Joshua saß stumm neben ihm und machte eine vorwurfsvolle Miene. Hatte er etwa nicht gleich gesagt, dass man Uthman für einen solch schwierigen Auftrag nicht gebrauchen könne?
Als beide kaum mehr mit Uthmans Erscheinen rechneten, flog die Tür bis zum hintersten Anschlag auf. Uthman stürmte herein. Seine Augen funkelten, seine Wangen waren gerötet, und er warf sich so stürmisch neben Henri auf die Bank, dass die Milchsuppe überschwappte. »Paris ist eine wunderbare Stadt!«, rief er so laut, dass die Wirtin aus der Küche kam, um nach dem Rechten zu sehen.
»Ich habe ein Mädchen kennen gelernt. Sie liebt mich, und ich habe ihr allerlei beibringen können, was sie bisher noch nicht beherrschte.«
»Eine Sarazenin?«, flüsterte Joshua. »Wo hast du die denn aufgetrieben?«
Uthman sah ihn erstaunt an. »Juliette ist natürlich ein christliches Mädchen. Unsere Mädchen daheim, die nach den strengen Gesetzen des Islams erzogen und ohne Aufsicht nicht aus dem Haus gelassen werden, würden so etwas nie tun!«
»Was muss das für ein Mädchen sei, das sich nachts mit einem fremden Mann in den Pariser Straßen herumtreiben darf!«, rief Henri aus. »Vielleicht ist deine geliebte Juliette sogar eine käufliche Dirne, von denen es gerade in Paris genug gibt.«
»Jetzt wirst du aber beleidigend«, erwiderte Uthman. Seine gute Laune war verflogen. »Während ihr hier auf eurem Strohlager geschnarcht habt, bin ich ein wenig in den königlichen Gärten umhergestreift.«
Joshua blickte ihn ungläubig an. »Wie bist du denn an den Wächtern vorbeigekommen?«
»Ich bin über die Mauer geklettert. Da stand ein Kastanienbaum, an dessen Ästen ich mich herablassen konnte. Juliette, die ziemlich schwärmerisch veranlagt ist, wanderte im Garten umher, um den Mond zu betrachten. Sie entdeckte mich, als ich aus den tief hängenden Zweigen hervortrat.«
»Da glaubte sie, du wärest der leibhaftige Mann im Mond«, scherzte Henri.
»Das ist ein ziemlich dummer Scherz«, erwiderte Uthman verärgert. »Das arme Mädchen war zunächst sehr erschrocken.«
»Zunächst, und dann?«
»Als ich sie zart berührte, um ihr zu zeigen, dass ich nichts Böses im Schild führen würde, ließ sie sich sogar umarmen.«
»Dann habt ihr natürlich gemeinsam den Mond angeschaut. Und das dauerte die ganze Nacht«, meinte Henri süffisant.
»Du bist und bleibst ein Mönch, obwohl du doch schon längst nicht mehr an deine Gelübde gebunden wärest«, setzte sich Uthman zur Wehr. »Natürlich nicht! Es gab da so einen hübschen kleinen Gartenpavillon mit einem weichen Lager und fast so vielen Kissen wie bei uns zu Hause.«
»Mit dem Unterschied, dass bei euch die Männer auf diesen Kissen lagern, um zu tratschen.«
»Wenn du mich weiter beleidigst, werde ich kein Wort mehr erzählen.« Das aber, so konnten Henri und Joshua beobachten, war nur eine leere Drohung. Uthman brannte geradezu darauf, mit seinen nächtlichen Erlebnissen zu prahlen. »Dieser Pavillon war mit einem Blumenspalier bewachsen, und der Mond malte durch die hölzernen Stäbe ein beinahe verwirrendes Muster auf die Kissen.«
Henri hätte gerne gesagt, dass Uthman dadurch vielleicht in Verwirrung geraten sei, aber er schwieg, sodass Uthman nach einem prüfenden Blick in die Runde fortfuhr: »Diese französischen Mädchen lernen gerne etwas dazu. Ich habe ihr unsere Spiele beigebracht, von denen sie bisher nicht einmal etwas gehört hatte.«
»Hat sie dich und sich ausgezogen?«, fragte unerwartet plötzlich die Wirtin, die auf der gegenüberliegenden Bank Platz genommen hatte und mit kugelrunden Augen zuhörte.
»Nein!«, antwortete Uthman brüsk.
Die Wirtin ließ nicht locker. »Vielleicht hat sie einem so unschuldigen Burschen, wie du es bist, erst einmal eine Geschichte vorgelesen, um dich anzuheizen. Es gibt da nämlich solche Erzählungen aus dem Morgenland, in denen die Männer, die sich doch sonst so stolz gebärden, die Frauen auf sich reiten lassen.«
»Werde nicht unverschämt!«, verbat sich Uthman jede weitere Einmischung. »Juliette ist ein anständiges Mädchen und Kammerzofe in den königlichen Gemächern.«
»Dann weiß ich schon Bescheid«, sagte die Wirtin verschnupft und zog sich in die Küche zurück.
»Wirst du dieses Mädchen wieder sehen?«, wandte sich Henri an Uthman, dem seit der derben Bemerkung der Wirtin die Lust vergangen war, weiter über die Liebesnacht im Pavillon zu erzählen. Er kannte allerdings diese orientalischen Geschichten, die sie erwähnt hatte. Gerade darum ärgerte er sich.
Dass auch die vornehmen Damen von Mekka durchaus nicht prüde waren, hatte er in einer Geschichte gelesen, die Scheherezade in der 380. Nacht der 1001 Nächte erzählt hatte. Als nämlich ihr Gatte tagsüber zu Aischa kam, stöhnte und seufzte sie und machte wunderbare Bewegungen, obwohl eine Frau als Gast zugegen war. Wie konntest du das tun, bei deinem Rang, deinem Adel und deiner Abkunft?, fragte später die Frau, als Aischas Gatte gegangen war. Mir wäre es lieber, wenn so etwas des Nachts geschieht. Aischa aber sagte: »Das ist so bei Tage; bei Nacht tue ich noch mehr. Denn wenn er mich sieht, so wird seine Begierde erregt, und er wird von Verlangen bewegt. Dann naht er mir, und ich gehorche ihm.«
Schon vor vielen Jahrhunderten hatte ein gewisser Ammianus Marcellinus über die Sarazenen geschrieben, es sei unbeschreiblich, mit welcher Raserei sie sich der Liebe hingeben würden. Anscheinend waren sie wirklich in dieser Beziehung unersättlicher als andere Völker. Da gab es noch ganz andere Geschichten.
Uthman war so in seine Gedanken vertieft, dass er erschrocken zusammenzuckte, als Henri diese Frage an ihn gerichtet hatte. Was fiel ihnen allen ein, sich in seine Angelegenheiten zu mischen? Aber er gab doch Antwort. »Ja natürlich. Wir haben uns für die heutige Nacht wieder im Pavillon verabredet.«
»Ich glaube nicht, dass deinem Vater solcherart Pariser Nächte gefallen würden. Ich gebe dir noch zwei weitere Nächte Zeit, um deinen Lüsten nachzugehen. Aber vergiss nicht, dass wir hier einen Auftrag zu erfüllen haben. Wenn du bis dahin nicht zur Besinnung gekommen bist, werden Joshua und ich alleine unser Gelöbnis erfüllen. Aber glaube mir, Uthman, dass ich nicht zögern werde, dich im Stall bei den Pferden anzubinden, damit du bei unserem gefährlichen Auftrag kein Unheil stiften kannst.«
Uthman starrte wütend vor sich hin, aber er schwieg.
Henri verbrachte wieder eine schlaflose Nacht. Aber auch Joshua wälzte sich auf seinem Strohlager hin und her. Schließlich entschloss sich Henri, dem Gefährten seine Gedanken mitzuteilen. »Es ist vielleicht infam, was ich mir gedacht habe. Aber wir dürfen uns keine Sentimentalitäten erlauben. Wenn Uthman durch einen Zufall diese Kammerzofe kennen gelernt hat, könnte er doch vielleicht das Mädchen bewegen, uns in das Palais einzulassen.«
Joshua ersparte sich irgendwelche Vorwürfe. »Wie hast du dir das vorgestellt?«
»Wir dürfen unter keinen Umständen dem Mädchen die Wahrheit sagen, vielleicht ist sie eine treue Dienerin ihres Herrn. Vielmehr geben wir uns als große Bewunderer des Königs aus und wünschen uns, ihn einmal von Angesicht zu Angesicht sehen zu dürfen. Danach verfahren wir wie ausgemacht und überreichen ihm das Kryptogramm mit dem Hinweis, dass aus diesem Dokument der geheime Ort des Templerschatzes ersichtlich sei. Seine Geldgier wird ihm den Tod bringen.«
»Wenn nun Uthman diesem Plan nicht folgen will?«
»Er ist ein Sarazene, für den die Liebe ein Spiel, der Kampf aber ein Lebenselixier ist.«
»Geb’s Gott!«, wünschte Joshua.
Am nächsten Morgen wirkte Uthman verschlossen. Er war nicht bereit, von seinen nächtlichen Abenteuern zu berichten. »Wir müssen miteinander sprechen«, sagte Henri ernsthaft. »Bist du noch bereit, an unserem Vorhaben mitzuwirken? Wenn ja, gib mir Wort und Hand darauf. Ich möchte dich nicht belügen.«