»Und wie steht es um die Gesundheit der drei Träumer?«, fragte ich. »Hat sich schon ein Heiler um sie gekümmert?«
»Natürlich. Solche Probleme darf man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Zumal da die Träume zeitgleich bei drei Gefangenen, die sich nicht kennen, aufgetreten sind. Und Sie wissen ja, dass die drei sich in Cholomi nicht haben absprechen können.« Der Tröster der Leidenden zuckte die Achseln. »Es hat sich erwiesen, dass keiner von ihnen gesund ist. Die Organe allerdings, auf die das Männlein im Traum scharf war, sind in bestem Zustand.«
Erfreut stellte ich fest, dass meine These, die persönlichen Phobien der drei Häftlinge hätten ihre Träume beeinflusst, für einen psychologischen Laien, der ich zweifellos bin, gar nicht so schlecht war.
»Was ist mit den dreien?«
»Sie alle verlieren langsam den Funken«, flüsterte Dschanirah Unheil verkündend und schwieg dann bedeutsam, als wollte er mir die Möglichkeit geben, die ganze Tragweite dieses Satzes zu verstehen.
Ich stieß einen leisen Pfiff aus. Den Funken zu verlieren, bedeutet, dass einem die Lebenskraft abhandenkommt und man immer schwächer wird - bis der Tod wie ein erholsamer Schlaf nach einem harten Tag dem Leben ein Ende setzt. Diesem Ende kann und will man keinen Widerstand leisten. Nach Ansicht meiner kompetenten Kollegen ist diese geheimnisvolle Krankheit das Unangenehmste, was einem in Echo passieren kann.
»Das Merkwürdige ist, dass alle drei ihre Kräfte sehr langsam verlieren, obwohl einem der Funken normalerweise rasch und ohne Warnzeichen abhandenkommt«, sagte mein Gesprächspartner. »Doch unsere Heiler sind ihrer Diagnose sicher. Andererseits meinen sie, man könne die drei vielleicht noch retten, doch bis jetzt habe ihnen keine Arznei geholfen.«
»Versuchen Sie doch vielleicht, die Häftlinge zu verlegen - je weiter weg von Zelle Fünf, desto besser. Und ihre Zellen sollen so lange leer bleiben, bis ich die Zusammenhänge, die hinter den Geschehnissen stecken, verstehe. Das ist doch wohl machbar, oder?«
»Selbstverständlich«, sagte der Tröster der Leidenden nickend und fragte gleich darauf: »Glauben Sie wirklich, das hilft?«
»Sicher bin ich mir nicht, aber das ist normal, denn ich bin eigentlich nie zu hundert Prozent von etwas überzeugt. Aber tun Sie, worum ich Sie gebeten habe - und tun Sie es jetzt. Vielleicht können wir die Männer ja gemeinsam retten. Ich weiß nicht, warum die drei in Cholomi gelandet sind, aber man darf keinen Menschen durch Qualen vom Kaliber dieser Alpträume manipulieren. Das sagt Ihnen einer, der - was das angeht - schon sattsam zu leiden hatte.«
»Dann glauben Sie also, Alpträume wirksam bekämpfen zu können, Sir Max?«
»Na ja«, sagte ich lächelnd. »Meine eigenen jedenfalls kann ich in den Griff bekommen.«
Nach dem Gespräch mit Sir Dschanirah ging ich zurück in meine Zelle und murmelte dabei: »Was Alpträume angeht, habe ich anscheinend wirklich Glück.«
Und so war es doch auch: Kaum hatte ich mich von den Alpträumen erholt, die mir ein Fetan aus dem Nachbarhaus geschickt hatte, war ich nach Cholomi geraten, wo Gefangene von Alpträumen gequält wurden - zum Beispiel von dem, einen Darmverschluss zu bekommen. Ich dagegen hatte ausgezeichnet geträumt. Vielleicht, weil ich tagsüber geschlafen hatte?
Die schwere Zellentür schloss sich hinter mir und ... verschwand. In Cholomi existiert jede Tür nur für den, der sich im Korridor befindet. Aus der Perspektive der Gefangenen existiert sie nicht. Wunder über Wunder!
Inzwischen brannte ich vor Ungeduld. Würde mir das »durchsichtige Männlein« heute Nacht erscheinen wollen? Und was würde es tun, wenn ich einfach nicht schliefe? Ich war fest überzeugt, ich würde wach bleiben. Schließlich hatte ich mich tagsüber blendend erholt.
Ich wartete einfach, wie die Dinge sich entwickeln würden. Allerdings musste ich lange warten, und die Nacht brachte mir keine einzige Antwort auf meine Fragen, dafür aber jede Menge merkwürdige Erfahrungen und Empfindungen.
Ich empfand weder Angst noch Unruhe, spürte aber die ganze Zeit einen aufmerksamen Blick, der so lastend war, dass er mich geradezu juckte. Der Juckreiz wurde immer stärker, und irgendwann hatte ich den Eindruck, mir sei eine Raupe in den Pyjama gekrochen. Ich wälzte mich im Bett herum, kämmte mich und badete sogar dreimal - alles vergeblich!
In der Morgendämmerung verschwand das Jucken, und ich fiel in Tiefschlaf. Meist kommt mir über Nacht eine vernünftige Idee, doch ihre Verwirklichung kann bis zum Mittagessen dauern. Auf morgen zu verschieben, was man heute besorgen kann, ist seit eh und je mein Hobby. Und Aufgaben, die ich am Vormittag erledigen könnte, bis zum späten Abend vor mir herzuschieben, macht mir auch größten Spaß.
Das Öffnen meiner Zellentür ließ mich erwachen. Ich bekam Frühstück gebracht. Nachdem ich meine Zwiebelsuppe gegessen hatte, begann ich zu grübeln, welches Kapitalverbrechen ich begehen sollte, um die nächsten zwanzig Jahre in den Genuss einer derart vorzüglichen Küche zu kommen. Ich würde den Aufenthalt hier jeder königlichen Auszeichnung vorziehen.
Als ich mit dem Essen fertig war, bat ich, einen Spaziergang unternehmen zu dürfen - ins Büro des Kommandanten natürlich. Es war Zeit, mich mit Juffin zu unterhalten. In der Nacht hatte ich begriffen, dass ich von Zelle Nummer Fünf nur wusste, was sich dort seit dem ersten Todesfall - seit drei Jahren also - zugetragen hatte. Doch was mochte zuvor passiert sein? Wer hatte dort eingesessen? Das wollte ich klären. In Echo muss man bei solchen Sachen auf der Hut sein. Egal was passiert ist - früher oder später erweist sich immer, dass sich am Ort des Geschehens vor ein paar tausend Jahren ein berühmter Magister aufgehalten hat und die gegenwärtigen Unannehmlichkeiten nur eine gesetzmäßige Folge seiner früheren Aktivitäten sind. Ich nahm mir daher vor, nicht überrascht zu sein, falls sich herausstellen sollte, dass auch diesmal ein in Vergessenheit geratener Magister die Hände im Spiel haben sollte.
Sir Juffin kannte die Geschichte dieses netten Plätzchens garantiert bis ins Detail. Doch als er mich nach Cholomi geschickt hatte, war er stumm wie ein Fisch geblieben - und zwar nicht aus Bosheit, sondern um abzuwarten, bis ich nachfragen würde, also aus erzieherischer Absicht. Dafür wünschte ich ihm nun ein Dutzend Vampire an den Hals!
Inzwischen aber musste ich mich zur Ordnung rufen, denn statt pedantisch Informationen zu sammeln, hatte ich sehr viel Zeit und Kraft mit überflüssigen Reflexionen vergeudet. Damit musste jetzt Schluss sein. Also machte ich es mir im Sessel des Gefängniskommandanten bequem und sandte Juffin nach beendeter Selbstkritik per Stummer Rede einen Ruf.
»Klären Sie mich bitte darüber auf, wie das alles begonnen hat«, erklärte ich fordernd. »Was ist hier bis zum 114. Tag des 112. Jahres passiert? Hat in meiner Zelle - wie ich vermute - irgendein mächtiger Magister gesessen?«
»Sehr gut, Max!«, rief Juffin, von meinem Scharfsinn begeistert.
»Ich verstehe nicht, warum Sie mich loben«, sagte ich. »Schließlich stelle ich die eigentlich wichtige Frage jetzt erst. Andererseits ist es für eine so kleine Leuchte wie mich wahrscheinlich wirklich eine Errungenschaft, überhaupt auf diese Frage gekommen zu sein.«
»Viele meiner Bekannten hätten sehr viel länger gebraucht, um darauf zu kommen. Du bist sauer auf mich, noch mehr allerdings auf dich selbst. Dabei bist du wirklich gut!«
»Ich erkenne Sie gar nicht wieder, Juffin! Warum machen Sie mir solche Komplimente? Vermissen Sie mich etwa?«
Der Honig, den er mir ins Ohr geträufelt hatte, begann zu wirken. Wie hätte es auch anders sein sollen? Ich war überglücklich - wie ein Hund, der etwas Leckeres zu fressen bekommen hat. Mich zu loben, ist eine sehr gute Strategie, um mich weichzuklopfen. Ich bin dann nahezu beliebig formbar und zu fast allen Schandtaten bereit.
Wie auch immer: Ich hatte eine ausführliche Antwort auf meine Frage bekommen und war nach einer halben Stunde wieder zu Hause, also in Zelle Nummer Fünf.