»Natürlich.«
»Kümmern Sie sich bitte darum, dass keiner dieser Ordnungshüter aufs Weiße Blättchen kommt. Schließlich war kein einziges intelligentes Gesicht darunter. Und sie haben tatsächlich geglaubt, ich wollte Melifaro umbringen! Diese Musterschüler von General Bubuta!«
Nachdem ich meinen Zorn an unschuldigen Menschen ausgelassen hatte, fühlte ich mich wesentlich besser und ging ins Fressfass, um mich mit Melifaro zu versöhnen. Dafür hatte ich genug Zeit. Schließlich war ich viel zu früh zur Arbeit gekommen, um der häuslichen Langeweile zu entgehen.
Nachdem Melifaro meine Stimmung zuerst ruiniert hatte, tat er nun alles Erdenkliche, um mich aufzuheitern. Daher stellte ich bei Antritt meiner Nachtschicht keine Gefahr mehr für meine Umgebung dar.
Sir Juffin saß im Sessel und sah nachdenklich in ein Buch. Diese Idylle ließ vermuten, dass in Echo Ruhe herrschte.
»Grüß dich, du Verräter!«, rief er mir zu. »Du hast mit Melifaro im Fressfass gesessen, statt mich müden Alten vom Bürodienst zu erlösen, stimmt's?«
»Erstens bin ich eine Stunde zu früh zur Arbeit gekommen, zweitens musste Melifaro seinen Auftritt wiedergutmachen ...« »Das weiß ich schon. Und drittens?«
»Drittens bin ich bereit, alles mit Ihnen zu wiederholen!«
»Was alles?«
»Den Besuch im Fressfass«
»Hast du keine Angst vor dem Bankrott, Max?«
»Wollen Sie mich beleidigen?«
»Nein, nein. Aber ich bin zu faul, um auszugehen. Vielleicht lassen wir uns besser etwas bringen. Setz dich - ich möchte ein wenig mit dir plaudern.«
»Für Sie, Sir, bin ich sogar dazu bereit.«
»Na so was - er ist selbst dieser Schandtat fähig! Aber ich habe interessante Neuigkeiten für dich. Weißt du, was Lady Melamori angestellt hat? Ich hab es heute erst erfahren. Wann hast du sie zum letzten Mal gesehen?«
»Vorgestern. Melifaro und ich sind bei ihr zu Besuch gewesen. Was das angeht, Juffin, kann ich Sie beruhigen: Alles ist sehr anständig verlaufen. Für meinen Geschmack zu anständig.«
»Verstehe. Den Ablauf eures Besuchs kann ich mir auch ohne Hellseherei gut vorstellen. Darum geht es mir nicht. Habt ihr euch danach nicht mehr gesehen?«
»Nein. Aber Lady Melamori hat sich bei mir mehrmals per Stummer Rede gemeldet und gefragt, wie ich mich fühle und in welcher Stimmung ich bin. Das war sehr nett von ihr und hat mich gerührt.«
»Und wie hast du dich in den letzten zwei Tagen gefühlt?«
»Seit meinem Aufenthalt in Zelle Nummer Fünf? Jedenfalls habe ich kein Gift gespuckt. Ist es das, was Sie wissen wollen?«
»Wenn mich etwas näher interessiert, sage ich Bescheid. Aber jetzt erzähl mir genau, wie es dir seit vorgestern gegangen ist.«
»Da gibt's nicht viel zu erzählen. Ich hab mich großartig gefühlt und war stets gut gelaunt. Manchmal hab ich sogar plötzlich gelacht, als hätte mich etwas gekitzelt. Ich bin durchs Haus gegangen und hab in mich hineingekichert.«
»Und das war's?«
»Ist Ihnen das zu wenig?«
»Es ist deine Schuld, Max, dass ich mich über dich viel öfter wundere als über andere«, sagte Juffin vorwurfsvoll, und ich wusste nicht, ob das ein Lob war oder ob er sich über mich lustig machte.
»Was ist denn passiert? Schluss mit der Geheimniskrämerei! Inzwischen bin ich so aufgeregt, dass ich keinen Bissen mehr herunterbringe.«
»Wie schön!«, rief Juffin und schnitt sich genüsslich ein großes Stück von der leckeren Pirogge ab, die gerade aus dem Fressfass gekommen war. Zugleich aber bebte er vor Ungeduld und fing deshalb mit vollem Mund an zu reden.
»Es geht um die erste und letzte Lady im Geheimen Suchtrupp. Sie hat überprüfen wollen, ob du ihrer Aufmerksamkeit wert bist.«
»Ich kenne eine gute Methode, sie davon zu überzeugen«, warf ich ein. »Wenn sie einverstanden ist, stehe ich jederzeit zu Diensten. Das können Sie ihr gern ausrichten.«
»Ach, Max - was redest du denn da! Lady Melamori ist eine seriöse Frau und hat ihre eigenen Methoden.
Deshalb ist dir unsere schlimmste Freiwillige ja auf die Spur getreten.«
»Was hat sie getan? Ist sie verrückt geworden?«
»Das würde ich nicht sagen. Sie war schon immer so.«
»Und Sie sind sicher, dass sie auf meine Spur getreten ist? Ich hab mich doch die ganze Zeit gut gefühlt!«
»Ach ja? Und die Kicheranfälle?«
Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. War Lady Melamori mir wirklich auf die Spur getreten? Na wenn schon! Welche Folgen hatte so was normalerweise? Doch mindestens eine schwere Depression! Das gehörte nun mal zu den Pflichten einer Verfolgungsmeisterin - und genau in dieser Funktion arbeitete sie in unserer Abteilung. Was war ich doch für ein Trottel! Die Dame meines Herzens war mir auf die Spur getreten, und ich hatte nichts davon gemerkt, sondern nur eine seltsame Ausgelassenheit verspürt. Als wäre ich ein rosiges und dennoch dickfelliges Ferkel, ein Mutant also, eine Missgeburt! Ich hasste mich.
Es gab noch einen Grund, empört zu sein. »Ich dachte, sie hätte sich nach meiner Stimmung erkundigt, weil sie ehrlich beunruhigt war; ich glaubte, sie hielt mich für krank, weil ich einmal nicht zur Arbeit gekommen bin; ich habe mir eingebildet, sie könnte es nicht erwarten, bis ich wieder im Haus an der Brücke auftauche - und jetzt stellt sich heraus, dass sie nur Experimente gemacht hat. Wie kränkend!«
»Nimm das alles nicht so ernst«, meinte Juffin und zuckte die Achseln. »Sie hat dich - wie sie glaubt - aus gutem Grund gefragt. Hättest du dich über Schwermut beklagt, hätte sie gleich mit ihrem Experiment aufgehört und wäre mit dem Ergebnis zufrieden gewesen. Weißt du, für Lady Melamori ist ihre Gabe zugleich eine Frage des Schicksals und der Ehre. Anderen auf die Spur zu treten, ist eigentlich ihr einziges Talent, und sie hat es an uns allen zu erproben versucht, auch an mir. Am Anfang ihrer Beschäftigung in meiner Abteilung hat sie versucht, mich zu durchleuchten.«
»Ich kann mir vorstellen, wie das gelaufen ist.«
»Ach, das war nichts Besonderes. Ich hab ihr meinen Ersten Schild gezeigt, statt mich über sie zu ärgern. Man muss ihr aber lassen, dass sie schon nach einer Stunde wieder topfit war. Unsere Lady ist nun mal sehr zäh.«
»Was ist denn der Erste Schild?«, fragte ich interessiert.
»Ein Euphemismus für einen individuellen Schutz, Max. Dass es sich dabei um den Ersten Schild handelt, bedeutet nur, dass er für deinen Gegner besonders gefährlich ist. Was kann ich dir noch beibringen? Du selbst hast mehr Schilde als jeder andere Mensch in Echo. Sogar mehr, als ich zu hoffen gewagt hatte. Und du wirst sie gewiss alle mal brauchen, doch im gegenwärtigen Fall hilft nur Erfahrung. Stell dich nicht so an! Du kennst dich nur noch nicht richtig in der Fachterminologie aus.«
»Lady Melamori ist wirklich ein Früchtchen!«, meinte ich seufzend und goss mir eine neue Portion Kamra ein, um meine Stimmung aufzuhellen. »Da hat sie eine solche Gabe zur Verfügung, und dann benimmt sie sich wie ein Kind!«
»Bist du sauer auf sie? Nicht doch! Jetzt ist sie ganz niedergeschlagen.«
»Ach nein, ich bin nicht mehr sauer. Ich trauere nur um mein gebrochenes Herz.«
»Ich hab dir ja von Anfang an gesagt, dass du mit der Wahl deiner Herzensdame keine gute Entscheidung getroffen hast. Bist du nie auf die Idee gekommen, Max, dass es sich lohnen könnte, auf Ältere zu hören?«
Ich seufzte und schnitt die zweite Pirogge in Scheiben. Was für ein gefühlloser Mensch ich doch bin! Nicht mal ein gebrochenes Herz kann meinen Appetit zügeln - das hat sich schon mehrfach erwiesen.
»Willst du über dieses Ereignis nichts weiter erzählen?«, fragte Juffin neugierig, als ich mit der Pirogge fertig war.
»Ich weiß nicht. Eigentlich sollte ich Lady Melamori zu allem Möglichen befragen. Wie konnte es nur passieren, dass ich nichts gespürt habe? Mir widerfahren seltsame Dinge. Und was geschieht, wenn ich irgendwann ein Verbrechen begehe? Dann kann ich gleich abhauen. Anscheinend bin ich ein ziemlich gefährlicher Typ.«