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»Ich hoffe, Sie haben recht, Konstabel.«

»Nennen Sie mich Harry.«

»Kaffee, Harry?«

Harry nahm gerne einen und legte den Schlüsselbund vor ihnen auf den Tisch.

»Ah, da ist er ja«, sagte der Wachmann. »Der Schlüsselbund, den sich Rechtnagel ausgeliehen hat. I-i-ich hatte schon Angst, der würde nicht wieder auftauchen. Dann hätten wir alle Schlösser auswechseln müssen. Wo haben Sie den gefunden?«

»Zu Hause bei Otto Rechtnagel.«

»Was? Er hat den Schlüssel doch gestern abend benutzt. Seine Garderobentür …«

»Denken Sie nicht daran. Ich frage mich, ob gestern noch andere Menschen als die Akteure hinter der Bühne waren.«

»Oh, ja, lassen Sie mich nachdenken. Der Beleuchter, die zwei Bühnenassistenten und unser Tonmeister. Keine Garderobieren oder Maskenbildner. Das war ja keine große Produktion. Ja, das sind wohl alle. Während der eigentlichen Vorstellung waren es dann nur die Bühnenassistenten und die anderen Akteure, und ich natürlich.«

»Und Sie haben niemand sonst dort gesehen?«

»Nee«, antwortete der Wachmann überzeugt.

»Hätte jemand über einen anderen Weg als durch die Hintertür oder die Tür neben der Bühne hereinkommen können?«

»Vielleicht, es gibt oben auf der Galerie einen Seitengang. Die Galerie war ja gestern abend geschlossen, aber die Tür war offen, denn der Beleuchter sitzt ja dort oben. Reden Sie mit ihm.«

Die Kropfaugen des Beleuchters quollen wie bei einem Tiefseefisch hervor, den man gerade an Land gezogen hatte. »Doch, warten Sie. Da oben hat vor der Pause jemand gesessen. Wir verkaufen ja nur die Plätze unten im Parkett, wenn wir vorher schon wissen, daß es nicht voll wird, aber es ist im Grunde nicht so merkwürdig, daß jemand da hochgeht, denn der Zugang zur Galerie wird ja nicht abgeschlossen, auch wenn die Platzkarten natürlich für unten sind. Er saß ganz alleine in der letzten Reihe. Ich weiß noch, daß ich mich gewundert habe, daß er so weit hinten sitzen wollte. Nun, es war ja nicht viel Licht, aber ich habe ihn jedenfalls gesehen. Als ich nach der Pause wiederkam, war er, wie gesagt, weg.«

»Kann er auf dem gleichen Weg wie Sie hinter die Bühne gekommen sein?«

»Tja«, der Beleuchter kratzte sich am Kopf. »Das nehm ich an. Wenn er direkt in den Requisitenraum gegangen ist, hat ihn wahrscheinlich auch niemand gesehen. Wenn ich richtig nachdenke, sah der Typ auch nicht sonderlich frisch aus. Genau. Ich weiß, da war etwas, etwas, das mich nachdenklich gestimmt hat, das irgendwie nicht richtig gepaßt hat.«

»Hören Sie«, sagte Harry. »Das ist alles schön und gut. Ich werde Ihnen jetzt ein Bild zeigen …«

»Übrigens war da noch etwas mit dem Mann …«

»… aber zuerst«, unterbrach ihn Harry, »möchte ich, daß Sie versuchen, sich den Mann, den Sie gestern gesehen haben, noch einmal genau vorzustellen und mir dann, wenn Sie das Bild sehen, das erste zu sagen, was Ihnen dazu einfällt. Hinterher gebe ich Ihnen dann noch einmal mehr Zeit, Sie können Ihre Aussage dann eventuell auch korrigieren, aber jetzt brauche ich einfach die erste Reaktion. Okay?«

»In Ordnung«, antwortete der Beleuchter und riß die vorstehenden Augen noch weiter auf, so daß er mehr und mehr wie ein Frosch aussah. »Ich bin bereit.«

Harry zeigte ihm das Bild.

»Das ist er!« sagte der Kropfmann wie aus der Pistole geschossen.

»Nehmen Sie sich etwas mehr Zeit und sagen Sie mir, was Sie glauben«, sagte Harry.

»Es gibt keinen Zweifel. Das habe ich doch gerade zu sagen versucht, daß, daß der Mann ein Schwarzer war … ein Aborigine. Das ist Ihr Mann!«

Harry war müde. Es war bereits ein langer Tag gewesen, und ihm graute davor, an die restlichen Stunden zu denken. Als er von einem Assistenten in den Obduktionssaal geführt wurde, beugte sich Doktor Engelssohns kleine gedrungene Gestalt über einen großen, fetten Frauenkörper, der auf einer Art Operationstisch unter großen Lampen lag.

Harry glaubte, an diesem Tag keine weiteren fetten Frauen ertragen zu können und bat den Assistenten, den Doktor darauf aufmerksam zu machen, daß er, Holy, gekommen sei. Er habe heute vormittag angerufen.

Mit seinem mürrischen Äußeren sah Engelssohn aus wie der Prototyp eines verrückten Professors. Seine wenigen Haare standen in alle Richtungen ab, und die hellen Bartstoppeln schienen ganz zufällig in dem rotwangigen Schweinsgesicht verteilt zu sein.

»Ja?«

Harry sah, daß er das erst zwei Stunden zurückliegende Telefongespräch bereits wieder vergessen hatte.

»Mein Name ist Harry Holy, ich habe Sie angerufen und Sie gebeten, mir die ersten Resultate der Obduktion von Andrew Kensington zu geben.«

Sogar in diesem Raum voller fremdartiger Gerüche und Lösungsmitteldämpfe konnte Harry die Ginfahne des Professors riechen.

»Oh, ja, natürlich. Kensington. Eine traurige Sache. Ich habe ein paarmal mit ihm gesprochen. Als er noch lebte, natürlich. Jetzt liegt er stumm wie ein Fisch in dieser Schublade dort.«

Engelssohn machte mit dem Daumen eine Bewegung nach hinten.

»Das bezweifle ich nicht, Doktor. Was haben Sie herausgefunden?«

»Hören Sie, Mr … wie war doch gleich Ihr Name? … Holy, ja! Wir haben hier eine lange Schlange von Leichen, die alle als erste an der Reihe sein wollen. Ja, nicht die Leichen, natürlich, aber die Ermittler. Aber alle müssen schön warten, bis sie an der Reihe sind. So sind halt die Regeln, keiner schleicht sich da vorbei, verstehen Sie? Heute morgen also, als der große Häuptling McCormack persönlich anrief und befahl, der Untersuchung eines Selbstmordopfers Priorität zu geben, bin ich neugierig geworden. Ich bin nicht mehr dazu gekommen, McCormack zu fragen, aber vielleicht können Sie, Mr. Hogan, mir sagen, was an diesem Kensington denn so Besonderes ist?«

Er warf verächtlich den Kopf in den Nacken und pustete Harry wieder seine Ginfahne in die Nase.

»Nun, wir hoffen, daß Sie uns da weiterhelfen können, Doktor! Gibt es etwas Besonderes?«

»Besonderes? Was meinen Sie mit Besonderes? Ob er drei Beine hatte, vier Lungen oder eine Brustwarze auf dem Rücken?«

Harry war müde. Was er jetzt am wenigsten gebrauchen konnte, war ein angetrunkener Gerichtsmediziner, der sich aufspielte, weil er sich auf den Schlips getreten fühlte. Und Menschen mit Staatsexamen haben oft teure Schlipse.

»Gab es etwas … Ungewöhnliches?« formulierte Harry seine Frage neu.

Engelssohn schaute ihn mit leicht verschleiertem Blick an.

»Nein«, sagte er. »Es gab nichts Ungewöhnliches, überhaupt nichts Ungewöhnliches.«

Der Doktor schaute ihn noch immer mit leicht schwankendem Kopf an, und Harry sah, daß er noch nicht alles gesagt hatte. Er hatte nur eine Kunstpause gemacht, die ihm und seinem alkoholbenebelten Hirn bestimmt nicht so übertrieben lang vorkam wie Harry.

»Hier bei uns ist es nicht ungewöhnlich«, fuhr der Doktor schließlich fort, »daß die Leichen bis zum Rand voll mit Dope sind. In diesem Falclass="underline" Heroin. Das Besondere muß wohl sein, daß er Polizist war, aber da wir nur selten Kollegen von Ihnen hier auf den Tischen haben, weiß ich nicht, wie besonders das ist.«

»Todesursache?«

»Sagten Sie nicht, Sie hätten ihn gefunden? Was glauben Sie, woran man stirbt, wenn man mit einem Stromkabel um den Hals von einer Decke herabhängt? An Keuchhusten?«

Es begann in Harry langsam zu brodeln, aber noch gelang es ihm, die Fassung zu bewahren.

»Er starb also an Sauerstoffmangel, nicht an einer Überdosis?«

»Bingo, Hogan!«

»Gut, nächste Frage: Wann ist der Tod eingetreten?«

»Sagen wir mal zwischen Mitternacht und zwei Uhr morgens.«

»Präziser geht es nicht?«

»Sind Sie glücklicher, wenn ich sage ›vier Minuten nach eins‹?« Die roten Wangen des Mediziners waren noch röter geworden. »Gut, dann sagen wir vier Minuten nach eins.«