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Mit königlicher Geste entließ Lonely-Lokley die Musikanten. Dann folgte mir mein »offizieller Freund« ins Haus. Außer mir vor Erleichterung, ließ ich mich in einen Sessel fallen und meldete mich per Stummer Rede im Gesättigten Skelett. Das ist zwar nicht das beste Lokal in Echo, liegt aber in der Nähe.

»Ich bin nicht im Dienst, sondern habe einen Sorgenfreien Tag«, erklärte Lonely-Lokley ruhig. »Und ich wollte diese Zeit nutzen, meine Schulden zu bezahlen.«

»Welche Schulden?«

»Freundschaftsschulden!«, rief er, und nun war es an ihm, erstaunt aus der Wäsche zu sehen. »Habe ich etwas falsch gemacht? Ich habe doch Erkundigungen eingezogen.«

»Bei wem denn? Und worüber?«

»Sehen Sie, Sir Max, nachdem wir Freunde geworden waren, hatte ich mir überlegt, dass sich die Sitten des Ortes, an dem Sie Ihre Jugend verbrachten, von den hiesigen Sitten unterscheiden könnten. Und ich wollte vermeiden, Ihre Gefühle zufällig und unbewusst zu beleidigen. Also hab ich Sir Melifaro gefragt, weil sein Vater der größte Völkerkundespezialist ist.«

»Ach so! Sir Melifaro!« Langsam begann ich zu begreifen.

»Ja, weil ich in meinen Büchern keine Informationen über diesen Bereich des Lebens Ihrer Landsleute gefunden hatte. Zufällig ist der einzige zuverlässige Wissenschaftler, der zu diesem Thema geforscht hat, Sir Manga Melifaro. Und da wir seinen Sohn kennen ...«

»Den kennen wir allerdings ... Melifaro hat Ihnen also gesagt, dass man mich mit schwermütigen Liedern verwöhnen soll!?«

Ich wusste nicht, ob ich auf ihn sauer sein oder über die ganze Sache lachen sollte. Zum Glück klopfte es. Der Bote vom Gesättigten Skelett kam genau zur rechten Zeit!

»Sir Melifaro hat mir von den Traditionen der Leeren Länder und ein paar anderen Sitten und Gebräuchen erzählt. Er hat mir auch gesagt, dass wir bei Vollmond unsere Kleider tauschen sollen und am letzten Tag des Jahres ...«

»Na, was sollen wir seiner Meinung nach am letzten Tag des Jahres tun?«

»Uns besuchen und einander eigenhändig Swimmingpool, Bäder und Toiletten putzen. Stimmt schon wieder was nicht, Sir Max?«

Ich riss mich zusammen. Lonely-Lokleys Gefühle - so dachte ich mir - verdienten Schonung. Ihm wäre es bestimmt unangenehm zu erfahren, dass Melifaro ihm einen Streich gespielt hatte.

»Aber nein, Schürf, alles in Ordnung! Doch Sie hätten das wirklich nicht tun müssen. Ich bin ein normaler, zivilisierter Mensch. Ich habe mal einige Zeit an einem seltsamen Ort leben müssen. Dort herrschten merkwürdigere Sitten, als Sie es sich überhaupt vorstellen können. Aber ich habe mich nie an die barbarischen Bräuche meines Heimatlandes geklammert. Deshalb bedeutet für mich Freundschaft das Gleiche wie für Sie: ein gutes Verhältnis zwischen zwei Menschen, die sich sympathisch finden. Also brauche ich weder Kleidertausch noch gegenseitiges Putzen. Verstehen Sie?«

»Natürlich, Max. Diese Einsicht gereicht Ihnen zur Ehre. Hoffentlich habe ich Sie nicht beleidigt. Ich wollte nur den Sitten Ihrer Vorfahren Respekt erweisen und Ihnen eine Freude bereiten.«

»Das haben Sie, Schürf, das haben Sie! Vor allem durch Ihre Aufmerksamkeit und durch dieses Gespräch. Es ist wirklich alles in Ordnung.«

Nachdem ich meinen Gast bewirtet und beruhigt hatte, begleitete ich ihn zur Tür, blieb mit verständlichem Unwillen zurück und meldete mich dann als Erstes per Stummer Rede bei Melifaro: »Vielleicht hast du es schon vergessen, doch ich bin wirklich schrecklich, wenn ich zornig bin!«, rief ich empört (soweit sich Empörung per Stummer Rede mitteilen lässt).

»Was ist passiert?«, fragte Melifaro erstaunt.

»Was passiert ist?! Lonely-Lokley ist gerade mit einem ganzen Orchester bei mir aufgetaucht!«

»Stimmt was nicht, Max?«, fragte Melifaro besorgt. »Mein Vater hat mir erzählt, das sei bei euch so Sitte. Fühlst du dich jetzt nicht besser? Singt unser Lonely- Lokley vielleicht schlecht? Ich hatte immer den Eindruck, seine Stimme sei ganz passabel.«

Na so was!

Ich wusste noch immer nicht, ob ich sauer sein oder über die ganze Sache lachen sollte. Also ging ich ins Schlafzimmer, um meine Träume weiterzuverfolgen. Und das war richtig so. Wie sich im Nachhinein herausstellte, war das meine letzte Gelegenheit, auszuschlafen. Am Abend ging ich zum Dienst, wo ich leider ein paar Tage hängen blieb, weil ich in eine Klemme geriet, die man eigentlich nur aus klassischen Krimis kennt.

Der Alptraum entwickelte sich schnell und begann mit meiner Ankunft im Haus an der Brücke. Schon aus drei Straßen Entfernung hörte ich eine bekannte Stimme eine Schimpfkanonade abfeuern.

Ich war belustigt. Der Opa - gemeint ist natürlich General Bubuta - war so sauer, dass er nicht mal meine Schritte hörte. Mein Lieber, jetzt zeig ich's dir, dachte ich amüsiert, als ich an den geheimen Eingang zu unseren Behörden kam.

Geheim konnte man ihn allerdings nicht nennen. Die Tür war breit offen, und auf der Schwelle stand General Boch, das Gesicht nicht mehr rot, sondern schon lila vor Zorn.

Als er mich schließlich bemerkte, verstummte er abrupt, als habe jemand den Lauf der Welt unterbrochen.

Ich glaube, mein Auftritt war perfekt. Mein Todesmantel blähte sich im Wind, und mein Gesicht war tief erzürnt. Ich setzte mein gesamtes, wenn auch geringes Schauspieltalent ein, um meinen Ärger natürlich wirken zu lassen. Besonders ein nervöses Zucken, das Bubuta Angst einflößen sollte, gelang mir bestens - ein Zucken, das als Zeichen dafür galt, dass ich gleich Gift spucken würde. Ich weiß nicht, wie glaubwürdig ich war. Bubuta jedenfalls hat mir die Show abgekauft. Kein Wunder: Seine Panik war so groß, dass sie jede Gefahr ins Gigantische übersteigerte.

Eigentlich ist Boch kein Feigling. Man kann ihm mancherlei nachsagen, aber nicht, dass er feige ist. Doch es gibt ein unverbrüchliches psychologisches Gesetz: Der Mensch hat Angst vor dem Unbekannten. Und meine frisch erworbene, Schrecken verursachende Gabe, über die in letzter Zeit in der Stadt so viel geredet worden war, war eine geradezu ideale Verkörperung dieses Unbekannten. Ich verstand den armen General daher ganz gut.

Bubuta holte krampfhaft Luft. Kapitän Schichola, sein Adjutant, sah mich fast hoffnungsvoll an. Ich kam näher. Eigentlich hatte ich den Witz auf die Spitze treiben und Bubuta bespucken wollen, um zu sehen, was passieren würde. Theoretisch war meine Spucke für Boch keinesfalls lebensgefährlich, da ich weder erschrocken noch zornig war. Doch ich besann mich rechtzeitig eines Besseren. Den armen General - so überlegte ich - könnte der Schlag treffen, und wie hätte ich diese unangenehme Situation dann erklären sollen? Also änderte ich meinen Gesichtsausdruck und ließ statt Zorn ein freundliches Lächeln sehen.

»Guten Abend, Sir Boch! Guten Abend, Kapitän!«

Meine Höflichkeit gab Bubuta den Rest und enttäuschte seinen Adjutanten. Ich ließ beide verwirrt stehen und ging ins Büro von Sir Juffin Halli, das mir als Zuflucht erschien.

Juffin saß bester Laune am Schreibtisch. »Weißt du schon das Neueste, Max? Wir haben gerade erfahren, dass wir einen merkwürdigen Mordfall klären müssen. Auf den ersten Blick gehört die Sache nicht in unsere Abteilung, aber die Adler von Bubuta sind sowieso überfordert. Ihm selbst ist das natürlich klar, und deshalb geht es dem Armen auch sehr schlecht. Du hast bestimmt seinen Wutausbruch mitbekommen. Na, jetzt müssen wir uns aber das Opfer ansehen.«

Wir traten in den Korridor. Sofort gesellte sich Lady Melamori zu uns. Ich hatte sie noch nie so schlecht gelaunt erlebt. Seltsam - dabei hatte ich am Morgen doch den Eindruck, sie in heiterste Stimmung versetzt zu haben. Ob sie der Mordfall so verschreckt hatte? Wohl kaum. Für mich war der Tod eines Menschen noch immer ein aufwühlendes Ereignis, während er für sie längst Routine geworden war.

»Warum ist es so leise?«, staunte Juffin und horchte an der Wand, die unsere Räume von denen der Stadtpolizei trennt. »Ich dachte, Bubuta wollte die ganze Nacht durcharbeiten. Hat seine Stimme versagt? Das glaub ich zwar nicht, aber schön wär's!«