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»Oui … quelle surprise … gerne, ja, es ist sehr schönes Wetter. Ich habe eine gute Idee! Treffen wir uns doch um vier Uhr heute Nachmittag am Eingang des Burgtheaters und gehen wir zum Weihnachtsmarkt.«

15. Kapitel

Damit hatte Carlo Frattini nicht gerechnet. Der Sicherheitsbeamte an der Einfahrt zum Palmeraie Golf Palace Hotel & Resort ließ ihn nicht passieren. Gestern war er noch völlig problemlos reingekommen, hatte lediglich gesagt, er sei Hotelgast. Nahezu den ganzen Tag hatte er damit verbracht, sich mit den Örtlichkeiten des mehrere Hektar großen Terrains, mit dem Golfplatz, den Tennisplätzen, Reitställen und den insgesamt neun Restaurants und Bars der Anlage vertraut zu machen. Schnell hatte er erkannt, dass dieses unüberschaubare und von morgens bis abends gut besuchte Resort ideal für seine Pläne war. Niemand achtete hier auf einen Europäer. Um die fünf Swimmingpools herum lagen Urlauber aus aller Welt und marokkanische Stammgäste, die durchweg im Pulk mit vielen Kindern die Liegen bevölkerten. Nein, er als Sarde fiel hier nicht auf. Damit hatte er eine optimale Ausgangsbasis.

Draußen, in Marrakesch, mischte er sich als Gacel Sayah verkleidet, der Targi, unter die einheimische Bevölkerung. In Hotels und Restaurants verhielt er sich wie die Touristen, von denen Tag für Tag Zehntausende durch die Souks, Prachtpalais und weitläufigen Gartenanlagen der Stadt zogen. So unproblematisch hatte er sich das nicht vorgestellt, als er von Italien aus losgeflogen war. Sein südländisches Aussehen erleichterte es ihm, sich völlig frei zu bewegen. Die Stadt begann ihm zu gefallen. Sie hatte ein sehr eigenes Flair, lag wunderschön in der fruchtbaren, von herrlichen Palmenhainen und Gärten geprägten Ebene mit den jetzt schon schneebedeckten Bergen des Atlas-Gebirges im Hintergrund. Es war ein reizvolles Motiv: Die mächtige Stadtmauer, überthront von Palmen und Moscheen, durchsetzt von Palästen und wunderbaren Gärten – und im Hintergrund der über viertausend Meter hohe, schneebedeckte Djabal Toubkal. Der Kontrast zwischen dem mittelalterlich-orientalisch anmutenden Treiben auf dem Djemaa el Fna und in der Medina, der Moderne in Marrakesch Nouveau und dem fantastisch-luxuriösen Ambiente in den unzähligen Palästen der Stadt war faszinierend. Das Klima war zudem sehr angenehm. Für Dezember war es noch sehr warm, tagsüber sogar warm genug, um am Pool liegen zu können. In dieser Anlage hier gab es zwei beheizte Schwimmbecken, an denen sich gestern die Gäste aufgehalten hatten. Und genau dort, in einem der dreigeschossigen, roten Wohntrakte an dem größten der insgesamt fünf Swimmingpools, lagen die zwei Zimmer, in denen sich die Araber aufhielten. Einige dieser Männer hatte er bereits identifiziert. Es waren Marokkaner, die zusammen mit ihren Familien hier in Marrakesch lebten. Er hatte bereits damit angefangen, deren Privatleben auszukundschaften. Von jenem Mann, den er in den letzten Tagen nahezu rund um die Uhr observiert hatte, wusste er, dass er einen verhältnismäßig regelmäßigen Tagesablauf hatte. Dazu gehörten der Besuch des Friseurs und der Besuch seiner Freunde hier im Hotel. Ganz offensichtlich war dieser kleine, sehr schmächtige Mann für die Logistik innerhalb der Gruppe zuständig. Er erledigte Botengänge, besorgte Fahrzeuge und schien der Kontaktmann zu bestimmten Behörden zu sein. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit war er bei dem Überfall auf das Schloss in Deutschland dabei gewesen. Er war ganz eindeutig Marokkaner. Bei den anderen war er sich nicht so sicher. Einer hatte seines Wissens gleich mehrere Identitäten. Nach den ihm von Freunden und Kollegen übermittelten Interpol-Daten hieß er mal Jilani Rezaigui, gelegentlich auch Faisal Ben Ait Haddou und derzeit wohl Abdel Rahman. Vieles sprach dafür, dass er der oder zumindest einer der Anführer war. Seine Nationalität war ebenso unklar wie seine Zugehörigkeit zu einer Terrorgruppe. Carlo Frattini stand noch immer mit seinem Wagen in der Nähe der Zufahrtsstraße zum Schlagbaum des Hotels. Nachdem der Wärter ihn abgewiesen hatte, war er zurückgefahren. Er überlegte, was er tun sollte. Er kannte die Gepflogenheiten hier nicht. Konnte er den Wärter mit einem kleinen Trinkgeld bestechen? Oder würde er mit einem solchen Versuch nur Aufmerksamkeit erwecken? Er war noch nie in Marokko gewesen. Das wenige Arabisch, das er konnte, hatte er in Tunesien gelernt. Diese Sprache war eine echte Herausforderung für jeden Abendländer – geschrieben wie gesprochen. Schon allein das Schreiben von rechts nach links stellte alles Gelernte auf den Kopf. Die achtundzwanzig Basiszeichen der Schrift, die nie als Einzelbuchstaben, sondern stets verbunden verwendet werden, waren eine tückische Fehlerquelle für jeden Europäer. Und die gesprochene Sprache hatte sich für ihn schnell als kaum zu bewältigendes Problem herausgestellt.

Die vielen kehligen Laute malträtierten sein italienisches Sprachgefühl. Das Schlimmste war, dass Arabisch weltweit so viele Dialekte hatte, dass zum Beispiel ein Syrer mit einem Marokkaner nicht kommunizieren konnte. Sein gelerntes Hocharabisch nutzte ihm daher hier in Marrakesch nicht sehr viel. Es reichte, um sich mit einigen arabischen Schimpfworten allzu aggressive Souvenirhändler vom Leibe zu halten. Dagegen konnte er fast alles lesen – auch das Schild am Schlagbaum des Hotels. Dort stand, dass Hotelgäste unaufgefordert ihre Zimmernummer sowie den Namen nennen sollten.

Verärgert wollte er soeben seinen Wagen zurücksetzen, als hinter ihm ein Auto heranfuhr und direkt hinter ihm stehen blieb. Es war ein Mietwagen. Das konnte er an zwei Querstrichen auf dem Kennzeichen erkennen. Er schaute in den Rückspiel. Am Steuer saß ein Europäer um die fünfzig Jahre. Auf dem Rücksitz konnte Carlo Frattini Golfgepäck erkennen. Der Fahrer hinter ihm hupte verärgert. Carlo Frattini beugte sich aus dem Seitenfenster heraus und rief dem Fahrer ein italienisches Schimpfwort zu. Der andere beugte sich nun ebenfalls aus dem Fenster. Als Frattini den Gang einlegte, um zurück in die Stadt zu fahren, hörte er, wie ihm der Mann in dem Golfdress auf Deutsch »Dummkopf, hier ist Halteverbot …« hinterherrief.

*

Auf der Terrasse vor dem Zimmer im Erdgeschoss nahe dem Swimmingpool saßen drei Männer in der wärmenden Morgensonne. Sie tranken Tee. Freiherr Georg Ludwig von Hohenstein schob den Vorhang am Fenster seines Zimmers auf der gegenüberliegenden Seite des Pools mit der Waffe ein wenig zur Seite. Vorsichtig schaute er durch die Zieloptik. Zwei Männer waren durch einen Oleanderbusch verdeckt. Der dritte saß mit dem Rücken zur Terrassenwand und hielt ein Handy am Ohr. Das Zielfernrohr war von hervorragender Qualität. Gregor von Hohenstein konnte nahezu jedes Detail im Gesicht des Mannes erkennen. Er war kaum älter als dreißig Jahre, ungewöhnlich breitschultrig und dick. Der Araber trug eine goldene Kette und einen fast monströsen Goldring an der Hand, die das Handy hielt. Diesen Mann hatte er in Deutschland nicht gesehen. Vorsichtig justierte Gregor von Hohenstein die Zieloptik. Das 4-12x50-Zielfernrohr hatte eine fantastische Auflösung. Das MilDot-Absehen besaß auf dem feinen Fadenkreuz kleine Pünktchen zum Vorhalten in der Bewegung, aber das würde er nicht brauchen. Die Männer saßen nahezu bewegungslos da. Ungefähr siebzig Meter – mehr waren es nicht zwischen ihm und den Arabern. Die Lochkimme mit dem Leuchtkornvisier hatte ihm soeben ein perfektes Ziel gegeben.