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Marie-Claire merkte, wie ihr Herz pochte. Es pochte, weil sie jetzt endlich den Grund für Gregors Interesse an dem Florentiner kannte. Der Florentiner! Deshalb also war Gregor in London gewesen war. Er wollte den Diamanten zurückkaufen. Wenn das stimmte, hatte er damals in London in der Zentrale die Wahrheit gesagt. Ungewöhnlich war ein solches Anliegen auf dem Kunstmarkt nicht. Francis Roundell würde wahrscheinlich jubeln, wenn sie ihm das mitteilen würde. Er würde sich sicherlich in seiner Einschätzung bestätigt sehen. Wie hatte er damals gesagt? »Es ist immer gut, wenn man weiß, dass es auf einer Auktion mehrere Interessenten gibt.«

Plötzlich gefiel ihr die Vorstellung, den heutigen Abend mit Gregor hier am Wörthersee zu verbringen. Eigentlich stand jetzt kein Geheimnis mehr zwischen ihm und ihr. Jeder wusste, was der andere wollte. Jedenfalls was den Florentiner betraf. Ihr Herz schlug schneller, auch weil sie wusste, dass er ihr Vertrauen gewinnen wollte. Seine Stimme klang sehr erotisch, als er sie aus ihren Gedanken riss.

»Dieses permanente Misstrauen zwischen uns würde ich heute Abend sehr gern über Bord werfen. Und zwar ohne weiter darüber zu reden.«

»Ich auch«, flüsterte Marie-Claire de Vries aufgeregt. Sie freute sich auf diesen Abend. Und mehr noch auf die Nacht.

Noch immer lag Nebel über dem Wörthersee. Irgendwo in der dichten Wolkendecke, die sich an den Hügeln um den See herum wie Watte auf die Wälder legte, lugte die Morgensonne hervor, wich dann aber wieder neuen Regenwolken. Marie-Claire lag auf dem Rücken, ohne sich zu bewegen. Seit Stunden lag sie schon so in seinem Bett im zweiten Stock der Villa über Mariawörth und starrte an die Zimmerdecke. Sehnsüchtig wartete sie auf das erste Tageslicht, wartete auf eine Bewegung von ihm, um so schnell wie möglich aus diesem Bett verschwinden zu können. Aber sein Atem war noch immer gleichmäßig. Er schließ tief und fest. Ihn schienen die Geschehnisse der Nacht überhaupt nicht tangiert zu haben. Vorsichtig richtete sie sich auf und lehnte sich mit dem Rücken gegen das Kopfteil des Betts. Sie wollte zu ihm hinüberschauen, spürte aber einen inneren Widerstand, ihn schlafend neben sich zu sehen. Seine Nähe hatte nichts Beruhigendes, sie empfand es nunmehr als unangenehm, dass er nur eine Hand breit neben ihr lag.

Erst jetzt sah sie, welch einen fantastischen Blick man von der Villa über den See hinüber zu den Wäldern und auf die kleine Insel mit dem gelblichen Schloss zur Rechten hatte. In der Nacht waren es nur die vereinzelten Lichter auf der anderen Seeseite gewesen, die sie hatten erahnen lassen, welch grandiosen Blick man von hier oben haben würde. Doch ihr stand der Sinn nicht nach euphorischen Gedanken. Zu sehr war sie mit den zurückliegenden Stunden beschäftigt. Was da geschehen war, konnte sie sich nicht so recht erklären. Anfänglich hatte sie geglaubt, der permanente Stress und der wenige Schlaf der letzten Wochen seien der Grund, dass sich ihr Körper verweigert hatte, mit ihm zu schlafen. Doch mit dem ersten Tageslicht wusste sie, warum es zu dieser eher peinlichen Situation gekommen war. Es war sehr romantisch und kurzweilig gewesen mit ihm in der Bar des Hotels. Sie hatten geplaudert, gelacht, geflirtet, waren fast ehrlich zueinander gewesen und hatten auf den Barkeeper sicherlich wie Verliebte gewirkt. Dennoch. Sie hatten eben nur so gewirkt. Immer wieder waren die Momente der Unbeschwertheit von nachdenklichen Gedanken zerstört worden, die ihr ihren Selbstbetrug vor Augen führten. Trotzdem war sie mit ihm nach der sehr romantischen Fahrt mit dem Motorboot um den See herum in sein Schlafzimmer gegangen, statt sich in den Gästetrakt zurückzuziehen. Er hatte sie nicht gedrängt, ganz im Gegenteil, eigentlich hatte er ihr keine Avancen gemacht. Nein, sie hatte es gewollt. Vielleicht, weil sie beschwipst war. Oder weil die Ruhe des Hauses inmitten des Waldes, das flackernde Kaminfeuer in seinem Salon und die beruhigende Musik von Brahms sie in einen tranceähnlichen Zustand versetzt hatten. Vielleicht! Oder weil sie sich seit langer Zeit nach Zärtlichkeit, nach Nähe und Vertrauen sehnte. Er zog sie körperlich an. Sein Selbstbewusstsein und sein Charme gefielen ihr, sie war beeindruckt von seiner Bildung. Im Lauf des Abends war eine Vertrautheit entstanden, von der sie geglaubt hatte, es sei tiefe Sympathie – eine sehr schöne Basis für eine gemeinsame Nacht. Wie sehr hatte sie sich getäuscht. Ihr Körper hatte sie schnell in die Schranken verwiesen, wahrscheinlich, weil sie ihm letztendlich doch misstraute. Er war nicht wirklich offen, es gab Widersprüche. Während sie ihm erzählt hatte, worin ihre Aufgaben bei Christie’s bestand, ihm ehrlich sagte, dass sie die Historie des Florentiners recherchierte, hatte er sich über seine Familie, seine Rolle im Orden der Ritter vom Goldenen Vlies mit eher kryptischen Andeutungen um eine klare Aussage herumgedrückt. Der Terminus »Diskretion« wurde in diesem Zusammenhang von ihm überstrapaziert. Dabei hatte doch er selbst für uneingeschränktes Vertrauen plädiert! Ihr Verstand entschied nach kurzem Zwiespalt, mit Gregor ins Bett zu gehen. Sie wollte einen männlichen Körper spüren und lechzte nach Berührung und Lust.

Schon nach wenigen Minuten hatte sie gewusst, dass sie zwar nach all dem verlangte, sich danach sehnte, aber nicht mit ihm! Während er ihr behutsam den Pullover über den Kopf gestreift hatte, war ihr Blick über seine entblößte Brust gehuscht – und hatte nach einem Anhänger, nach einer Kette gesucht. Nicht dem männlichen Körper, nicht seinem Körper galt ihr Interesse. Nein, sie wollte wissen, ob er unter seinem T-Shirt ein Kettchen mit dem Anhänger der Ritter vom Goldenen Vlies trug. Ihre Freundin Christiane hatte ihr vor zwei Tagen per E-Mail einige Informationen über die Vlies-Ritter geschickt. Darin stand unter anderem, dass jeder Vlies-Ritter verpflichtet war, neben den prachtvollen, nur für besondere Festlichkeiten gedachten Gold-Collanen auch immer einen kleinen Orden zu tragen. Am Revers oder unter dem Hemd. Nach diesem Zeichen hatte sie heimlich Ausschau gehalten, als er erst sich und dann sie auszog. Und selbst als er schon mit seinen Lippen über ihren Halsansatz hin zum Nacken und zu ihrem Busen geglitten war, war sie in Gedanken bei diesem Anhänger! Er trug keinen! Wieso nicht? Wieso tat er so, als gehöre er zum Orden der Ritter vom Goldenen Vlies? Wieso gab er sich zärtlich, liebevoll – und log sie dennoch an? Als sie schließlich seinen Mund auf ihrem Busen und Bauch gefühlt hatte, spürte sie, dass es nicht ging. Nein, ihr Körper verweigerte dem Verstand den Gehorsam. Ihre Ratio signalisierte tief in ihr »Tu es, du willst es, du liebst es«, aber ihr Körper sprach eine andere Sprache. Er war erstarrt, in Abwehrhaltung. Ihr Körper wollte sich nicht von ihm liebkosen lassen.

»Guten Morgen.«

Seine Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Sanft legte er seine Hand auf ihre Schulter. Die Gänsehaut, die ihr über den nackten Rücken kroch, bestätigte, dass es heute Nacht richtig gewesen war, sich zu verweigern. Sie war froh, dass sie ihren nackten Busen mit dem Satintuch bedeckt hatte.