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»Sie hatten also keine Ahnung, zu wem sie einen besonders guten Draht hatte, Tomaros?«

Er zuckte mit den Schultern.

»Der Clown, natürlich, aber sein Interesse geht ja wohl eher in eine andere Richtung …«

»Der Clown?«

»Otto Rechtnagel, ein Stammgast. Sie hat ihm gewöhnlich Essen für …«

»… den Hund!« schrie Harry. Tomaros sprang aus seinem Stuhl auf. Harry stand auf und schlug mit der Faust in die offene Handfläche.

»Das ist es! Otto hat gestern an der Bar eine Tüte bekommen. Das waren Essensreste für den Hund! Ich erinnere mich jetzt auch daran, daß er mir gesagt hat, er habe einen Hund. Inger hat Birgitta an dem Abend, bevor sie ging, gesagt, daß sie noch Essensreste für den Hund mitnimmt, und wir haben die ganze Zeit geglaubt, die seien für den Hund ihres Vermieters bestimmt gewesen. Aber der tasmanische Teufel ist Vegetarier. Wissen Sie, was das für Reste waren? Und wo Rechtnagel wohnt?«

»Guter Gott, woher soll ich das denn wissen?« fragte Tomaros erschrocken. Er hatte seinen Stuhl ganz nach hinten an das Bücherregal geschoben.

»Okay, hören Sie mir zu. Sagen Sie nichts über dieses Gespräch, zu niemandem, nicht einmal Ihrer lieben Frau Mutter, sonst komme ich zurück und mache Sie einen Kopf kürzer. Haben Sie verstanden, Mr. Be … Tomaros?«

Alex Tomaros nickte nur.

»Und jetzt brauche ich Ihr Telefon.«

Der Ventilator knirschte jämmerlich, aber das bemerkte niemand im Zimmer. Alle hatten ihre Aufmerksamkeit auf Yong gerichtet, der eine Folie mit der Karte von Australien auf den Tageslichtprojektor gelegt hatte. Auf der Karte hatte er kleine rote Punkte und Daten eingezeichnet.

»Das sind die Orte und Zeiten der Vergewaltigungen, von denen wir glauben, daß sie unser Mann begangen hat«, sagte er. »Wir haben früher schon einmal vergeblich versucht, ein geographisches oder zeitliches Muster zu erkennen. Jetzt scheint Harry das aber für uns herausgefunden zu haben.«

Yong legte eine andere Folie mit derselben Karte über die erste. Auf ihr waren blaue Punkte eingezeichnet, die fast alle roten auf der Folie darunter abdeckten.

»Was ist das?« fragte Wadkins ungeduldig.

»Das haben wir aus dem Tourneeplan des Australian Travelling Showpark entnommen, eines umherreisenden Vergnügungsparks. Die Punkte zeigen, wo sie sich während der entsprechenden Daten aufgehalten haben.«

Der Ventilator fuhr mit seinem Klagelied fort, doch ansonsten war es vollkommen still im Raum.

»Heiliger Jeremias, wir haben ihn!« platzte Lebie heraus.

»Die Wahrscheinlichkeit, daß das ein Zufall ist, entspricht statistisch in etwa eins zu vier Millionen«, lächelte Yong.

»Moment, Moment, auf wessen Spur sind wir jetzt, wen suchen wir?« fiel Wadkins ein.

»Wir suchen nach diesem Mann«, sagte Yong und legte eine dritte Folie auf. Auf der Leinwand erschien ein schüchternes Lächeln in einem blassen, etwas aufgedunsenen Gesicht. Zwei traurige Augen schauten sie an. »Harry kann uns erzählen, um wen es sich hier handelt.«

Harry stand auf.

»Das ist Otto Rechtnagel, ein professioneller Clown, 42 Jahre alt, der in den letzten zehn Jahren mit dem Australian Travelling Showpark herumgereist ist. Wenn er nicht auf Reisen ist, wohnt er alleine hier in Sydney und arbeitet als Freelancer. Im Augenblick hat er eine kleine Zirkustruppe um sich geschart, die hier in der Stadt Vorstellungen gibt. Soweit wir informiert sind, hat er keine Vorstrafen, und er wurde früher auch noch nie im Zusammenhang mit Sexualverbrechen verdächtigt. Er gilt als ein gemütlicher, ruhiger Zeitgenosse, ist aber recht exzentrisch. Der springende Punkt ist, daß er die Ermordete kannte. Er ist Stammgast in dem Restaurant, in dem Inger Holter arbeitete, und sie haben sich wohl auch miteinander angefreundet. Sie war in der Nacht, in der sie ermordet wurde, vermutlich auf dem Weg zu Otto Rechtnagel. Mit Essensresten für seinen Hund.«

»Essenreste für den Hund?« lachte Lebie. »Um halb zwei Uhr nachts? Da wollte unser Clown doch vielleicht noch mehr, denke ich.«

»Und genau das ist das Komische an der Sache«, sagte Harry. »Otto Rechtnagel genießt, seit er zehn Jahre alt war, den Ruf eines hundertprozentigen Homosexuellen.«

Diese Auskunft wurde rund um den Tisch mit Gemurmel quittiert.

Wadkins stöhnte: »Glauben Sie, daß ein homosexueller Mann sieben Frauen ermordet und sechsmal so viele vergewaltigt haben kann?«

McCormack hatte den Raum betreten, er war vorher bereits informiert worden: »Wenn du ein Leben lang schwul warst und immer nur schwule Freunde hattest, ist es wohl nicht gerade unverständlich, daß du es mit der Angst bekommst, wenn du auf einmal bemerkst, daß es bei dem Anblick praller, wohlgeformter Busen in deinem kleinen Freund da unten plötzlich zu zucken beginnt. Zum Teufel noch mal, wir sind in Sydney, der einzigen Stadt der Welt, in der man als Hetero etwas Unnatürliches ist.«

McCormacks dröhnendes Lachen übertönte Yongs Gewieher, das seine Augen zu zwei kleinen, schmalen Schlitzen verformte.

Wadkins aber ließ sich nicht von der guten Stimmung mitreißen. Er kratzte sich am Kopf. »Trotzdem gibt es da einiges, das nicht paßt. Warum sollte sich jemand, der immer so kalt und berechnend war, plötzlich so bloßstellen? Ein Opfer auf diese Art zu sich nach Hause einzuladen … ich meine – er konnte ja nicht wissen, ob Inger jemandem sagen würde, wohin sie wollte. Das würde ja heißen, daß er uns selbst direkt zu sich leitet. Außerdem scheinen doch all die anderen Opfer zufällig ausgewählt worden zu sein. Warum sollte er seine Verhaltensweise auf einmal so grundlegend ändern und ein Mädchen nehmen, das er kennt?«

»Das einzige, was wir über diesen armen Kerl wissen, ist doch, daß er kein klares Muster hat«, sagte Lebie und hauchte einen seiner Ringe an. »Ganz im Gegenteil scheint er doch selbst die Variationen zu lieben. Abgesehen davon, daß die Opfer Blondinen sein müssen« – er putzte den Ring mit dem Ärmel seines Hemds – »und hinterher mit Vorliebe erwürgt werden.«

»Eins zu vier Millionen«, wiederholte Yong.

Wadkins seufzte.

»Okay, ich gebe auf. Vielleicht sind unsere Gebete ganz einfach erhört worden. Vielleicht hat er endlich diesen Fehler gemacht.«

»Was werdet ihr jetzt tun?« fragte McCormack.

Harry ergriff das Wort. »Otto Rechtnagel wird wohl kaum zu Hause sein, heute abend ist die Premiere eines neuen Programmes seiner Zirkustruppe am Bondi Beach. Ich schlage vor, daß wir dort hingehen, ihn auftreten lassen und unmittelbar nach der Vorstellung festnehmen.«

»Ich glaub, unser norwegischer Freund hat einen Hang zum Dramatischen«, sagte McCormack.

»Wenn die Vorstellung abgebrochen werden muß, haben wir sofort die Medien auf dem Hals, Sir.«

McCormack nickte leicht. »Wadkins?«

»Für mich ist das in Ordnung, Sir.«

»Okay, holt ihn euch, Jungs.«

Andrew hatte die Decke bis zum Kinn hochgezogen und sah aus, als liege er in einem Ausstellungsbett. Die Schwellungen in seinem Gesicht hatten ein interessantes Farbspektrum angenommen. Seine Züge verzogen sich voller Schmerzen, als er versuchte, Harry zuzulächeln.

»Mein Gott, tut es so weh zu lächeln?« fragte Harry.

»Alles tut weh. Es tut sogar weh zu denken«, brummte Andrew mürrisch.

Auf seinem Nachtschränkchen stand ein Blumenstrauß.

»Von einer heimlichen Verehrerin?«

»Nenn es, wie du willst. Er heißt Otto. Und morgen kommt mich Toowoomba besuchen, und heute bist du da. Es tut gut, sich geliebt zu fühlen.«

»Ich habe dir auch etwas mitgebracht. Gönn sie dir, wenn es niemand sieht.« Harry hielt eine dicke, schwarze Zigarre hoch.

»Ah, Madura. Natürlich. Von meinem geliebten norwegischen Amarillo!« Andrew strahlte und lachte so vorsichtig wie es nur ging.

»Wie lange kenne ich dich jetzt, Andrew?«

Andrew streichelte die Zigarre wie ein Katzenjunges.

»Schon ein paar Tage, mate. Man kann uns bald als Brüder betrachten.«