Выбрать главу

Uthman zögerte nicht einen Atemzug lang. »Ich habe ein Gelöbnis abgelegt und werde es erfüllen. Eher will ich sterben, als dich im Stich zu lassen.«

»Was ist wichtiger für dich, die Liebe oder der Kampf?«, fragte Henri.

»Wie kannst du da nur fragen? Beides bringt mir Lust. Aber ich bin nicht gar so unerfahren, wie du glaubst. Unser Prophet liebte alle seine Frauen, und bei jeder entdeckte er ein anderes Geheimnis. Er war ein Mann des Lebens, kein verknöcherter Asket.«

Henri schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Du willst doch nicht etwa noch bei anderen Mädchen die Runde machen?«

»Die anderen Frauen von Paris werden mich auch nichts anderes mehr lehren können als Juliette. Wir Sarazenen kennen bei weitem mehr Vereinigungen als ihr im Okzident und haben sie mit blumigen Namen belegt.

Der Koran sagt in der Sure Al-Baqarah, die Kuh, im 223. Zeichen: Eure Frauen sind Euch ein Saatfeld. Geht zu Eurem Saatfeld, wo immer Ihr wollt. Juliette wollte das nicht verstehen.«

»Du musst ihr das verzeihen. Diese Gedankengänge kann ein christliches Mädchen nicht begreifen.«

Uthmann wirkte zornig. »Ich wollte ihr zeigen, wie man auf dem Wege zur Lust in das vorweggenommene Paradies gelangen kann. Stattdessen hat sie von mir eine Einigung verlangt, die bei uns Sarazenen als verächtlich gilt. Das hat mich beleidigt. Ich möchte darüber nicht sprechen.«

»Beenden wir also dieses Thema!«, schlug Henri vor. »Dennoch möchte ich dich bitten, heute noch einmal Juliette aufzusuchen. Vielleicht kannst du erreichen, dass sie uns morgen durch den Dienstboteneingang in das Palais einlässt.« Henri fühlte sich sehr unwohl bei diesem Vorschlag. Es war nicht richtig, das Mädchen zu betrügen. Er ordnete jedoch alle Bedenken seinem Ziel unter, den Fluch der Großmeister zu erfüllen.

Uthman kannte anscheinend ebenso wenig Skrupel. »Warum nicht? Vielleicht bringe ich sie doch noch dazu, El khiate, den Schneider, mit mir zu spielen.«

»Teile mir morgen früh mit, ob das Mädchen bereit ist, uns in die Nähe des Königs zu bringen. Denke daran, dass wir glühende Bewunderer Philipps sind und ihm eine wichtige Nachricht überbringen wollen.«

»Natürlich wird das Mädchen bereit sein. Darauf gebe ich dir mein Wort. Notfalls wende ich Dok el outed an. Du glaubst nicht, wie das ihre Bereitwilligkeit steigern wird.«

»Davon möchte ich jetzt nichts mehr hören!«, gebot Henri. Aber Uthman konnte es nicht lassen, sich noch einmal auf den Propheten zu berufen: »Der Mann hat von der Frau Folgendes zu beanspruchen: Wenn er sie begehrt, darf sie sich ihm nicht versagen, auch wenn sie auf dem Rücken eines Kamels säße.«

»Zum Glück gibt es aber in Paris keine Kamele«, meinte Henri. »Wenn du Juliette darum bitten möchtest, uns zum König zu führen, dann lass sie besser solche Sprüche nicht hören.«

»Da könnte ich dir noch ganz andere Gebote des Propheten nennen. Man überliefert, er habe zwar gesagt: Behandelt die Frauen fürsorglich und liebevoll, aber das betrifft nur gehorsame Frauen. Die ungehorsamen soll man mit Prügeln zur Räson bringen.«

»Wer trifft denn die Entscheidung, ob eine Frau nun gehorsam oder ungehorsam ist?«, fragte Henri.

»Natürlich der Mann!«, rief Uthman und lachte.

Henri konnte nichts Lächerliches an dieser Antwort finden. »Du scheinst dich ja recht gut in Muhammads Geboten auszukennen, jedenfalls was die Würde des Mannes und die Behandlung der Frauen betrifft. Was aber sagt euer heiliges Buch dazu?«

»Ja, ja – obwohl ich mich in Cordoba bemüht habe, den Koran auswendig zu lernen, wie es sich für jeden unseres Glaubens gehört, so weit bin ich noch nicht gekommen!«

»Das wird wohl auch noch einige Zeit dauern«, meinte Henri und lächelte. Natürlich kannte Uthmann den Koran in- und auswendig.

Uthman nahm ihm den Scherz nicht übel. »Das mag wohl stimmen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie oft ich in der Koranschule mit der Bastonade auf die nackten Fußsohlen bestraft wurde, weil ich die Koranverse nicht fehlerfrei hersagen konnte. Dennoch kann ich immer noch sehr schnell laufen. Das werde ich dir morgen beweisen, falls wir flüchten müssen.«

Ich kenne ihn immer noch nicht, dachte Henri, nachdem sich Uthman fröhlich pfeifend entfernt hatte. Was sollte dieses ganze Gerede von der Liebe? Hatte er vielleicht von Beginn an die Kammerzofe für unsere Zwecke ausnützen wollen? Warum war er überhaupt über die Mauer gestiegen und hatte sich keine Mühe gegeben, im Schatten der Bäume verborgen zu bleiben? Warum war er so schnell bereit gewesen, das Mädchen zu täuschen? Warum hatte er sie mit der Befriedigung seiner Lust entwürdigt?

Henri fand auf alle diese Fragen keine Antwort. Schemenhaft erschien vor seinem inneren Auge die Erscheinung der zarten Tochter Umars. Es gelang ihm nur schwer, die Erinnerung an Leila zu verscheuchen. Denn es war ihm schrecklich, dass Umar dieses engelgleiche Wesen gegen eine Ziegenherde und einige Kamele an den brutalen Herrscher der Karawanserei verschachert hatte.

Er hätte gern mit Joshua über den morgigen Tag gesprochen. Aber als er den Speicherraum betrat, fand er seinen Gefährten im Gebet vor. Warum hatte nicht auch er daran gedacht, die Hilfe des Gottessohnes und der Jungfrau Maria zu erflehen? Er verließ den Gasthof, sattelte sein Pferd und machte sich auf den Weg nach Paris.

Ohne Mühe fand er den Weg zur Kathedrale Notre-Dame. Er spürte nicht die Kälte der Fliesen, als er sich vor dem Bild der Jungfrau Maria auf den Knien niederließ. War es überhaupt möglich, für künftige Missetaten um Vergebung zu bitten? Sollte nicht vielmehr ein Gebet zur Läuterung beitragen und böse Gedanken verscheuchen? Er wusste nicht, wie er sich aus diesem Zwiespalt lösen sollte. Sein Gebet blieb kurz, denn er fand nicht die richtigen Worte.

»Heilige Maria Mutter Gottes! Schenke mir deine Gnade und Vergebung für das, was ich morgen tun muss. Heilige Maria Mutter Gottes, bitte für mich Sünder, jetzt und in der Stunde meines Todes.«

Beinahe fluchtartig verließ er die nächtliche, jetzt menschenleere Kathedrale und ritt, wie von Furien gejagt, zu seinem Quartier zurück.

Uthman erschien schon am frühen Morgen. Er schwenkte ein Blatt Papier. »Ich habe nach den Angaben des Mädchens einen Lageplan skizziert, damit wir uns auf dem Rückzug nicht in den Gängen des weitläufigen Palais verirren. Hier dieses Rechteck bedeutet die Stallung. Ich habe sie heute Nacht gegen meinen Willen besichtigt. Denn im Pavillon vergnügten sich einige edle Herren mit willigen Hofdamen, die anscheinend keine Mühe scheuten, ihre Röcke hochzuschlagen. Darum mussten wir zu den Stallungen ausweichen. An der nördlichen Mauer gibt es eine kleine Pforte. Dort wird uns Juliette bei Eintritt der Dämmerung erwarten.«

»Wird sie sich nicht weigern, auch Joshua und mich einzulassen?«

»Wohl kaum«, erwiderte Uthman zuversichtlich. »Ich habe ihr gesagt, dass ihr beide große Bewunderer des Königs und bereit wäret, ihr für die unschätzbaren Dienste ein ansehnliches Häuflein von Goldmünzen zukommen zu lassen.«

»Die soll sie auch haben«, versprach Henri.

»Wie du willst«, knurrte Uthman. »Ich bin der Meinung, dass ich sie mit meinen Liebesdiensten genügend entlohnt habe. Sie hat sogar geweint, als ich sie verließ.« Uthman öffnete ein Bündel. »Ich habe mir bei einem Schneider neue Hosen anfertigen lassen, um bei den königlichen Kammerherren einen guten Eindruck zu hinterlassen. Meine alten Hosen waren voller Blut, und diesen wird es nicht besser ergehen.«

Henri schwieg. Dieser Uthman überraschte ihn immer wieder. 

22

Bis zuletzt hatte Henri befürchtet, das Mädchen hätte Verdacht schöpfen oder es sich anders überlegen können. Aber Juliette erwartete sie an der kleinen Pforte hinter den Stallungen. Sie legte einen Finger auf die Lippen und huschte zu einem Nebeneingang des Schlosses voraus.