»Ausgezeichnet«, meinte ich nickend. »Und jetzt verhaften Sie mich bitte!«
Die Zelle Nummer Fünf machte auf mich einen gemütlichen Eindruck. Unter uns gesagt: In meiner Heimat hätte man für so etwas einige Koffer voller Dollars hinblättern müssen, doch für eine in Echo geborene Person war es nicht leicht, sich damit abzufinden, nur so wenig Platz zur Verfügung zu haben. Die Zelle bestand nicht etwa nur aus einem Zimmer, sondern aus dreien, die nach hiesigen Maßstäben sehr klein waren, mir jedoch riesig vorkamen. Darüber hinaus befand sich ein Stockwerk tiefer noch ein Bad mit Toilette, das über eine Wendeltreppe zugänglich war. Wie bei mir zu Hause hatte das Badezimmer drei Wannen. Jetzt begriff ich, warum mein Vermieter so lange keinen Interessenten für seine Wohnung hatte finden können, und beschloss, gleich nach der Rückkehr eine vierte Badewanne einbauen zu lassen. Schließlich will ich daheim nicht so leben wie im Gefängnis!
Doch ich hatte - den Magistern sei Dank - noch nicht alle großstädtischen Gewohnheiten übernommen und empfand meine bescheidene Zelle als nettes Plätzchen. Nach einer halben Stunde schon stellte ich fest, dass ich mich recht gut eingelebt hatte.
Ich gewöhne mich sehr schnell an neue Umgebungen. Ziehe ich am Morgen irgendwo ein, fühle ich mich am Abend schon, als hätte ich mein ganzes Leben dort verbracht. Nun aber kam mir der Gedanke, dass ich mich in ein paar Tagen - vorausgesetzt, alles liefe weiterhin so gut - in Cholomi schon so heimisch fühlen würde, dass ich vergäße, warum ich hier war. Gut möglich, dass ich mich dann sogar an ein nie über mich verhängtes Urteil erinnern und Reue über eine Tat zeigen würde, die ich nie begangen hatte.
So saß ich denn in meiner Zelle und betrachtete die Decke. Der herrliche Sir Lonely-Lokley führte sein für mich unsichtbares Leben in meiner linken Hand. Ich hätte ihn gern gefragt, was er dabei fühlte. Auf jeden Fall hatte er sein Notizbuch mitgenommen. Ob er seine erzwungene Freizeit dadurch produktiver verbrachte, blieb mir verborgen. Schließlich beschloss ich, mich schlafen zu legen. Ich musste mich erholen, denn ich vermutete, das eigentlich Interessante würde - wenn überhaupt - nachts passieren.
Meine größte Angst war, dass nichts geschah und die spannende Frage auf mich zukam, wie lange ich in Cholomi würde verbringen müssen, um endlich beurteilen zu können, ob es sich bei den sieben Toten der letzten drei Jahre womöglich nur um eine absurde Häufung von Zufällen gehandelt hatte. Würde es ein Jahr dauern? Zwei Jahre? Vielleicht noch länger? Na ja, wenn die lieben Kollegen erst gezwungen wären, zwölf Tage ohne uns auszukommen, würden sie schon von sich aus nach uns rufen! Sir Juffin wäre vermutlich der Erste, der zu dem Schluss käme, dass meine Dienstreise mit Sir Lonely-Lokley schon zu lange dauerte.
Dennoch schlief ich ausgezeichnet. Als ich aufwachte, war es schon dunkel, und ich bekam die abendliche Gefängniskost - die meinem prächtigen Frühstück gefährlich ähnelte - in die Zelle gebracht. Warum gehen wir mit Juffin eigentlich immer ins Fressfass. Dort isst man zwar gesund, doch die Gefängnisküche ist einfach traumhaft. Sollten wir vielleicht die Sitte einführen, in Cholomi zu tafeln, wenn die dienstliche Lage es erlaubte? Oder sollten wir hier gar ein paar Sorgenfreie Tage verbringen? Schließlich ist es in diesem Gefängnis ungemein leise und bequem, und niemand stört einen.
Die Nacht rückte heran. Um keine kostbare Zeit zu verlieren, tat ich, was ich wirklich gut konnte, versuchte also, mich mit den Möbeln in meiner Zelle zu unterhalten, um den Teil der Vergangenheit aufzudecken, an den sie sich erinnern konnten.
Leider aber ließ sich nichts herausfinden. Alle Gegenstände reagierten auf meine Fragen nur mit Wellen starker Angst. Das hatten wir doch schon im Schlafzimmer des alten Sir Makluk-Olli erlebt! Die kleine Cremedose dort hatte auch große Angst gehabt. Es gab also keinen Zweifeclass="underline" Hier war kein dummer Zufall im Spiel. Ich war in eine ernste Geschichte geraten.
Dann kam ein Wächter, forderte mich zu einem »Abendspaziergang« auf und brachte mich zu einem Treffen. Einer der Mitarbeiter der Haftanstalt, ein Mann namens Chaned Dschanirah, hatte seit den Morgenstunden unbedingt mit mir sprechen wollen, doch der gute Kommandant hatte meinen Schlaf geschützt und dem ungeduldigen Mann befohlen zu warten, bis ich wach würde.
Dschanirah trug den Titel eines Trösters der Leidenden und schien eine Art Gefängnispsychologe zu sein. Regelmäßig besuchte er die Gefangenen und fragte sie, ob sie gut geschlafen hätten, wovor sie sich ängstigten und ob sie ihren Angehörigen Nachrichten übermitteln möchten. In Echo werden Gefangene recht human behandelt. Wer in Cholomi einsitze, so heißt es, habe es ohnehin schwer genug, und man müsse es ihm nicht noch schwerer machen.
»Ich glaube, Sir Max, ich habe eine interessante Information für Sie«, sagte Chaned Dschanirah, kaum dass wir uns begrüßt hatten.
Er war ein ziemlich junger Bursche mit rundem Gesicht, leiser, sympathischer und melodischer Stimme und sehr scharfsichtig wirkenden grünen Augen.
»In letzter Zeit sind bei uns merkwürdige Dinge passiert«, fuhr er fort. »Ich schätze, dass Sie deshalb gekommen sind, und denke, Sie sollten vor Beginn Ihrer Untersuchungen mit mir sprechen. Ich habe den ganzen Tag damit gerechnet, dass Sie mich kommen lassen würden - leider vergeblich. Möglicherweise empfinden Sie mich jetzt als aufdringlich, aber dieses Risiko muss ich eingehen.«
»Ich habe einfach zu viel gefrühstückt, Sir Dschanirah - so viel, dass ich zwischenzeitlich nichts mitbekommen habe«, entschuldigte ich mich. »Ich hätte mich wirklich gleich nach meiner Ankunft an Sie wenden sollen, doch nachdem ich letzte Nacht kein Auge zugetan hatte, bin ich gleich nach dem Frühstück in Tiefschlaf gesunken. Bitte verzeihen Sie mir!«
Der Gesichtsausdruck von Chaned Dschanirah wirkte, als wäre der junge Mann bereit, für mich zu sterben. Ich wusste nicht, was ihn so sehr für mich eingenommen hatte - vielleicht die altertümliche Anrede »Sir«, die einem jungen Psychologen nicht gerade oft begegnete. Vielleicht aber auch die Unbefangenheit, mit der ich meine Fehler eingestanden hatte. Wie auch immer - ich hatte sein Herz offenbar ohne große Mühe erobert.
»Aber nicht doch, Sir Max! Es ist schließlich Ihr gutes Recht, sich zu erholen, ehe Sie mit der Recherche beginnen. Ich wollte Ihnen nur erklären, warum ich mich unbedingt mit Ihnen treffen wollte. Ich glaube, ich kann Ihnen sehr nützlich sein. Hören Sie mich einfach an. Vorgestern haben sich die Häftlinge der Zellen Drei, Vier und Sechs - also die Insassen Ihrer Nachbarzellen - über Alpträume beklagt. Diese Alpträume haben in vieler Hinsicht übereingestimmt.«
»Bedauerlich, dass die drei so schlecht geschlafen haben. Worum ist es in ihren Träumen denn gegangen?«
»Alle drei haben von einem kleinen, halb durchsichtigen Männlein geträumt, das aus der Wand gekommen sei und ihnen unbeschreibliche Angst eingejagt habe. Malesch Patu hat gesagt, das Männlein habe ihm die Augen ausdrücken wollen. Sir Alapajek Vass hingegen hat erzählt, das Männlein habe versucht, ihm das Herz aus dem Leibe zu reißen. Der dritte Fall ist noch merkwürdiger«, meinte Sir Dschanirah und fuhr nach kurzer Pause fort: »Der dritte Gefangene nämlich hat geschworen, das Männlein habe versucht, seinen Darm zu verschließen. Nun hat er panische Angst, dem Gnom könne es im nächsten Traum gelingen, sein Ziel zu erreichen. Der Arme!«
»Der Mann ist wirklich nicht zu beneiden.«
Ich hatte den Eindruck, die drei Alpträume stellten eine merkwürdige Mischung aus realen Gefahren und persönlichen Phobien dar. Dieses Männlein hatte bestimmt etwas mit den Häftlingen anstellen wollen, doch jeder der drei deutete seine Träume anders. Das war durchaus verständlich. Unverständlich war für mich jedoch, woher das Männlein, das ihre Träume durcheinandergebracht hatte, überhaupt gekommen sein mochte. Immerhin war es schlicht unmöglich, im Cholomi-Gefängnis Zaubertricks zu vollführen. Genau aus diesem Grund landeten dort ja alle, die sich mit verbotener Magie beschäftigten.