»Smertzen!« versprach Khan und hob die Arme über seinen Kopf. Er brauchte keinen Hammer. Der Schlag traf Harry auf der Brust und lähmte augenblicklich alle Herz- und Atemfunktionen. Deshalb konnte er den dunklen Mann nicht sehen, der den Ball von der Wand nahm, mit dem Australien 1969 Pakistan besiegt hatte; eine steinharte kleine Kugel mit einem Durchmesser von 7,6 cm und einem Gewicht von 160 Gramm. Der Neuankömmling neigte den Oberkörper nach kurzem Anlauf etwas seitlich zurück und streckte den Arm nach hinten aus. Mit gewaltiger Kraft fuhr der Arm in einer horizontalen Bewegung nach vorne – mit gebeugtem Ellbogen wie beim Baseball, nicht wie beim Cricket mit gestrecktem Arm in einem Bogen über dem Kopf –, so daß der Ball nicht erst lange durch die Luft flog, sondern geradewegs auf sein Ziel zuschoß.
Im Gegensatz zu Rods zögerte Khans Kleinhirn nicht eine Sekunde, als der harte Ball direkt unter dem Haaransatz auf seine Stirn knallte: es sagte unmittelbar »Gute Nacht«. Khan begann zu fallen, langsam und unaufhörlich wie ein gesprengter Wolkenkratzer.
Inzwischen hatten sich auch die anderen drei am Tisch mit düsteren Mienen erhoben. Der dunkle Neuankömmling tänzelte nach vorne und hielt dabei die Arme locker schützend vor sich. Einer der Männer sprang auf ihn zu, und Harry – der trotz seiner Benommenheit den Mann zu erkennen glaubte – tippte richtig: Der dunkle Mann wich aus, tänzelte dann wieder vor und schlug zwei leichte linke Gerade, fast als wolle er den Abstand messen, bevor die Rechte in einem vernichtenden Aufwärtshaken hervorschoß. Zum Glück war es in diesem Teil des Lokals so eng, daß sich nicht alle gleichzeitig auf ihn stürzen konnten. Während der erste Mann ausgezählt wurde, ging der zweite zum Angriff über. Er bewegte sich etwas vorsichtiger und hielt seine Arme auf eine Weise vor sich, die vermuten ließ, daß er zu Hause den einen oder anderen farbigen Gürtel irgendeiner Kampfsportart mit asiatischem Namen hängen hatte. Der erste, testende Ausfall blieb in der Deckung des Dunklen hängen, und während er herumwirbelte, um den klassischen Karatetritt anzuwenden, hatte der Farbige bereits eine neue Position eingenommen. Der Tritt ging ins Leere.
Nicht aber die rasche Links-Rechts-Links-Kombination, die den Karatemann taumelnd an die Wand schickte. Der Dunkle tanzte ihm nach und schlug eine linke Gerade, so daß der Kopf nach hinten kippte und mit ekligem Klatschen an die Wand knallte. Er glitt wie ein Essensrest, den jemand an die Wand geschmissen hatte, langsam zu Boden. Der Cricket-Werfer verpaßte ihm auf dem Weg zum Boden noch eine, doch das war vermutlich vollkommen überflüssig.
Rod hatte sich auf einen Stuhl gesetzt und schaute dem ganzen Treiben mit glasigen Augen zu.
Es klickte scharf, als das Springmesser des dritten Mannes aufklappte. Als er mit gebeugtem Rücken und ausgestreckten Armen auf den dunklen Mann zuging, kotzte Rod auf seine Schuhe – ein sicheres Zeichen für eine Gehirnerschütterung, stellte Harry zufrieden fest. Ihm war tatsächlich auch ein bißchen übel, insbesondere als er sah, daß sich der erste Mann wieder aufgerappelt und den einen Cricket-Schläger von der Wand genommen hatte und sich von hinten dem Boxer näherte. Der Mann mit dem Messer stand jetzt direkt neben Harry, ohne ihn allerdings zu beachten.
»Hinter dir, Andrew!« rief Harry und warf sich über den Arm mit dem Messer des dritten Mannes. Er hörte den dumpfen, dunklen Knall des Schlägers und daß Stühle und Tische umgeworfen wurden, mußte sich aber auf den Mann mit dem Messer konzentrieren, der sich wieder befreit hatte und jetzt mit weitausschweifenden, theatralischen Bewegungen und einem irrwitzigen Grinsen auf den Lippen auf ihn zukam. Harrys Blick fixierte den Mann, während er versuchte, auf dem Tisch hinter sich irgend etwas Brauchbares zu finden. Immer noch hörte er das Geräusch des Cricket-Schlägers hinter sich.
Der Messermann lachte und näherte sich, wobei er das Messer zwischen der rechten und der linken Hand jonglierte.
Harry sprang vor, stach zu und sprang wieder zurück. Der rechte Arm des Mannes sank schlapp an die Seite seines Körpers, und das Messer fiel klirrend auf den Steinboden. Verwirrt schaute er auf seine rechte Schulter, aus der das Ende eines Grillspießes mit einer einsamen Champignonscheibe herausragte. Der rechte Arm wirkte vollkommen gelähmt. Ungläubig und noch immer mit einem verwirrten Gesichtsausdruck zog er mit der linken Hand an dem Spieß, wie um zu überprüfen, ob dieser wirklich echt war. Ich muß einen Muskelansatz getroffen haben oder einen Nerv, dachte Harry, als er zuschlug.
Er spürte nur, daß er etwas Hartes traf, und ein stechender Schmerz fuhr ihm durch die Hand und Arm. Der Messermann schwankte einen Schritt zurück, wobei er Harry mit einem verletzten Blick anschaute. Aus seinem Nasenloch troff zähes, dunkles Blut. Harry hielt sich seine rechte Hand. Dann hob er sie an, um noch einmal zuzuschlagen, entschied sich schließlich aber anders.
»Es tut so verdammt weh, zuzuschlagen! Kannst du nicht einfach aufgeben?« fragte er.
Der Messermann nickte und setzte sich neben Rod, der den Kopf noch immer zwischen den Beinen hatte.
Als Harry sich umdrehte, sah er, daß Borroughs den ersten Mann mit einer Pistole in Schach hielt, während Andrew leblos zwischen umgestürzten Tischen auf dem Boden lag. Ein Teil der anderen Gäste hatte sich aus dem Staub gemacht, andere standen da und schauten neugierig zu, die meisten aber saßen noch immer ganz einfach an der Bar und sahen fern. Es lief das Cricket-Match zwischen Australien und England.
Als die Krankenwagen kamen, um die Verletzten abzuholen, sorgte Harry dafür, daß Andrew den ersten Wagen bekam. Harry blieb an seiner Seite, als sie ihn auf einer Bahre hinaustrugen. Andrew blutete noch immer aus dem einen Ohr, und es rasselte gräßlich, wenn er atmete, aber er war mittlerweile bei Bewußtsein.
»Ich wußte nicht, daß du Cricket spielst, Andrew. Ein feiner Wurfarm, aber war es wirklich nötig, so hart vorzugehen?«
»Du hast recht. Ich habe die Lage vollkommen falsch eingeschätzt. Du hattest ja alles unter Kontrolle.«
»Nein«, sagte Harry, »ich sollte ehrlich sein und zugeben, daß das nicht stimmt!«
»Okay«, sagte Andrew. »Und ich gebe zu, daß ich verdammt üble Kopfschmerzen habe und mich ärgere, daß ich überhaupt aufgetaucht bin. Es wäre richtiger, wenn du jetzt hier liegen würdest. Und das meine ich jetzt wirklich so.«
Die Krankenwagen kamen und fuhren wieder weg, und schließlich waren nur noch Harry und Borroughs in der Bar.
»Ich hoffe, wir haben nicht zu viel Inventar zerschlagen«, sagte Harry.
»Nein, das war nicht so tragisch. Außerdem legen meine Gäste Wert auf ein bißchen Live-Unterhaltung zwischendurch. Aber Sie sollten in der nächsten Zeit vielleicht ein wenig auf der Hut sein. Der Chef der Jungs wird nicht sonderlich glücklich sein, wenn er davon erfährt«, sagte Borroughs.
»Aha?« erwiderte Harry. Er ahnte, daß Borroughs ihm etwas zu sagen versuchte. »Und wer ist ihr Chef?«
»Ich habe nichts gesagt, aber der Kerl auf dem Bild, mit dem Sie da rumgewedelt haben, sieht ihm verdammt ähnlich.«
Harry nickte einvernehmlich.
»Darauf hätte ich vorbereitet sein sollen und entsprechend bewaffnet. Haben Sie etwas dagegen, wenn ich noch einen extra Grillspieß mitnehme?«
9
Zwei Exhibitionisten, ein Alki, ein Schwuler und Black Snake
Harry fand in King's Cross tatsächlich einen Zahnarzt, der einen Blick in seinen Mund warf und feststellte, daß da einige Instandsetzungsarbeiten notwendig seien, um den einen, in der Mitte durchgebrochenen Schneidezahn wieder in Ordnung zu bringen. Er machte ein Provisorium und verlangte ein gewaltiges Honorar, das Harry hoffte, später einmal, in einer wohlgesonnenen Stunde, vom Osloer Polizeipräsidium erstattet zu bekommen.