Stimme.

»Mr. Bean?« Birgitta schaute ihn fragend an.

»Oder einer, der dem englischen Komiker … äh, Rowan Atkinson heißt der, glaube ich, ähnlich sieht.«

»Ah, Mr. Bean – ja«, sagte Birgitta und lachte wieder ihr Waldvogellachen. Das ist gut, weiter so, dachte Harry.

»Das ist Alex, der Barchef. Er kommt erst später.«

»Wir haben Grund zur Annahme, daß er an Inger interessiert war.«

»Ja, Alex hatte ein Auge auf Inger geworfen. Aber nicht nur auf Inger, die meisten Mädchen hier an der Bar waren irgendwann einmal mit seinen mehr oder weniger verzweifelten Annäherungsversuchen konfrontiert. Fiddler Ray, so nennen wir anderen ihn. Inger ist auf Mr. Bean gekommen. Er hat es nicht so leicht, der Arme. Über dreißig und wohnt noch zu Hause bei Mama. Es wird irgendwie nichts aus ihm. Aber als Chef ist er ganz in Ordnung. Und vollkommen harmlos, wenn es das ist, woran Sie denken.«

»Woher wissen Sie das?«

Birgitta rieb sich die Nase.

»Es steckt nicht in ihm.«

Harry tat so, als schreibe er etwas auf seinen Block.

»Wissen Sie, ob Inger jemanden kannte oder traf, in dem es … äh, steckte?«

»Nun, hier laufen ja eine ganze Reihe Typen herum. Das sind nicht nur Schwule, und Inger ist sicher vielen aufgefallen, so hübsch wie sie ist – war. Aber mir fällt keiner konkret ein. Nur …«

»Ja?«

»Nein, nichts.«

»Ich habe in dem Bericht gelesen, daß Inger an dem Abend, an dem sie vermutlich ermordet worden ist, hier gearbeitet hat. Hatte sie irgendwelche Verabredungen nach der Arbeit, oder ist sie direkt nach Hause gegangen?«

»Sie hat ein paar Essensreste aus der Küche mitgenommen, für den Köter, wie sie sagte. Ich wußte, daß sie keinen Hund hatte und habe deshalb gefragt, wo sie denn hin wolle. Aber sie sagte nur, sie wolle nach Hause. Mehr weiß ich nicht.«

»Der tasmanische Teufel«, murmelte Harry. Sie blickte ihn fragend an. »Ihr Vermieter hat einen Hund«, fügte er erklärend hinzu. »Den mußte sie wohl bestechen, um mit heiler Haut ins Haus zu kommen.«

Harry bedankte sich für ihre Aussage. Als sie gehen wollten, sagte Birgitta:

»Wir alle hier im Albury sind entsetzt über das, was geschehen ist. Wie haben es ihre Eltern aufgenommen?«

»Ich glaube, sie haben es nicht so leicht«, sagte Harry, »beide haben natürlich einen Schock und geben sich selbst die Schuld, daß sie zugelassen haben, daß Inger hierherkam. Der Sarg wird morgen nach Norwegen überführt. Ich kann Ihnen die Adresse in Oslo besorgen, falls jemand hier Blumen für die Beerdigung schicken will.«

»Danke, das wäre sehr nett.«

Harry hatte Lust, auch noch etwas anderes zu fragen, aber bei all dem Gerede über Tod und Beerdigung ging das einfach nicht. Auf dem Weg nach draußen brannte ihr Abschiedslächeln auf seiner Netzhaut. Er wußte, daß es dort noch eine ganze Weile brennen würde.

»Scheiße nochmal«, murmelte er, »entweder oder!«

Im Lokal standen all die Transvestiten und viele andere Gäste mittlerweile auf den Tischen und tanzten zu Katrina & The Waves. ›Walking On Sunshine‹ dröhnte aus den Lautsprechern.

»An einem Ort wie dem Albury gibt es nicht viel Zeit zum Nachdenken und Trauern«, sagte Andrew.

»Das ist wohl so«, sagte Harry, »das Leben geht weiter.«

Er bat Andrew, einen Moment zu warten, ging zurück zur Bar und winkte Birgitta zu.

»Entschuldigung, nur noch eine letzte Frage.«

»Ja?«

Harry holte tief Luft. Er ärgerte sich schon, aber jetzt war es zu spät.

»Kennen Sie hier in der Stadt ein gutes Thai-Restaurant?«

Birgitta dachte nach.

»Ja, in der Bent Street, in der City gibt es eins. Wissen Sie, wo das ist? Das soll angeblich sehr gut sein.«

»So gut, daß Sie sich vorstellen könnten, mitzukommen?«

Das klang jetzt wirklich nicht schlecht, dachte Harry. Aber es war reichlich unprofessionell. Da gab es keinen Zweifel. Birgitta stöhnte resignierend, aber so, daß Harry sich eher ermutigt fühlte. Außerdem kämpfte sie noch immer gegen ein Lächeln an.

»Verwenden Sie diese Masche oft, Wachtmeister?«

»Ganz oft.«

»Funktioniert sie?«

»Statistisch gesehen? Nicht häufig.«

Sie lachte, legte den Kopf zur Seite und schaute Harry neugierig an. Dann zuckte sie mit den Schultern.

»Warum nicht? Ich habe Mittwoch frei. Gegen neun Uhr? Und du zahlst, Bulle!«

3

Ein Bischof, ein Boxer und eine Feuerqualle

Als Harry die Augen aufschlug, war es erst vier Uhr morgens. Er versuchte wieder einzuschlafen, aber der Gedanke an Inger Kolters unbekannten Mörder und daran, daß es in Oslo jetzt acht Uhr abends war, hielt ihn wach. Außerdem erschien ihm ständig dieses sommersprossige Gesicht, mit dem er nur zwei Minuten geredet hatte, das ihn aber dennoch dazu verleitet hatte, sich auffallend dämlich anzustellen.

»Du uneleganter Hole!« flüsterte er in das Dunkel des Hotelzimmers und verfluchte sich selbst.

Um sechs Uhr meinte er, aufstehen zu können. Nach einer erfrischenden Dusche trat er ins Freie, um irgendwo zu frühstücken. Auf dem blaßblauen Himmel zeichnete sich eine unscheinbare Sonne ab. Es brummte von der City herauf, aber die morgendliche Rushhour hatte die roten Lampen und die schwarzgeschminkten Augen hier oben noch nicht erreicht. King's Cross hatte gewissermaßen den Charme der Ungezwungenheit, eine gelebte Schönheit, die ihn dazu brachte, leise vor sich hin zu singen. Abgesehen von ein paar wenigen, verspäteten Nachtschwärmern, einem auf einer Treppe schlafenden Pärchen und einer blassen, nur dürftig angezogenen Prostituierten auf Morgenschicht waren die Straßen noch leer.

Vor einem Cafe spritzte ein Mann den Bürgersteig ab, und Harry gelang es mit einem Lächeln, sich ein zeitiges Frühstück zu bestellen. Während er Speck und Toast aß, wurde seine Serviette fast von einer vorwitzigen Morgenbrise davongeweht.

»Sie sind früh dran, Holy«, sagte McCormack. »Das ist gut, das Gehirn arbeitet zwischen halb sieben und elf Uhr am besten. Wenn Sie mich fragen – danach ist das meiste nur noch Schrott. Außerdem ist es hier morgens noch richtig still. Wenn es nach neun so richtig losgeht, kann ich kaum noch zwei und zwei zusammenzählen. Können Sie das? Mein Sohn behauptet immer, er müsse die Stereoanlage laufen lassen, wenn er lernt, die Stille würde ihn sonst so schrecklich ablenken. Verrückt, was?«

» — «

»Egal, gestern jedenfalls hatte ich irgendwann die Nase voll, bin zu ihm hineinmarschiert und habe die Höllenmaschine abgestellt. ›Ich brauche das, um nachzudenken!‹ hat er geschrien. Ich habe ihm gesagt, er solle wie ein normaler Mensch lernen. ›Die Menschen sind verschieden, Vater‹, hat er mir stinksauer erwidert. Ja, wissen Sie, er ist in dem Alter.«

McCormack hielt inne und schaute auf ein Bild auf seinem Schreibtisch.

»Haben Sie Kinder, Holy? Nein? Manchmal frage ich mich ja, was zum Teufel ich da getan habe. Übrigens, in was für ein Rattenloch hat man Sie einquartiert?«