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Harry blickte auf. Sandra schaute ihn direkt an, und für einen Augenblick verschwand der Nebel aus ihren Augen.

Er glaubte ihr.

»Haben Sie die Daten überprüft, die wir Ihnen genannt haben?«

»Eines der Mädchen behauptet, an dem Abend, bevor Ihre Schwester gefunden wurde, bei ihm Acid gekauft zu haben.«

Harry knallte die Tasse so hart auf den Tisch, daß der Kaffee herausschwappte, und lehnte sich vor. Er sprach leise und schnell. »Kann ich mit ihr sprechen? Kann man sich auf sie verlassen?«

Sandras breite Lippen öffneten sich zu einem weiten Lächeln. Dort, wo der Eckzahn fehlte, klaffte ein schwarzes Loch. »Wie gesagt, sie hat Acid gekauft. Acid ist auch in Australien verboten. Sie können nicht mit ihr reden. Und die andere Frage: ob man sich auf einen Acidfreak verlassen kann?«

Sie zuckte mit den Schultern.

»Ich habe Ihnen nur gesagt, was sie mir erzählt hat. Aber sie hat vielleicht nicht die klarste Vorstellung davon, was Mittwoch und was Donnerstag ist, um es so zu sagen.«

Die Stimmung bei der Morgenbesprechung war gereizt. Selbst der Ventilator brummte tiefer als sonst.

»Sorry, Holy. Wir lassen White aus dem Spiel. Er hat kein Motiv, und seine Freundin hat bestätigt, daß er zum Zeitpunkt des Mordes in Nimbin war«, sagte Wadkins.

Harry wehrte sich.

»Aber hören Sie denn nicht, was ich sage. Angeline Hutchinson ist von Speed abhängig und was weiß ich, wovon sonst noch. Sie ist schwanger, vermutlich von Evans White. Herrgott noch mal, er ist ihr Dealer! Ihr Herr und Meister in einer Person. Sie würde alles bestätigen. Wir haben mit dem Vermieter gesprochen – diese Frau haßte Inger Holter und das mit gutem Grund, schließlich hat dieses norwegische Mädchen versucht, ihr ihren Goldjungen auszuspannen.«

»Vielleicht sollten wir uns statt dessen mal genauer diese Hutchinson anschauen«, kam es leise von Lebie. »Sie hat auf jeden Fall ein klares Motiv. Vielleicht braucht sie White als Alibi und nicht umgekehrt.«

»White lügt doch! Er wurde an dem Tag, bevor Inger Holter gefunden wurde, in Sydney gesehen.« Harry war aufgestanden und ging die zwei Schritte, für die es im Besprechungszimmer noch Platz gab, auf und ab.

»Von einer Prostituierten, die LSD nimmt und nicht einmal aussagen will«, ergänzte Wadkins und drehte sich zu Yong: »Was haben die Fluggesellschaften gesagt?«

»Die Polizei in Nimbin hat White noch drei Tage vor dem Mord mit eigenen Augen auf der Hauptstraße gesehen. Weder Ansett noch Quantas haben einen White zwischen diesem Tag und dem Zeitpunkt des Mordes auf den Passagierlisten.«

»Das heißt gar nichts«, brummte Lebie. »Ein Dealer reist ja wohl kaum unter seinem eigenen Namen. Außerdem kann er den Zug genommen haben. Oder das Auto, wenn er genug Zeit hatte.«

Harry war es richtig heiß.

»Ich sag das noch einmaclass="underline" Eine amerikanische Statistik besagt, daß das Opfer in über siebzig Prozent aller Tötungsdelikte seinen Mörder kennt. Trotzdem konzentrieren wir uns bei unseren Nachforschungen auf einen Serienmörder. Und die Chancen, den zu fassen, sind, wie wir alle wissen, wohl ebenso groß wie ein Lottogewinn. Laßt uns doch lieber da etwas unternehmen, wo wir etwas in der Hand haben. Immerhin gibt es einen Kerl, für den ein paar Indizien sprechen. Es geht jetzt ganz einfach darum, ihn ein bißchen weich zu kochen. Zu handeln, solange die Spuren noch frisch sind. Ihn herzuzitieren und ihm mit einem Haftbefehl vor der Nase herumzuwedeln. Ihn dazu zu bringen, Fehler zu machen. Im Moment hat er uns genau da, wo er uns haben will, nämlich auf dem … dem …« Vergeblich suchte er ein englisches Wort für »Abstellgleis«.

»Hmm«, sagte Wadkins und dachte laut, »natürlich würde es nicht gut aussehen, wenn sich jemand, den wir so unmittelbar vor der Nase hatten, schließlich als schuldig herausstellen würde. Ohne daß wir reagierten.«

In diesem Moment ging die Tür auf, und Andrew kam herein. »Guten Tag, Leute, entschuldigt die Verspätung. Aber irgend jemand muß ja dafür sorgen, daß die Straßen da draußen sicher sind. Was ist los, Chef, Sie haben so tiefe Falten auf der Stirn wie das Jamison Valley.«

Wadkins seufzte.

»Wir überlegen uns gerade, ob wir unsere Ressourcen ein wenig umverteilen. Ob wir die Serienmördertheorie ein bißchen ruhen lassen und uns statt dessen mehr auf Evans White konzentrieren. Oder Angeline Hutchinson. Holy glaubt, daß ihr Alibi nicht sonderlich viel wert ist.«

Andrew lachte. »Ich würde gerne die fünfundvierzig Kilo schwere Schwangere sehen, die mit bloßen Händen das Leben aus einer drallen skandinavischen Matrone quetscht. Und sie anschließend noch fickt.«

»War ja nur ein Gedanke«, murmelte Wadkins.

»Und was Evans White betrifft, das könnt ihr ruhig vergessen.« Andrew wischte den Apfel an seinem Jackenärmel ab.

»Aha?«

»Ich habe mit einem Informanten gesprochen. Er war am Mordtag in Nimbin, um Gras zu kaufen, und hat dort von Evans Whites toller Ware gehört.«

»Ja und?«

»Es hat ihm niemand gesagt, daß White bei sich zu Hause nichts verkauft, und so ist er zu ihm aufs Land gefahren, nur um dann von einem übelgelaunten Kerl mit Schrotflinte vom Hof gejagt zu werden. Ich habe ihm das Bild gezeigt. Sorry, Leute, aber es gibt keinen Zweifel mehr, daß Evans White am Mordtag in Nimbin war.«

Es wurde still im Raum.

Nur das Knacken und Schlagen des Ventilators war zu hören, als Andrew in seinen Apfel biß.

»Also zurück an die Arbeit«, sagte Wadkins.

Harry verabredete sich mit Birgitta um fünf Uhr vor dem Opernhaus, um mit ihr einen Kaffee zu trinken, bevor sie zur Arbeit mußte. Als sie sich dort trafen, war die Cafeteria geschlossen. Auf einem Zettel stand irgend etwas von einer Ballettvorstellung.

»Es ist immer irgend etwas«, sagte Birgitta. Sie lehnten sich an das Geländer und schauten über die Meeresbucht nach Kirribilli auf der anderen Seite. Ein rostiger, häßlicher Kahn mit russischer Flagge fuhr hinaus, und weiter draußen vor Port Jackson sahen sie gespannte weiße Segel, die stillzustehen schienen.

»Was machst du jetzt?« fragte sie.

»Es bleibt hier nicht mehr so viel für mich zu tun. Der Sarg mit Inger Holter ist auf dem Weg nach Hause. Das Beerdigungsinstitut in Oslo hat mich heute früh angerufen. Sie erklärten mir, daß sich die Botschaft um die Überführung gekümmert habe: Sie sprachen von dem ›Leichnam‹, fast ein Fachwort für die Toten in dieser Branche. Geliebte Kinder haben so viele Namen, und ich finde es immer wieder merkwürdig, daß der Tod ebenso viele hat.«

»Also, wann fährst du?«

»Sobald wir mit allen, die mit Inger Holter zu tun hatten, gesprochen haben und wir wissen, daß sie nichts mit der Sache zu tun haben. Ich werde heute morgen mit McCormack sprechen. Vermutlich fliege ich noch vor dem Wochenende. Wenn nicht noch eine konkrete Spur auftaucht. Sonst kann das eine langwierige Sache werden, und für diesen Fall haben wir abgesprochen, daß sich die Botschaft um den weiteren Kontakt kümmert.«

Sie nickte. Eine japanische Reisegruppe stellte sich unmittelbar neben sie, und das Surren der Filmkameras mischte sich mit einer Kakophonie aus Japanisch, Möwengeschrei und dem Motorengeräusch vorbeifahrender Schiffe.

»Wußtest du übrigens, daß derjenige, der das Opernhaus auf dem Zeichenbrett entworfen hat, sich ganz einfach abgesetzt hat?« fragte Birgitta plötzlich. »Als sich die Wellen wegen der Kostenüberschreitung des Sydney Opera House überschlugen, hat der dänische Architekt Jørn Utzon das ganze Projekt aus Protest einfach fallen lassen und ist abgehauen.«

»Ja«, sagte Harry, »wir haben letztes Mal, als wir hier waren, darüber gesprochen.«

»Aber stell dir das doch mal vor, einfach abzuhauen, wenn du etwas begonnen hast. Etwas, von dem du wirklich glaubst, daß es gut wird. Ich glaube, ich könnte das nicht.«

Es war längst klar, daß Harry Birgitta ins Albury begleiten würde, sie also nicht den Bus nahm. Aber sie hatten sich nicht allzuviel zu sagen und gingen schweigend durch die Oxford Street in Richtung Paddington. In der Ferne grummelte ein Donner, und Harry blickte verwundert in den klaren blauen Himmel. An einer Ecke stand ein grauhaariger, distinguierter älterer Herr in korrektem Anzug mit einem Plakat: »Der Geheimdienst hat mir meine Arbeit und mein Heim gestohlen und mein Leben zerstört. Offiziell gibt es sie nicht. Sie haben weder Adresse noch Telefonnummer und tauchen auch im Staatsbudget nicht auf. Sie glauben, daß man sie nicht anklagen kann. Helfen Sie mir, die Banditen zu finden und sie für ihre Untaten zu bestrafen. Unterschreiben Sie oder helfen Sie mir mit einer Spende.« Er hielt ein Heft voller Unterschriften in die Höhe.