»Wir wollen beide dasselbe. Eine Antwort.«
Sie stand auf, schüttete den Tee in die Spüle und ging in den Computerraum, wo sie einen großen Schrank aifschloß, der lange schmale Schubladen enthielt. Sie suchte kurz im obersten Schubfach und legte dann ein Blatt auf den Tisch. »Wir drucken die Karten nur einmal pro Woche aus, manchmal auch nur zweimal im Monat. Diese hier ist zwei Wochen alt. Rastergröße zwanzig Meilen. Die ist für unsere Zwecke am besten geeignet. Wir haben außerdem noch hundert Meilen und fünf Meilen.«
»Ich benötige mehr Einzelheiten. Also das Fünf-Meilen- Raster, wenn es geht.«
Sie durchsuchte das Schubfach und blickte verwirrt auf. Dann zog sie eine andere Lade heraus. »Sie ist nicht da. Keine der Karten für die Südklaue.« Sie starrte in die leere Schublade.
»Aber Sie können weitere Ausdrucke anfertigen«, schlug Shan vor.
»Kincaid wäre fuchsteufelswild. Die Ausdrucke werden aus seinem Budget bezahlt, denn er ist für das Kartensystem verantwortlich.«
»Sie haben gesagt, Sie wollen, daß diese Sache endlich vorbei ist.«
»Momentan wäre ich schon ganz zufrieden damit, einfach nur zu erfahren, was vorbei eigentlich bedeutet«, sagte Fowler, trat dann an das Terminal und tippte einige Befehle ein. Fünf Minuten später erwachte der Drucker zum Leben.
Als sie das Foto auf den Tisch legte, reichte sie Shan eine Lupe dazu. Er folgte der Kammlinie bis zum unteren Ende der Karte. An dieser Stelle, an der das kleine südlich gelegene Tal begann, befand sich ein V-förmiger schwarzer Fleck. »Werden die Bilder alle zur gleichen Tageszeit aufgenommen?« fragte er. Am Rand stand eine Zeitangabe. 16.30 Uhr. »Könnten wir ein Bild vom selben Tag bekommen, nur früher? Mittags zum Beispiel.«
Sie druckte ein Foto aus, das zwei Monate zuvor um halb zwölf vormittags gemacht worden war. Der Schatten am südlichen Ende des Kamms war verschwunden. Er konnte in der abgelegenen Schlucht einen leuchtenden Farbklecks sehen, wo vorher keiner gewesen war. Yerpas große Pferdefahnen waren vom Satelliten aus zu sehen.
»An jenem Abend mit Jao«, sagte Rebecca Fowler auf einmal. Sie hatte ihn von der anderen Seite des Tisches aus beobachtet. »Da war noch etwas. Ich habe Ihnen nichts davon erzählt. Das Treffen hat nicht nur wegen der Wette stattgefunden, sonst hätten wir es auch auf später verschieben können. Ich glaube, er wollte sich mit mir treffen, um mir einige Fragen zu stellen. Und er hat an jenem Abend nachdrücklich auf Antworten gedrungen.«
»Er hat Ihnen Fragen gestellt?«
»Wir haben darüber gesprochen. Kincaid und ich. Wir hatten nicht vor, etwas zu verheimlichen. Aber angesichts all unserer Probleme mit der Produktion wollten wir nicht auch noch Teil irgendwelcher Ermittlungen werden.«
»Aber später haben Sie Ihre Meinung geändert.«
»Als die Anordnung der Teiche geplant wurde, vor meiner Ankunft, hat die Mine ihre Wassergenehmigung erhalten, das heißt das Recht, soviel Wasser wie nötig für die Teiche und die Veredelungsanlage zu entnehmen. Man muß sich registrieren lassen, damit die Bewässerung des Tals geplant werden kann. Als ich hier eintraf, habe ich einen Fehler bemerkt. Die Erlaubnis beinhaltete auch einen Fluß, der gar nicht hier entlangfließt. Er liegt auf der anderen Seite des Berges, am hinteren Ende der Nordklaue und noch weiter darüber hinaus, in einem ganz anderen Einzugsgebiet. Ich habe Direktor Hu Bescheid gegeben. Er hat gesagt, er würde sich darum kümmern, und wir müßten für dieses Wasser nichts bezahlen. Bezahlt haben wir auch nichts. Aber die Genehmigung wurde nie geändert.«
»Was bedeutet es, eine Erlaubnis für diesen anderen Fluß zu haben?«
»Nicht viel. Ich schätze, es verhindert lediglich, daß jemand anders das Wasser benutzt.«
»Demnach hat es sich bloß um einen verwaltungstechnischen Irrtum gehandelt.«
»Davon bin ich ausgegangen. Aber Jao wollte alles darüber wissen, kaum daß er sich an den Tisch gesetzt hatte. Er hatte irgendwie davon erfahren und war ganz aufgeregt. Er hat gefragt, wer die Erlaubnis ausgestellt habe und wieviel Wasser in jener Gegend zur Verfügung stünde. Ich konnte es ihm nicht sagen. Er hat gefragt, ob ich irgendwo eine Kopie der Genehmigung samt offizieller Unterschrift hätte. Als ich das bejahte, war er sehr zufrieden. Er sah so aus, als hätte er am liebsten laut gelacht. Dann hat er gesagt, er würde mich aus Peking anrufen und mir eine Faxnummer mitteilen, an die ich ihm das Dokument schicken sollte. Danach war das Thema beendet. Er hat Wein bestellt.«
Draußen wurden Stimmen laut. Einige Arbeiter näherten sich dem Gebäude. Fowler sprang auf und schloß die rote Tür. Sie lehnte sich dagegen, als würde sie sich auf Eindringlinge gefaßt machen. »Ich habe gar nicht mehr daran gedacht. Und dann kam Li in mein Büro und fischte nach Informationen über die Genehmigung.«
»Er fischte?«
»Eine ungefähre Ahnung hatte er bereits. Er hat Fragen gestellt, schien sich aber nicht sicher zu sein, was er eigentlich wissen wollte. Ich sollte ihm erklären, wonach Jao gefragt hatte.«
»Er ist der stellvertretende Ankläger«, sagte Shan. »Vermutlich Jaos Nachfolger. Vielleicht ist er auf eine Akte gestoßen, die er weiterverfolgen wollte.«
»Ich weiß nicht«, erwiderte Fowler. »Was ist, wenn diese Wasserrechte etwas mit Jaos Tod zu tun gehabt haben? Ein Tibeter würde wegen so einer Sache doch keinen Mord begehen. Warum sollte dieser Mönch sich deswegen Gedanken machen?«
»Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß Sungpo diesen Mord nicht begangen hat.«
Sie sah ihn unglücklich an. »Manchmal komme ich ins Grübeln. Wenn Jao deswegen ermordet wurde, was ist dann mit mir? Wir haben bei diesem Abendessen lange miteinander geredet. Vielleicht glaubt der Mörder, daß ich ebenfalls weiß, was Jao gewußt hat. Womöglich will mich jemand umbringen, und ich kenne nicht mal den Grund dafür. Nichts ergibt einen Sinn. Falls es nicht dieser Mönch Sungpo gewesen ist, wer versucht dann, ihm die Tat in die Schuhe zu schieben? Oberst Tan? Der stellvertretende Ankläger Li? Der Major? All diese Leute scheinen es so verdammt eilig zu haben, Sungpo vor Gericht zu stellen.«
»Der offizielle Grund dafür lautet, man wolle den Fall wegen der zahlreichen anstehenden Besucher so schnell wie möglich abschließen.«
»Vielleicht lügt jemand aus persönlichen und nicht aus politischen Gründen.«
Shan nickte anerkennend. »Sie lernen schnell, Miss Fowler.«
»Es macht mir angst.«
»Dann helfen Sie mir. Ich benötige weitere Karten. Von der Schädelhöhle zum Beispiel.«
»Wir haben hier bloß Bilder vom Einzugsgebiet unserer Wasserquellen.«
»Aber Sie können per Computer entsprechende Bilder anfordern.«
»Unser Vertrag erstreckt sich lediglich auf diese Region. Alles andere wird teuer. Fünfzig US-Dollar pro Anforderung. Wir geben die Rasterkoordinaten ein. Ein Computer bei uns zu Hause verarbeitet den Auftrag, überprüft unsere Abrechnungsnummer, stellt den Datensatz zum Download bereit und setzt die Kosten auf unsere Rechnung.«
»Was für Rasterkoordinaten?«
»Es gibt einen Katalog mit Gitternetzen, die jeweils mit Zahlencodes versehen sind.«
Shan griff in die Tasche und zog das Blatt mit den Ziffern hervor, die er aus Jaos geheimen Unterlagen abgeschrieben hatte. »Der Katalog«, sagte Shan. Er war plötzlich sehr aufgeregt. »Ist er hier?«
Das Format der Zahlen paßte genau. Er benötigte weniger als fünf Minuten, um den entsprechenden Abschnitt zu finden. Die Ziffern bezeichneten die Nordklaue und das sich dahinter erstreckende Farmland. Jao hatte Fotos von genau dem Gebiet gesehen, für das Fowler irrtümlich die Wasserrechte erteilt worden waren.
»Aber von uns hat er diese Bilder nicht bekommen«, protestierte Fowler. »Die haben nichts mit unseren Arbeiten zu tun. Wir würden niemals Karten anfordern, die eine andere Region als unser Einzugsgebiet zeigen.«