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Auch Sean hatte ein Minnelied gewählt. Woher kannte er es? Aber, so empfand Henri, es entsprach dem Alter seines Knappen und dessen Unerfahrenheit.

»Ich bin Kaiser, ob ich auch nicht Krone noch Land besitze. Dem Gemüte nach bin ich’s: das war noch nie so fröhlich. Wohl ihr, deren Sanftheit mich erquickt. Das danke ich einer edlen Frau. Der will ich getreulich dienen.«

Die Tafelrunde klatschte Beifall, und Guinivevre schenkte dem Sänger ein weiteres Glas Wein ein. Vergeblich protestierte Henri und verwies auf den morgigen Tag, an dem man früh aufbrechen müsse.

»Ich möchte aber noch ein Lied hören!«, rief die Gastgeberin. Henri schwieg. Konnte man ihr diesen Wunsch abschlagen? Aber was er sah, gefiel ihm nicht. Seans Augen blitzten verwegen. Er stand nicht mehr ruhig da, sondern wiegte sich in den Hüften. Henri bereute, dass sie der Einladung auf das Schloss gefolgt waren. Die Stimme seines Knappen klang nicht mehr demütig, sondern fordernd.

»Ich fand sie auf der Zinne, allein, und sie hatte mich zu sich rufen lassen. Da war wohl schickliche Gelegenheit, ihre Liebe mir zu erringen. Da wähnte ich, ich hätte die Lande mit meiner Glut verbrennen können, so sehr hatte ihrer süßen Liebe Fessel meine Sinne verblendet.«

Henri erhob sich. »Es ist Zeit, das Nachtlager aufzusuchen. Wir danken Euch, edle Dame, für diesen wunderschönen Abend.«

»Ich habe zu danken«, rief Guinivevre. »Denn ohne den Gesang Eures Knappen hätte dieser Abend niemals so trefflich gelingen können. Ich wünsche Euch allen eine gute Nacht.«

Irrte er sich, oder hatte Guinivevre seinem Knappen einen verschwörerischen Blick zugeworfen? In seiner Schlafkammer stellte er fest, dass der Diener nur zwei Schlaflager vorbereitet hatte. Er hätte gern nachgefragt, wo man denn seinen Knappen untergebracht habe. Aber Joshua hielt ihn davon ab. »Ich muss einmal ein ernstes Wort mit dir reden, Henri. Wir kennen uns schon lange und sind vertraute Freunde. So hoffe ich, dass du mir nicht übel nimmst, was ich dir sagen möchte.«

»Sprich nur frei heraus, was du für richtig hältst!«, ermunterte Henri seinen Freund. »Ich werde dich immer verstehen.«

Trotz der Aufmunterung begann Joshua seine Rede stockend. »Ich hatte einen Sohn und weiß recht gut, wann bei einem Jungen die Zeit der Reife gekommen ist. Du aber verschließt die Augen und fürchtest, Sean könne dir entwachsen. Seit du ihn erziehst, behandelst du ihn wie ein Kind, möchtest ihm am liebsten mit der Gerte beibringen, was einen Knappen auszeichnet.«

Henri machte eine abwehrende Gebärde.

»Doch, das ist so, ob du es nun wahrhaben möchtest oder nicht. Sean ist ein wunderbarer Junge, der an dir hängt und dich bewundert. Jetzt aber ist die Zeit gekommen, dass er seine Zuneigung und Liebe einer Frau schenken wird. Mache dir rechtzeitig klar, dass Sean die folgende Nacht in den Armen der schönen Guinivevre verbringen wird. Wie hieß es so passend in dem Lied? ›Sie hatte mich zu sich rufen lassen. Da war wohl schickliche Gelegenheit, ihre Liebe mir zu erringen.‹ Das wird nichts an der Zuneigung zu dir ändern.«

Joshua schwieg, und Henri dachte lange nach, ehe er zu einer Erwiderung fand. »Ich habe die Keuschheitsgelübde abgelegt, die ich auch weiterhin einzuhalten gedenke. Vielleicht verstehe ich wirklich nichts von diesen Dingen. Meine einzige Erfahrung liegt allzu weit zurück. Mir scheint eine Wiederholung nicht erstrebenswert. Aber ich gönne es ihm schon, in den Armen dieses schönen Mädchens seine erste Liebesnacht zu verbringen. Morgen ist dieses Zwischenspiel ohnehin beendet.«

Henri hatte sich geirrt. In der Frühe war es noch sehr kalt. Guinivevre hatte ihnen darum durch die Dienerschaft einen heißen Trunk überreichen lassen. Sie selbst war nirgendwo zu sehen. Henri bedauerte das. Er hätte sich gern mit Dankesworten verabschiedet. Sean war schon bei den Ställen und trällerte fröhlich ein Lied vor sich hin. Sehr unglücklich schien er über die Trennung nicht zu sein. Aber was Henri am Schlosstor erwartete, wollte er einfach nicht glauben. Da stand Guinivevre in ihrer Männerkleidung und wünschte ihm einen guten Morgen. »Ich werde euch begleiten. Denn ich kenne ringsumher die ganze Gegend und habe Freunde in Auxerre, die uns aufnehmen werden, wenn Philipps Schergen dort herumstrolchen sollten.«

Ob Sean ihren Plan ausgeplaudert hatte? Das würde er ihn büßen lassen, notfalls auch mit der flachen Klinge, wenn er schon keine Gerte mehr benutzen durfte. Er warf einen Blick zu Joshua, der still vor sich hin lächelte. Das milderte seinen Zorn. Er brachte es sogar fertig, ein wenig zu lächeln. »Brechen wir auf, meine Herren! Wir haben einen Auftrag zu erfüllen!«

Henri legte eine schnelle Gangart vor. Ihm blieb nicht verborgen, dass Guinivevre eine blendende Reiterin war. Obwohl sie den Weg nach Auxerre sehr gut kannte, drängte sie sich nicht vor. Sie ließ Henri merken, dass sie ihn als Autorität anerkannte.

Sie verließen die Loire und erreichten schneller als erwartet den Fluss Yonne. Auf den Feldern verrichteten die Bauern ihre ersten Frühjahrsarbeiten. Keiner kümmerte sich um die vier Reiter. Nach einem Blick, ob es sich da nicht etwa um Soldaten handelte, wandten sie sich wieder ihrer Arbeit zu.

Im Gegensatz zu der ruhig dahinfließenden Loire, der die Spiegelbilder prachtvoller Burgen ein majestätisches Aussehen verliehen, bot die Yonne hinter jeder Biegung einen neuen Ausblick. Erst als die springlebendigen Wellen flacher wurden, fanden sie bei Vermenton einen Übergang. Zahlreiche enge Schleifen des Flusses hatten sie immer wieder zu Umwegen gezwungen. Henri stellte auf der Karte fest, dass von Vermenton aus die Yonne gradlinig verlief.

»Es müsste möglich sein, Auxerre noch heute zu erreichen«, sagte er und sah Guinivevre an, um ihre Meinung zu erforschen. Aber das Mädchen hatte soeben mit Sean einige Worte ausgetauscht, die ihn zum Lachen gebracht hatten. Guinivevre ließ erkennen, dass sie sich Henris Führungsanspruch bedingungslos untergeordnet hatte.

Noch vor Sonnenuntergang erreichten sie die Stadt an der Yonne. Schon von weitem war eine prächtige Kathedrale erkennbar. Henri hätte gern das Innere besichtigt. Aber zum ersten Mal seit ihrem Aufbruch machte Guinivevre einen Vorschlag. »Es wäre besser, wenn wir zunächst meine Freunde in der Innenstadt aufsuchen und um Quartier bitten würden. Sie besitzen eine Töpferei und kehren oft erst bei Dunkelheit nach Hause zurück.«

Henri erklärte sich sogleich einverstanden.

Guinivevre übernahm die Führung durch das Häusergewirr der engen Gassen. Vor manchen Häusern hockten Frauen und stickten Tapisserien.

»Was soll das denn werden?«, fragte Sean und zeigte auf einen Wandteppich, auf dem einige Zacken abgebildet waren.

»Ich stelle mir vor, dass hier eine Krone entsteht«, erklärte Henri. »Wahrscheinlich wird das eine Tapisserie für das königliche Palais de la Cité in Paris.«

»Dieser Wandteppich hier soll wohl im Jagdschloss von Fontainebleau hängen«, meinte Sean und deutete auf einige halb fertige Hirsche, denen das Geweih noch fehlte. Er wollte sich ausschütten vor Lachen.

Am Ende einer Gasse lag die Töpferei. Irdene Gefäße in allen Größen und Rundungen, mit gelbem und rotem Ocker gefärbt, türmten sich in der Mitte des Hofes. Aus der Werkstatt erklang das Geräusch der Töpferscheibe, die sich im gleichmäßigen Takt drehte.