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Ein paar Männer gingen langsam vorbei und blieben dann am Rande des Lichtkegels der Laterne stehen.

»Und dann habe ich mich gefragt: warum ihn füttern, wenn Inger doch mit Fleischresten aus dem Albury auf dem Heimweg war? Zuerst habe ich nicht glauben wollen, daß Sie überhaupt nichts miteinander geredet haben, und dachte, das sei vielleicht für den nächsten Tag oder so, aber dann fiel mir etwas ein, an das ich sofort hätte denken müssen – daß Ihr Hund kein Fleisch frißt … jedenfalls kein Fleisch fressen soll. Aber was wollte Inger dann mit den Essensresten? Sie hatte in der Bar gesagt, das sei für den Hund, und warum sollte sie da lügen?«

»Das weiß ich nicht«, sagte Robertson.

Harry sah, daß Robertson auf die Uhr schaute. Seine Vorstellung sollte wohl gleich beginnen.

»Nur eine letzte Frage, Robertson. Was wissen Sie über Evans White?«

Robertson drehte sich zu ihm um und schaute ihn mit wäßrigen, hellblauen Augen an. Lag da eine Spur von Furcht in seinem Blick?

»Herzlich wenig«, sagte Robertson.

Harry gab auf. Er war nicht großartig weitergekommen. In seinem Inneren kochte eine Lust zu jagen und zu fangen, aber das Ganze schien ihm immer wieder durch die Finger zu gleiten. Verdammt noch mal, in ein paar Tagen würde er ohnehin auf dem Weg weg von hier sein, aber auch der Gedanke daran besserte seine Laune merkwürdigerweise kein bißchen.

»Was Sie von den Zuschauern gesagt haben«, begann Robertson, »es wäre mir wichtig, daß Sie …«

»Ich werde Ihre Vorstellung nicht kaputtmachen, Robertson. Ich weiß, daß diejenigen, die kommen, sicher etwas davon halten.« Er warf einen Blick in seine Zigarettenschachtel, nahm eine Kippe heraus und steckte das Päckchen mit den restlichen Zigaretten in Josephs Jackentasche. Dann stand er auf.

»Ich hab die Nummer meiner Witwe jedenfalls geschätzt!«

Wie gewöhnlich herrschte im Albury gute Stimmung. In voller Lautstärke lief »It's Raining Men«, und auf der Bühne standen drei Jungs, die alle nur eine lange Stola und sonst keine weiteren Kleidungsstücke trugen. Das Publikum grölte und sang mit. Harry blieb stehen, um einen kurzen Blick auf die Show zu werfen, bevor er zu Birgitta an die Bar ging.

»Warum singst du nicht mit, handsome?« fragte ihn eine wohlvertraute Stimme. Harry drehte sich um. Otto trug heute nicht seine volle Montur, sondern ganz einfach ein ausgeschnittenes, rosa Seidenkleid. Die zarte Andeutung von Mascara und Lippenstift ließ aber erkennen, daß er trotz allem mit seinem Äußeren einverstanden war.

»Ich habe wohl kaum die Stimme dafür, Otto, tut mir leid.«

»Puh, ihr Skandinavier seid alle gleich. Ihr könnt einfach nicht aus eurer Haut, bevor ihr nicht so viele Drinks intus habt, daß ihr ohnehin nicht mehr in der Lage seid zu … ach du weißt schon, was!«

Harry lächelte über Ottos gesenkte Augenlider.

»Flirte nicht mit mir, Otto. Ich bin verloren.«

»Hoffnungsloser Hetero, was?«

Harry nickte.

»Laß mich dir wenigstens einen Drink spendieren, handsome. Was willst du?« Er bestellte einen Grapefruitsaft für Harry und eine Bloody Mary für sich. Sie stießen miteinander an, und Otto kippte die Hälfte seines Drinks in einem Schluck hinunter.

»Das einzige, das gegen Liebeskummer hilft«, sagte er und kippte den Rest hinterher, schauderte, bestellte einen neuen Drink und fixierte Harry mit seinem Blick. »Du hast also noch nie Sex mit einem Mann gehabt? Und auch noch nie davon geträumt?«

Harry drehte das Glas in seiner Hand herum. »Das kommt darauf an, was du mit träumen meinst. Ich würde das wohl eher einen Alptraum nennen.«

»Aha, da haben wir es!« Otto wedelte mit seinem Zeigefinger. »Du hast dir im Schlaf also schon diese Frage gestellt! Auch du kannst dein Unterbewußtsein nicht betrügen, handsome. Ich seh doch in deinen Augen, daß du das in dir hast. Die Frage ist bloß, wann es aktiviert wird.«

»Ich habe schon immer darauf gewartet, daß jemand den Schwulen in mir weckt«, erwiderte Harry trocken. »Sorry aber ich glaub da nicht dran. Das ist doch von Geburt an irgendwie physisch festgelegt. Entweder man ist so oder nicht. Das ganze Gerede über Umwelt und Erziehung ist doch Bullshit!«

»Was sagst du da? Wo ich doch immer geglaubt habe, meine Schwester und meine Mutter seien an all dem schuld …«, rief Otto und faßte sich theatralisch an die Stirn.

Harry überhörte ihn und fuhr fort:

»Die Wissenschaftler wissen das, weil man in den letzten Jahren die Gehirnforschung bei Schwulen intensivieren konnte. Aids hat die Verfügbarkeit von Leichen solcher Personen, die bekanntermaßen schwul waren, effektiv erhöht …«

»Ohne Zweifel eine der wenigen positiven Seiten dieser Krankheit«, sagte Otto lakonisch und saugte an seinem Strohhalm.

»Man hat herausgefunden, daß physische Unterschiede zwischen Gehirnen von Homosexuellen und Heterosexuellen existieren.«

»Euer Gehirn ist kleiner, erzähl mir was Neues, handsome!«

»Das Paradoxe ist, daß dieser winzige Spalt, oder was auch immer einen zum Schwulen werden läßt, vererbbar sein soll!«

Otto verdrehte die Augen. »Na und? Glaubst du etwa, ein Schwuler vögelt nicht auch Frauen, wenn es sein muß? Wenn die Gesellschaft das von ihm verlangt? Wenn man ihm keine Alternativen läßt?« Otto gestikulierte unzweideutig herum. »Wenn die Frau ein Surrogat sein kann, warum nicht? Das ist doch der gleiche soziale Mechanismus, der dazu führt, daß es Heteromänner im Gefängnis miteinander treiben.«

»So, so, Schwule vögeln also auch Frauen?« fragte Harry.

»Ich habe zum Glück nie in einem solchen mentalen Gefängnis gesteckt, wie es die meisten Schwulen erdulden müssen. Ich stamme aus einer Künstlerfamilie und habe mich zum Schwulsein bekannt, als ich zehn Jahre alt war. Damals bloß, um mich interessant zu machen. Später habe ich aber nie einen Grund gefunden, es wieder zurückzunehmen. Für mich ist es wohl ebenso schwer, mir vorzustellen, was alles passieren müßte, damit ich es mit einer Frau mache, wie für dich, den jungen Mann in der Nachbarzelle zu bespringen. Obwohl ich ja glaube, daß das für dich doch etwas leichter wäre …«

»Jetzt hör aber auf! Was ist denn das überhaupt für eine Diskussion?« rief Harry.

»Du quetschst mich doch nur aus Neugierde aus, handsome!« Otto legte seine Hand auf die von Harry. »Vielleicht sollten wir uns irgendwann einmal um dieses Interesse kümmern.«

Harry spürte, daß er warme Ohren bekam. Insgeheim verfluchte er diesen schwulen Clown, der ihn, den alten Jungen, so verlegen werden ließ, daß er aussah wie ein Engländer nach sechs Stunden an einem spanischen Strand.

»Laß uns eine derbe, richtig vulgäre Wette abschließen«, sagte Otto mit vor Freude glänzenden Augen. »Ich setze hundert Dollar darauf, daß deine weiche, schlanke Hand, noch bevor du nach Norwegen zurückfährst, meine edleren Teile streicheln wird. Wagst du es? Hältst du die Wette?«

Otto klatschte in die Hände und jubelte vor Begeisterung, als er Harrys purpurrotes Gesicht sah.

»Wenn du darauf bestehst, Geld unter die Leute zu bringen, also bitte!« sagte Harry. »Aber ich dachte, du hättest Liebeskummer, Otto! Solltest du nicht lieber zu Hause sitzen und an etwas anderes denken als daran, Heteros zu verführen?« Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, bereute er sie auch schon. Er hatte es nie vertragen können, wenn sich jemand auf seine Kosten amüsierte.

Otto zog seine Hand zurück und schaute ihn verletzt an.

»Entschuldigung, das war dumm, ich habe das nicht so gemeint«, sagte Harry.

Otto zuckte mit den Schultern.

»Gibt es etwas Neues bei euren Nachforschungen?« fragte er.

»Nein«, sagte Harry erleichtert darüber, daß sie das Thema gewechselt hatten. »Es sieht so aus, als müßten wir außerhalb ihres Bekanntenkreises suchen. Kanntest du sie übrigens?«

»Alle hier kannten Inger.«

»Hast du mal mit ihr gesprochen?«

»Tja, ich werd schon mal ein Wort mit ihr gewechselt haben. Wenn du mich fragst, sie war ein bißchen zu leichtsinnig.«