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Es war menschenleer und halbdunkel im Kirchenschiff. Niemand würde seine Zwiesprache mit Gott stören. Nahe vor dem Altar hatte er sich auf den Knien niedergelassen und spürte nicht die Kälte der Steinfliesen. Gewiss hatte man ihn bei den Templern das Beten gelehrt, mehr aber noch das Kämpfen. Seine Mutter hatte ihn in frühester Jugend zu den Templern gebracht, wo er sich einer harten Zucht unterwerfen musste. Das einzige Gebet, das ihm jetzt einfiel, war ein Psalm Davids: »Ich will meinen Feinden nachjagen und sie ergreifen und nicht umkehren, bis ich sie umgebracht habe. Ich will sie zerschmettern. Ich will sie zerstoßen wie Staub vor dem Winde. Ich will sie wegräumen wie den Kot von der Straße.«

Immer wieder mussten die Jungen diese Verse aufsagen. Wehe denen, die stockten oder sogar den Text vergessen hatten. Sie wurden unbarmherzig mit Essensund Schlafentzug bestraft.

Wozu diente ihm jetzt dieser Psalm? Er wollte doch nichts anderes als Gott für seine Rettung danken, seine Sünden bereuen und um Vergebung bitten. Aber erst, nachdem er seine Waffen auf den Steinfliesen abgelegt hatte, fand er die richtigen Worte.

»Herr, ich danke dir dafür, dass du mich vor den Häschern verborgen und mich wider meine Verfolger beschützt hast. Herr, ich erflehe deine Vergebung, denn ich habe gesündigt, weil ich im Blutrausch diejenigen, die ich für Feinde hielt, niedergemetzelt habe. Vergib mir, Herr, dass ich als Knappe den Befehlen meines Gebieters gehorchte, der sich auf dein Wort berief und mir befahclass="underline" Du sollst die Heiden mit einem eisernen Zepter zerschlagen; wie Töpfe sollst du sie zerschmeißen! Herr, vergib mir, dass ich keinen Widerspruch gegen meine Oberen wagte, als die Templer mit der Vertreibung der Juden große Schuld auf sich luden. Herr, vergib meine Sünden und rechne sie meiner damaligen Jugend zu. Herr, ziehe nicht deine schützende Hand von mir! Gewähre mir deine Hilfe bei der Erfüllung des Fluches der brennenden Templer. Denn ich weiß, Herr, dass du mir diese schwere Aufgabe übertragen hast, Philipp und Clemens aufzusuchen und sie zu töten.«

Noch niemals hatte Henri so inbrünstig gebetet. Er erhob sich, verbeugte sich auch noch vor dem Bildnis der Gottesmutter und ging dem Ausgang zu. Aber als er schon das Portal halb geöffnet hatte, fiel ihm ein Spruch ein, den jemand ihm, als er im Blutrausch wütete, zugerufen hatte. »Mein ist die Rache, spricht der Herr.« Für ihn aber hatte der Fluch der Templer eine unüberbietbare Bedeutung. Er, Henri, würde ein Teil der göttlichen Rache sein.

Durch das geöffnete Portal flutete das Sonnenlicht, sodass Henri geblendet die Augen schließen musste. Erst als er in den Schatten der hohen Türme trat, sah er Joshua, der ihn zu sich heranwinkte. Sie umarmten einander wie Brüder, die sich für immer verbunden fühlten. Doch der weithin hallende Glockenschlag vom Turm einer Kirche rief sie jäh in die Wirklichkeit zurück. Henri breitete auf der Kirchenmauer eine Landkarte aus.

»Nicht allzu weit von hier, in einer Senke des Bessede-Walds, befindet sich die Zisterzienserabtei Cadouin des Ordensgründers Bernhard von Clairvaux. Wir Templer verehren ihn sehr, denn er hat unsere Ordensregeln verfasst.« Henri zögerte kurz, fuhr dann aber fort: »Man sagt sogar, wir seien die Lieblingskinder Bernhards gewesen. Ich bin sicher, dass der Abt uns Unterschlupf gewähren wird.«

»Auch mir, einem Juden?«, äußerte Joshua seine Zweifel.

»Ich werde dich als berühmten Gelehrten vorstellen, der du ja auch bist«, schlug Henri vor. »Da der Abt ein Freund der Wissenschaften ist, wirst du ihm willkommen sein. Ich fürchte vielmehr ein anderes Hindernis. Seit nahezu 150 Jahren strömen Pilger nach Cadouin. Berühmte Männer wie Richard Löwenherz und Ludwig der Heilige pilgerten zu der Abtei, weil dort eine Reliquie aufbewahrt wird, nämlich das Leichentuch Christi. In den kommenden Tagen der Auferstehung des Herrn wird der Pilgerstrom anwachsen. Ich fürchte, dass einer der Pilger uns erkennen könnte.«

Joshua hatte die letzte Warnung gar nicht mehr zur Kenntnis genommen. Seine Augen leuchteten bei der Vorstellung, er könne das Leichentuch Christi in seine Forschungen mit einbeziehen.

Henri hatte für diesen Übereifer durchaus Verständnis. Beschämt dachte er an die Vertreibung der Juden. Lebten diese nicht ständig in der Furcht vor neuen Pogromen? Er versuchte, die Gedankengänge seines Freundes nachzuvollziehen. War es nicht wirklich so, dass diese Reliquie als Anlass für neue Verfolgungen dienen konnte, falls sie sich als echt erwies?

Er verspürte aufrichtige Zuneigung, aber auch Mitleid für seinen jüdischen Freund. »Dann wollen wir nicht länger zögern, nach Cadouin zu reiten«, sagte er aufmunternd, nickte Joshua zu und versetzte sein Pferd in einen schnellen Trab. 

3

Joshua konnte es kaum erwarten, die Zisterzienserabtei möglichst bald zu erreichen. Es war ihm gar nicht recht, als Henri vom Uferweg der Dordogne abbog und einer bewaldeten Höhe zustrebte.

»Werden wir verfolgt?«, fragte Joshua besorgt.

»Nein«, beruhigte ihn Henri. »Aber ich möchte jene Bastiden sehen, von denen ich schon so viel gehört habe.« Er wies ins Tal und deutete auf eine Siedlung, die unterhalb einer Burg auf einer strategisch günstigen Kuppe entstanden war.

»Na und?« Der jüdische Gelehrte zeigte keinerlei Interesse.

Henri wandte sich ihm zu. »Du weißt doch, dass in den Dörfern tägliche Raubüberfälle an der Tagesordnung waren. Darum zeigte sich die Landbevölkerung höchst erfreut über den Bau solcher Bastiden. Den Bauern war es gleichgültig, ob diese befestigten Siedlungen französische oder englische Gründungen waren.«

Joshua hatte seine eigene Meinung. »Wahrscheinlich mussten die Bauern tief in ihre Geldsäckel greifen, um diesen Schutz zu bezahlen.«

»Von irgendwelchen Klagen der Landbevölkerung habe ich nichts gehört«, erwiderte Henri. »Sie schlossen sogar mit dem Grundeigentümer Verträge ab über die Verteilung der Steuer- und Zolleinkünfte.«

Joshua machte ein gelangweiltes Gesicht und brummte etwas Unverständliches vor sich hin.

Aber Henri gab zu bedenken, dass man vielleicht noch einmal froh sein werde, in einer der englischen Bastiden Zuflucht zu finden.

»Vielleicht siehst du diese Bastide mit anderen Augen an, wenn ich dir sage, dass das vor uns liegende Beaumont zu den Ländereien des Abts von Cadouin gehört.«

Joshua blickte abwärts auf das wuchtige Gotteshaus, das wohl im Belagerungsfall als Zuflucht gedient haben mochte. »Der Ort scheint aber bei weitem nicht die Bedeutung der Zisterzienserabtei Cadouin zu haben«, meinte er beinahe geringschätzig. »Ein Leichentuch Christi gibt es dort wohl kaum.«

Henri wollte einen Streit vermeiden, zuckte die Achseln und schlug den Weg in die Senke des Waldes ein, wo Dordogne und Couze zusammenflossen.

Von weitem schon erkannten sie die dreischiffige Halle der Abteikirche, die offensichtlich dem Entsagungsideal des Ordensgründers Bernhard von Clairvaux entsprach. Henri wurde feierlich zumute, als er durch das breite Portal den Kreuzgang betrat. Das Spiel von Licht und Schatten und die unheimliche Stille wirkten beinahe mystisch. Joshua sah unsicher um sich.

Als Henri den Glockenzug in Bewegung setzte, erschrak er über den laut tönenden Einbruch in diese Stille. Leise Schritte wurden hörbar. Eine Klappe in der hölzernen Tür wurde geöffnet, und ein altes, faltiges Gesicht lugte hervor.

Henri beugte sich zu der winzigen Öffnung hinab. »Wir bitten darum, bei dem ehrwürdigen Abt vorgelassen zu werden. Mein Name ist Henri de Roslin, und der Mann an meiner Seite ist ein berühmter Gelehrter.«