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»Ich will, daß diese Angelegenheit ein Ende findet«, sagte Fowler beinahe beschwörend. »Falls man Sie erwischt, ist es vielleicht nie vorbei.« Sie wandte sich nach hinten um. Da war wieder dieser gehetzte Gesichtsausdruck, der Shan an ihr aufgefallen war, nachdem sie die Hand des Dämons zurückgebracht hatte. »Gestern abend sind sie gekommen. Ich schätze, das war es, wovor Sie mich warnen wollten.«

»Wer ist gekommen?«

»Die Öffentliche Sicherheit. Nicht der Major. Tyler hat den Major angerufen, um sich zu beschweren. Es war eine Gruppe Techniker; zumindest sah es danach aus. Sie haben sich lediglich für die Computer interessiert und jede einzelne Festplatte und Diskette kontrolliert.«

»Eine große BDK-Show«, stellte Kincaid mit säuerlichem Grinsen fest. »Bloß um uns einzuschüchtern. Man weiß, daß wir Jansen helfen. Wir wissen, daß man es weiß. Wir wissen auch, daß man es unterbinden will. Man ist sich der Tatsache bewußt, daß man nicht zu nachdrücklich werden darf, denn ansonsten könnte die UN wirklich hellhörig werden und die Wachhunde auf den Plan rufen.«

»Die UN hat Wachhunde?«

»Menschenrechtsermittler.«

Shan dachte über das Wort nach. Menschenrechtsermittler, wiederholte er im stillen. Die Amerikaner benutzten dieses Wort so beiläufig. Sie kamen nicht aus einem anderen Teil der Welt. Sie mußten von einem ganz anderen Planeten stammen. Er sah aus dem Fenster und seufzte. »Was hat der Major gesagt, als Sie ihn angerufen haben?« fragte er.

»Ich konnte ihn nicht erreichen«, erwiderte Kincaid. »Er war angeblich mit Vorbereitungen für den Besuch der amerikanischen Touristen beschäftigt.«

»Einer von denen hat ziemlich viel geredet«, fuhr Fowler nervös fort. »Er hat mich immer wieder herausgefordert und mir ins Gesicht gesagt, wie sehr er die Amerikaner hassen würde. Er hat mich gefragt, ob ich wüßte, welche Strafe auf Spionage stünde. Die Todesstrafe, hat er behauptet, und zwar ohne jegliches Ansehen der Person.« Sie blickte zu Kincaid. »Niemand würde uns in so einem Fall beistehen. Nicht die UN. Niemand.«

Kincaid spürte ihren Blick und wandte sich ihr zu. Der Klang ihrer Stimme schien ihn irgendwie zu beunruhigen. »Es ist alles in Ordnung«, sagte er unsicher. »Uns wird nichts geschehen. Du weißt, daß es keine verdammten Spione gibt. Das sind bloß ihre verfluchten Spielchen.« Seine Hand glitt zu ihr herüber und legte sich auf ihr Bein.

»Ich weiß nicht«, sagte sie und sah dabei nach draußen. »Ich bin in letzter Zeit so nervös. Aus völlig unerfindlichen Gründen bekomme ich Angst oder schlimme Vorahnungen.«

»In welcher Hinsicht?« fragte Kincaid.

»Es ist nichts Konkretes. Als würde dir nur für eine Sekunde ein fauler Gestank in die Nase steigen und gleich wieder verschwinden. Als würde etwas in der Luft liegen.« Sie schob seine Hand weg.

»Alle sind nervös, seit die Kriecher angekommen sind«, sagte Kincaid. »Einen der Gefangenen haben sie schon getötet.« Shan bemerkte, daß der Amerikaner ein Stück Heidekraut in der Tasche trug.

»Das können sie doch nicht tun, oder?« fragte Fowler. Ihre Stimme zitterte leicht. »Im Gefängnis. Luntok sagt, die Leute streiken, und die Kriecher hätten Maschinengewehre. Er sagt, es sei genauso wie früher. Er hat Angst. Sind Sie normalerweise auch dort...?«

Warum fiel es ihm so schwer, mit Fowler über die 404te zu sprechen? Er riß sich von ihren grünen Augen los und schaute aus dem Fenster. Sie fuhren parallel zu einem breiten Flußlauf, der von Weiden gesäumt wurde. »Ich habe auch Angst«, sagte er. Kincaid hatte recht. Alle waren nervös.

Sie fuhren an üppigen Gerstenfeldern vorbei. In der Nähe des Flusses war die Bewässerung kein Problem. »Wieso tun Sie das?« fragte Shan. »Wieso haben Sie angefangen, der UN zu helfen, indem Sie nach Artefakten suchen? Ist der Betrieb der Mine nicht schon schwierig genug?«

»Weil es getan werden muß«, erwiderte Fowler ohne zu zögern.

»Jemand anders könnte sich darum kümmern.«

»Aber wir sind nun mal hier vor Ort.«

»Das ist eines der Dinge, die mir Angst einjagen«, sagte Shan leise. »Ich fürchte, Sie sind sich der Gefahr nicht bewußt.«

Fowler war beleidigt. »Glauben Sie, wir machen das aus Spaß?« Ihre Stimme wurde lauter, als Shan sie je zuvor erlebt hatte. »Damit wir damit angeben können, wenn wir nach Hause kommen?« Sie senkte den Blick, als habe sie dieser Ausbruch selbst überrascht. »Tut mir leid«, sagte sie leise. »Es ist nur so, daß Tibet einen irgendwie durchdringt. Alles ist so real hier. Viel realer als irgend etwas bei uns zu Hause.«

Sie hatte das Wort zuvor schon benutzt, erinnerte Shan sich, und zwar als sie den Moment beschrieb, in dem sie Tamdins Hand zurückbrachte und das unheimliche Heulen einsetzte. Real.

»Es ist wichtig hier«, schloß Fowler.

»Wichtig?« fragte Shan.

Sie drehte sich um und sah ihn an. Ihr Blick huschte unstet hin und her, als würde sie nach geeigneten Worten suchen, aber sie sagte nichts.

»Wir leben hier sehr viel bewußter«, fuhr Kincaid fort, als ob er und Fowler schon oft über dieses Thema gesprochen hätten. »Bei uns zu Hause sitzt jeder nur auf dem Sofa und glotzt MTV Kauft Autos. Kauft Häuser. Hat eins Komma acht Kinder.«

»MTV?« fragte Shan.

»Ist egal. Drüben bei uns ist das Leben verschwendet. Man lebt dort lediglich von der Welt. Hier jedoch kann man in der Welt leben. Die Buddhisten haben acht heiße und acht kalte Höllen. Doch in Amerika hat man ein ganz neues Stadium erreicht. Das schlimmste. Ein Stadium, in dem jeder dazu verleitet wird, die eigene Seele zu ignorieren, indem man ihm einredet, er befände sich bereits im Himmel.«

»Aber Sie haben doch bestimmt wichtige Bande nach Hause. Eine Familie.«

»Kaum der Rede wert«, meinte Kincaid grinsend, als wäre er stolz darauf.

Kaum der Rede wert, dachte Shan. Was hatte Fowler ihm doch gleich erzählt? Daß Kincaid die Firma leiten und einer der reichsten Männer Amerikas werden würde.

»Meine Eltern und ich reden nicht viel miteinander.«

»Keine Brüder oder Schwestern?«

»Ich hatte einen Hund«, sagte Kincaid launig. Shan beneidete den Amerikaner um die Fähigkeit, so sorgenfrei zu sein. »Der Hund ist gestorben«, fügte Kincaid mit breitem Grinsen hinzu.

»Aber zu Hause sind Sie reich«, merkte Shan unbeholfen an.

Stirnrunzelnd warf Kincaid seiner Kollegin einen kurzen Blick zu, als wolle er sie dafür tadeln, daß sie zuviel geredet hatte. »Nicht mehr. Hab alles aufgegeben. Mein Vater ist reich. Ich schätze, irgendwann werde auch ich wieder reich sein. Ich versuche, mich möglichst nicht davon beeinflussen zu lassen. Reichtum verschafft einem kein Zuhause. Reichtum verhilft einem auch nicht zu Seelenfrieden.« Ein weiterer Seitenblick zu Fowler, diesmal eher hoffnungsvoll. »Verdammt, ich fühle mich in Lhadrung weitaus mehr zu Hause als jemals zuvor in den Vereinigten Staaten.«

Fowler deutete ein Lächeln an. »Die arme verlorene Seele findet schließlich ein Nest.«

»Tu nicht so, als wäre ich der einzige, dem es so geht«, schimpfte Kincaid, der aber nach wie vor grinste.

Shan sah, wie Fowler zunächst erstarrte und sich dann zögernd zu ihm umwandte, als würde sie ihm eine Erklärung schulden. »Meine Eltern sind seit fünfzehn Jahren geschieden. Ich habe bei meiner Mutter gelebt, die inzwischen an der Alzheimerschen Krankheit leidet. Sie verliert ihre Erinnerungen. Schon seit mehr als vier Jahren erkennt sie mich nicht mehr. Und von meinem Vater habe ich seit acht Jahren nichts mehr gesehen oder gehört.« Sie sah aus dem Fenster. »Ich schätze, ich habe auch eine neue Welt gebraucht.«

Das erklärte Shan gar nichts, sondern machte ihn nur traurig. Vielleicht war Lhadrung auf der geistigen Ebene ein weiterer dieser Sammelpunkte, an dem die verlorenen Seelen sich einfanden und kräftig in die Mangel genommen wurden, bis sie so abgeschliffen und hart wie alte Steine waren und wieder in der Welt bestehen konnten.