»Die Schwierigkeit besteht aber darin, ein Schiff zu finden, das seinen Weg stromabwärts nimmt«, erklärte Henri. »Sonst kommen wir wieder da an, wo wir gerade herkommen, nämlich im Gebirge.«
»Wäre es nicht da vielleicht am besten, wenn wir eine Wirtsstube aufsuchen würden, wo die Schiffer verkehren? Falls wir uns als vermögende Kaufleute ausgeben, werden wir schon einen Schiffseigner finden, der uns mit an Bord nimmt.« Uthman war wie immer zuversichtlich.
Joshua äußerte noch Bedenken. »Aber der Schiffer müsste schon einen zuverlässigen Eindruck machen. Sonst nimmt er uns unsere Bündel ab und wirft uns den Fischen zum Fraß vor.«
»Da hast du gar nicht so Unrecht«, gab Henri zu. »Wir werden also darauf achten, dass der Besitzer des Lastkahns nicht zu viele Gehilfen hat. Zu dritt werden wir schon einen Angriff mit unseren Waffen abwehren können, wenn es denn sein muss.«
»Meine Damaszenerklinge wird irgendwelche Banditen schon das Fürchten lehren«, sagte Uthman siegesgewiss.
Sie wählten ein Wirtshaus, das eine weiße Fassade aufwies, auf der ein riesiges Schiff mit blauen Segeln aufgemalt war. In der Gaststube saßen an den blitzblank gescheuerten Holztischen einige Männer und würfelten. Sie warfen nur einen kurzen Blick auf die drei fremden Reiter und widmeten sich wieder ihrem Spiel. Aber es dauerte nicht lange, da kam es zu einem lautstarken Streit.
»Nimm die Würfel nicht so schnell vom Tisch, ehe wir die Augenzahl geprüft haben!«
»Dich kennt ja jeder als einen Betrüger! Ich hätte mich gar nicht mit dir auf ein Spiel einlassen sollen.«
»Einen Betrüger nennst du mich? Das sollst du mir büßen.«
Der Gescholtene verabreichte seinem Mitspieler eine schallende Ohrfeige.
Der dritte der Männer versuchte, die Gegner zu versöhnen. Vergeblich! Die beiden Streithähne brüllten sich an, sprangen auf und packten sich gegenseitig am Kragen. Der, den sie einen Betrüger nannten, hob den Tisch an. Die Würfel fielen zu Boden und kollerten durch die Wirtsstube.
»Ruhe!«, schrie der Wirt. Aber da keiner davon Notiz nahm, sprang er mit einem Knüppel herbei und schwang ihn drohend durch die Luft. Die beiden Streithähne hatten anscheinend schon einmal Erfahrung mit dem Knüppel des Wirts gemacht. »Sauf dein Bier allein!«, schrie der eine wütend, und der andere fügte hinzu: »Dein Bier ist ohnehin kaum genießbar. Jedem im Ort ist bekannt, dass du dein Bier mit Wasser auffüllst.«
Der Wirt geriet in Wut, wagte aber nicht, den vierschrötigen Mann für seine Beleidigung zu bestrafen. »Pierre«, rief er dem Schankburschen zu. »Hole die Büttel!«
Eilig verließen die drei Spieler die Schankwirtschaft. »Mit diesen Schiffern gibt es immer Ärger«, beklagte sich der Wirt bei Henri. »Mir wäre es lieb, wenn nur solche gesitteten Herren meine Gäste wären, wie Ihr es seid. Ich habe Euch bis jetzt noch nicht hier gesehen. Wo kommt Ihr her, und wohin geht Ihr?«
Uthman missfiel die Neugierde des Wirtes. Er stand auf und neigte sich zu Henri hinab. »Ich sehe mich jetzt einmal am Hafen um«, flüsterte er möglichst leise.
Aber auch Henri blieb eine Antwort erspart. Denn die Türe öffnete sich, und einige Männer kamen hereingetorkelt, die anscheinend schon einer anderen Wirtschaft einen Besuch abgestattet hatten. Auffällig lang starrten sie Henri und Joshua an. »Seit wann verkehren bei dir solche feinen Herren?«, fragte ein pockennarbiger Kerl den Wirt.
»Setzt euch hin, und lasst mir meine Gäste in Ruhe!«, gab der Wirt verärgert zur Antwort, denn er hatte sich von Henri und Joshua eine reiche Zeche erwartet. »Gestern überall Soldaten«, schimpfte er, »und heute diese Trunkenbolde.«
Der Pockennarbige und einer seiner Gefährten traten an den Tisch heran, an dem sich Henri und Joshua niedergelassen hatten. Henri klappte seine Landkarte zu, in die er sich soeben vertiefen wollte.
Mit einem unerwarteten Ruck brachte sich der Pockennarbige in den Besitz der Karte. Das Papier, das von der langen Reise dünn und mürbe geworden war, riss in der Mitte auseinander. Henri erhob sich zu seiner vollen Größe. Seine Hand lag auf dem Griff des Dolches. »Geh schon mal nach draußen, Joshua!«
Aber Joshua schüttelte den Kopf. »Heute ist kein Sabbat«, flüsterte er, »diesmal helfe ich dir!«
Auch der dritte der Betrunkenen rückte näher heran und deutete hohnlachend auf Joshua. »Seht euch diese magere halbe Portion an! Da genügt eine kleine Rempelei, und der arme Wicht liegt unter dem Tisch.«
Der Wirt hatte sich hinter den Tresen verzogen. Mit diesen Kerlen hatte er schon öfter böse Erfahrungen gemacht. Er duckte sich hinter die Holzverschalung.
»Halte mir den Rücken frei, Joshua. Du brauchst dich nicht zu schämen, falls wir flüchten müssen.«
Henri hatte einen Angriff erwartet. Aber der Pockennarbige stierte ihn nur an und rief seine Kumpane herbei. »Erinnert ihr euch daran, dass vor ein paar Tagen ein Abgesandter des Königs durch alle Gasthöfe streifte und die Beschreibung eines Mannes gab, der diesem hier aufs Haar glich?«
Einer der Kerle konnte nur mit Mühe seine Augen aufreißen. Er legte seinen Kopf auf die ausgestreckten Arme und schlief sogleich ein. »Dummkopf!«, schrie der Pockennarbige. »Der Abgesandte des Königs hat gesagt, dass dieser gesuchte Mann ein entlaufener Mönch sei und sich mit dem ganzen Klostervermögen davongemacht hätte. Wer ihn einfängt und ausliefert, wird mit einer hübschen Summe belohnt. Hilf mit, sonst gehst du leer aus!«
Diese Worte genügten, um den Betrunkenen wieder zum Leben zu erwecken. Der andere Kumpan löste ein Seil von der Hüfte, das seine viel zu weite Hose festgehalten hatte. »Ich bin dabei. Pack ihn! Wir werden ihn fesseln.«
Henri stieß Joshua energisch zur Tür. »Laufe zum Hafen und versuche, Uthman zu finden.«
Aber Joshua hatte noch nicht den Ausgang erreicht, als die Tür mit einem solchen Schwung geöffnet wurde, dass sie mit Donnergetöse hinten gegen die Mauer krachte. Uthman stürzte herein. »Ich bin schon hier.«
»Binde die Pferde draußen vom Eisenring los und führe sie zum Pier, Joshua! Wir werden in Kürze folgen! Hier wird es bald einen lustigen Tanz geben.« Er wirbelte seine Damaszenerklinge durch die Luft und rückte nahe an den Pockennarbigen heran. »Du hast ein schönes Punktemuster auf deiner Visage. Das möchte ich noch mit zwei Strichen verfeinern.« Ehe der Mann ihn angreifen oder ausweichen konnte, hatte er ihm rechts und links die Wange aufgeschlitzt.
Mit gellendem Geschrei stürzte der Verletzte auf den harten Dielenboden, auf dem sich sogleich das Blut zu einer Pfütze ausbreitete.
»Nimm du dir den schläfrigen Säufer vor!«, rief Uthman Henri zu. »Ich übernehme den anderen, der es so eilig mit seinem Seil hatte. Das hätte er lieber behalten sollen, um seine Hose damit zu befestigen.«
Der Kerl, der eben noch großsprecherisch mit seinen Fesselkünsten geprahlt hatte, wich zur Mauer zurück. »Erbarmt Euch, Herr! Ich bin nur ein armer Schifferknecht, der dem Eigner gehorchen muss. Er hat mich zu diesem Kampf angestiftet.«
»Das kann schon sein«, erwiderte Uthman mit einem Lächeln. Aber im Gegensatz zu seinem freundlichen Gesichtsausdruck riss er dem Mann, der auf die Knie gefallen war, den Strick aus den Fäusten und schlang ihn um den Hals des jammernden Schifferknechtes.
Henri hatte mit dem Betrunkenen keine Mühe gehabt. Es hatte genügt, ihm ein paar kräftige Maulschellen zu verabreichen, um den Mann in Tiefschlaf zu versetzen. Er sah, dass dem Geschlagenen Blut aus dem Ohr rann. Das hatte er eigentlich nicht beabsichtigt. Erst jetzt bemerkte er, dass Uthman das Seil um den Hals des Mannes so kräftig zusammenzog, dass dessen Augen hervorquollen.
»Das muss genügen, Uthman. Dieser Mensch ist ohnmächtig. Er kann uns mit Sicherheit nicht verfolgen. Lass von ihm ab!«
Uthman klopfte Henri auf die Schulter. »Du bist eben doch ein Mönch und kein Krieger. Wir müssen uns eiligst aus dem Staub machen. Ich habe im Hafen den Eigner eines Lastkahns aufgetrieben, der uns und die Pferde mitnehmen will. Seine Geldforderung klang nicht gar zu unverschämt.«