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Der Oberst atmete tief durch. »Du sagst, es geht nicht nur um Li allein.« Er suchte in der zerdrückten Packung nach einer unbeschädigten Zigarette und warf die Schachtel dann angewidert zu Boden.

»Da war noch etwas. Etwas, das er gesagt hat, als er mir das Angebot unterbreiten wollte. Falls ich mich kooperativ zeigte, würde er dafür sorgen, daß die Kriecher von der 404ten abgezogen werden.«

»Unmöglich. Li hat keine Amtsgewalt über das Büro für Öffentliche Sicherheit.«

»Ganz genau.« Shan ließ die Worte wirken. »Aber es würde reichen, wenn er die Unterstützung eines leitenden Offiziers des hiesigen Kommandos hätte. Vielleicht desselben Offiziers, der Leutnant Chang von der Grenze hergeholt hat.«

In Tans Augen loderte plötzlich eine ganz andere Art von Feuer. »Was soll ich deiner Meinung nach tun?«

»Lassen Sie Miss Lihua herkommen. Wir brauchen sie hier, um Auge in Auge mit ihr zu sprechen.«

»Erledigt. Was noch?«

»Die goldenen Schädel aus der Höhle. Ich möchte einen davon als Beweisstück haben.«

Tan nickte. »Direktor Hu hat mir einen ins Büro geschickt. Mein Fahrer wird den Schädel noch heute abend vorbeibringen.«

»Und der Ankläger hatte ein wichtiges Treffen in Peking. Irgendwas im Zusammenhang mit Wasserrechten. Etwas über eine Bambusbrücke. Wir müssen alles darüber in Erfahrung bringen. Weder Sie noch ich können das erledigen, aber Sie kennen jemanden, der das vermag.«

An der Tür bewegte sich jemand. Feng hatte sich wieder herangetraut, und Yeshe stand direkt vor der Tür im Schatten.

»Noch eines, Oberst. Ich muß es wissen. Damals, bei dem Aufstand in Lhadrung, haben Sie da befohlen, den Mönchen die Daumen abzuschneiden?«

»Nein!« fauchte Tan. Er stand so hastig auf, daß die Bank umkippte, auf der er gesessen hatte. Er schaute zu Feng und dann wieder zurück zu Shan. Die Wut auf seinem Gesicht konnte Shans unerschütterlichem Blick nichts anhaben. Langsam wich das kämpferische Funkeln aus Tans Augen. »Diese verdammten Buddhisten«, sagte er in flehentlichem Tonfall. »Warum können sie nicht aufgeben?«

Tan schaute zu Boden. »Ja«, sagte er sehr viel leiser. »Ich habe gewußt, daß die Öffentliche Sicherheit den Menschen die Daumen abgeschnitten hat, und ich hätte die Kriecher aufhalten können.« Er zog seinen Waffenrock gerade und marschierte erhobenen Hauptes aus der Baracke.

Als Sergeant Feng und Yeshe eintraten, herrschte zunächst drückendes Schweigen. Feng stellte die Bank wieder auf und begann damit, den Tabak zusammenzufegen.

»Wie steht's mit Ihnen, Sergeant?« fragte Shan. »Wollen Sie diesmal, daß es aufhört?«

Fengs bekümmerter Gesichtsausdruck war während des gesamten Tages nicht wieder verschwunden. »Ich verstehe gar nichts mehr.« Er rang die Hände. »Die können doch nicht einfach meine Strafgefangenen umbringen.«

»Dann helfen Sie mir.«

»Das tue ich doch schon. Es ist meine Aufgabe.«

»Nein. Helfen Sie mir.« Shan schaute kurz zu Yeshe, der zu seinem Bett gegangen war. »Sungpo wird in drei Tagen hingerichtet. Falls das geschieht, werden wir niemals erfahren, wer der Mörder ist. Und die 404te wird geopfert.«

»Du bist ja völlig verrückt, wenn du glaubst, du könntest sie aufhalten«, murmelte Feng.

»Nicht nur ich allein. Wir alle.« Er musterte seine beiden erschöpften Gefährten. »Morgen früh werden die Amerikaner Karten herbringen. Fotokarten. Es ist erforderlich, daß Yeshe das Material genau unter die Lupe nimmt. Außerdem müssen diese Disketten untersucht werden.« Shan zog den Umschlag aus der Tasche und reichte ihn Yeshe. »Das wird mehrere Stunden dauern.«

Er wandte sich an Feng. »Ich möchte, daß Sie sich zu Jigme in die Berge gesellen. Vier Augen sehen mehr als zwei. Bitte bleiben Sie so lange dort, bis Sie herausgefunden haben, wo der Dämon lebt.«

Der Sergeant schien in sich zusammenzusacken. Dann hob er den Blick, traurig, aber entschlossen. »Wie?«

»Gehen Sie zu dem Schrein bei den Amerikanern. Schauen Sie nach, ob Tamdins Hand noch da ist. Falls ja, folgen Sie ihr, sobald sie verschwindet. Falls nein, finden Sie heraus, wer Gebete zum Schutz vor Hundebissen hinterläßt, und verfolgen Sie diese Gebete zurück.«

Feng ließ sich auf die Bank sacken. »Das heißt, ich soll dich allein lassen. Das ist gegen meine Befehle.« Es war nicht als Protest gemeint, sondern eher als gekränkter Einwurf. »Ich weiß gar nicht, wie man Gebete liest«, murmelte er. »Dieser Jigme vermutlich auch nicht.«

»Nein. Sie werden jemanden mitnehmen, der sich damit auskennt. Einen alten Mann. Ich werde veranlassen, daß Sie ihn am Marktplatz abholen können.«

»Wie werde ich ihn erkennen?«

»Sie kennen ihn bereits. Sein Name ist Lokesh.«

Tyler Kincaid schien sich bestens zu amüsieren. Nachdem sie den Sicherheitskontrollpunkt an der Bezirksgrenze hinter sich gelassen hatten, beschleunigte er den Wagen und stieß ein jauchzendes Geräusch aus, wie Shan es zuvor nur bei Cowboys in amerikanischen Filmen gehört hatte. Rebecca Fowler drehte sich um und zog die Decke weg, unter der Shan sich versteckt hatte. Er rappelte sich vom Wagenboden auf und setzte sich auf die Rückbank.

»Die schauen nie genau nach«, sagte sie mit angespannter Stimme. »Winken bloß durch.«

»Wie so ein großkotziger BDK«, rief Kincaid. Er versuchte, einen Blick auf Shan zu erhaschen, der sich inzwischen die Beine rieb, um den Blutkreislauf anzuregen. Shan hatte fast zwei Stunden auf dem Boden gelegen, seit sie Yeshe mit einem Stoß Fotokarten im Lager Jadefrühling zurückgelassen hatten. »Es heißt, Sie seien früher eine große Nummer in der Partei gewesen. Angeblich haben Sie sich mit dem Vorsitzenden angelegt und dabei verloren.«

»Es war nicht ganz so dramatisch.«

»Aber deswegen sind Sie doch hier, nicht wahr? Sie haben es mit den BDKs aufgenommen. Ihnen verdanken Sie den Knastaufenthalt, richtig?« fragte Kincaid im gleichen unbeschwerten Tonfall.

»Da muß jemand aber ein ziemlich unerfülltes Leben führen, daß er seine Zeit damit verschwendet, über mich zu reden.«

Fowler grinste und warf ihm einen Blick zu.

»Und Sie, Mr. Kincaid? Heilt Ihre Verletzung?«

Der Amerikaner hob den Arm, der immer noch mit einem großen Verband umwickelt war. »Ist bald wieder so gut wie neu. Höhenheilung ist eine prima Vorbereitung für die Klettertour auf den Chomolungma.«

»Wir sollten zuerst nach Gonggar fahren«, schlug Fowler vor. Sie wollten einige Proben der Lake zum Flughafen bringen, die man von dort aus weiter nach Hongkong transportieren würde.

Hinter Shan standen zwei große würfelförmige Holzkisten, in denen sich jeweils zwölf Zylinder aus rostfreiem Stahl befanden. Die Kisten dienten ihnen als Vorwand für die Fahrt.

»Da ist eine Jacke«, erklärte sie. »Mit dem Logo der Mine. Ziehen Sie sie an. Und am Flughafen helfen Sie uns einfach mit den Kisten, als würden Sie für uns arbeiten.«

»Aber sind Sie denn bevollmächtigt, danach weiter nach Lhasa zu fahren?« fragte Shan. »Vielleicht nimmt mich einer der Lastwagen als Anhalter mit.«

»Und wie kommen Sie zurück? Wie viele Lastwagenfahrer werden es wohl riskieren, einen Fremden ohne Papiere am Kontrollpunkt zu verstecken? Wir statten einfach Jansen einen Besuch im UN-Büro ab. Ich möchte mit ihm über den Schädelschrein sprechen.«

»Ich wollte Sie bloß nicht darin verwickeln und dadurch weiteren Risiken aussetzen«, sagte Shan. »Sie riskieren ohnehin schon zuviel.«