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Die Leichen der Sektionen B und C waren aufgeladen.»Los!«schrie Strohschneider.

»Wollt ihr noch eine Predigt? Schmeißt die Stinker 'rauf.«

»Kommt«, sagte Berger.

Sektion D hatte diesen Morgen nur vier Leichen. Für die drei ersten fand sich noch Platz. Dann aber war der Wagen voll. Die Veteranen wußten nicht mehr, wo sie Lohmann unterbringen sollten.

Die übrigen Leichen lagen bis oben hin übereinander.

Die meisten waren steif.»Oben drauf!«schrie Strohschneider.»Soll ich euch Beine machen? Laßt ein paar 'raufklettern, ihr faulen Schweine! Das ist doch die einzige Arbeit, die ihr noch zu machen braucht. Krepieren und aufladen!«

Sie konnten Lohmann nicht von unten auf den Wagen heben.»Bucher! Westhof!«sagte 509.

»Kommt!«

Sie legten die Leiche wieder auf den Boden. Lebenthal, 509, Ahasver und Berger halfen Bucher und Westhof, auf den Wagen zu klettern. Bucher war fast oben, als er ausrutschte und schwankte.

Er griff nach einem Halt; aber die Leiche, an der er sich hielt, war noch nicht starr. Sie gab nach und glitt mit ihm zusammen herunter. Es sah entsetzlich demütig aus, wie sie so widerstandslos auf die Erde glitt, als bestände sie aus nichts als aus Gelenken.

»Verdammt!«schrie Strohschneider.»Was ist das für eine Sauerei?«

»Rasch, Bucher! Noch einmal!«flüsterte Berger.

Sie keuchten und schoben Bucher wieder hoch. Es gelang ihm diesmal, sich festzuhalten.»Erst die andere«, sagte 509.»Sie ist noch weich. Wir können sie leichter weiterschieben.«

Es war der Körper einer Frau. Sie war schwerer, als die Leichen im Lager gewöhnlich waren. Sie hatte auch noch Lippen. Sie war gestorben, nicht verhungert.

Sie hatte noch Brüste, keine Hautsäcke. Sie war nicht aus der Frauenabteilung, die an das Kleine Lager grenzte; dann wäre sie magerer gewesen. Sie mußte vom Austauschlager der Juden mit südamerikanischen Einreisepapieren sein; dort waren noch Familien zusammen.

Strohschneider war von seinem Sitz geklettert und sah die Frau.»Wollt euch wohl aufgeilen, ihr Ziegenböcke, was?«

Er brüllte vor Lachen über seinen Witz. Als Kapo des Leichenträgerkommandos hätte er den Wagen nicht selbst zu fahren brauchen; er tat es, weil es ein Auto war.

Er war früher Chauffeur gewesen und fuhr, wo er nur konnte. Er war auch stets gut gelaunt, wenn er am Steuer saß.

Zu acht brachten sie den weichen Körper endlich wieder hinauf. Sie zitterten vor Erschöpfung.

Dann hoben sie Lohmann an, während Strohschneider Kautabaksaft nach ihnen ausspuckte.

Lohmann war sehr leicht nach der Frau.

»Hakt ihn fest«, flüsterte Berger Bucher und Westhof zu.»Hakt seinen Arm an einem anderen fest.«

Es gelang ihnen, einen Arm Lohmanns durch die seitliche Lattenverschalung des Wagens zu schieben. Der Arm hing dadurch heraus, aber die Querstrebe hielt den Körper unter der Achselhöhle fest.

»Fertig«, sagte Bucher und ließ sich herunterfallen.

»Fertig, ihr Heuschrecken?«

Strohschneider lachte. Die zehn hastigen Skelette hatten ihn an riesige Heuschrecken erinnert, die eine starre, elfte, herumschleppten.»Ihr Heuschrecken«, wiederholte er und sah die Veteranen an.

Keiner lachte mit. Sie keuchten nur und starrten auf das Ende des Lastautos, aus dem die Füße der Toten ragten. Viele Füße. Ein paar Kinderfüße in schmutzigen weißen Schuhen waren darunter.

»Nun«, sagte Strohschneider, während er auf seinen Sitz kletterte.»Wer von euch Typhusbrüdern ist der nächste?«

Niemand antwortete. Strohschneiders gute Laune schwand.»Scheißer«,knurrte er.

»Und selbst dazu seid ihr noch zu dämlich.«

Er gab überraschend Gas. Der Motor knatterte wie eine Maschinengewehrsalve. Die Skelette sprangen zur Seite. Strohschneider nickte erfreut und wendete den Wagen.

Sie standen im blauen Ölrauch. Lebenthal hustete.»Dieses dicke, vollgefressene Schwein«, schimpfte er.

509 blieb in dem Qualm stehen.»Vielleicht ist das gut gegen Läuse.«

Der Wagen fuhr zum Krematorium hinunter. Lohmanns Arm hing seitlich heraus.

Der Wagen wippte auf der unebenen Straße, und der Arm schwankte, als winke er.

509 sah hinterher. Er fühlte die Goldkrone in der Tasche. Einen Moment war ihm, als hätte der Zahn auch verschwunden sein müssen, zusammen mit Lohmann.

Lebenthal hustete immer noch. 509 wandte sich um. Er fühlte in seiner Tasche jetzt auch das Stück Brot vom Abend vorher. Er hatte es noch nicht gegessen Er fühlte es, und es schien ihm wie ein sinnloser Trost.»Wie ist es mit den Schuhen, Leo?«fragte er.»Was sind sie wert?«

Berger war auf dem Wege zum Krematorium, als er Weber und Wiese sah. Er humpelte sofort zurück.»Weber kommt! Mit Handke und einem Zivilisten! Ich glaube, es ist der Meerschweinarzt.

Vorsicht!«

Die Baracken gerieten in Aufruhr. Höhere SS-Offiziere kamen fast nie ins Kleine Lager. Jeder wußte, daß es einen besonderen Grund haben mußte.»Der Schäferhund, Ahasver!«rief 509.

»Versteck ihn!«

»Glaubst du, daß sie die Baracken revidieren wollen?«

»Vielleicht nicht. Es ist ein Zivilist dabei.«

»Wo sind sie?«fragte Ahasver.»Ist noch Zeit?«

»Ja. Rasch!«

Der Schäferhund legte sich gehorsam nieder, während Ahasver ihn streichelte und 509 ihm Hände und Füße band, damit er nicht nach draußen laufen konnte. Er tat es zwar nie; aber dieser Besuch war außergewöhnlich, und es war besser, nichts zu riskieren. Ahasver stopfte ihm noch einen Lumpen in den Mund, so daß er atmen, aber nicht bellen konnte. Dann schoben sie ihn in die dunkelste Ecke.»Bleib da!«

Ahasver hob die Hand.»Ruhig! Platz!«Der Schäferhund hatte versucht, sich zu erheben.»Leg dich! Still! Bleib da!«Der Irrsinnige sank zurück.

»'raustreten!«schrie Handke draußen.

Die Skelette drängten sich heraus und stellten sich auf. Wer nicht gehen konnte, wurde gestützt oder getragen und auf die Erde gelegt.

Es war ein erbärmlicher Haufen von halbtoten, sterbenden und verhungernden Menschen. Weber wandte sich an Wiese.»Ist das hier, was Sie brauchen?«

Wieses Nasenflügel schnupperten, als rieche er einen Braten.»Prächtige Spezimen«, murmelte er.

Dann setzte er eine Hornbrille auf und betrachtete die Reihen wohlwollend.

»Wollen Sie sie aussuchen?«fragte Weber.

Wiese hüstelte.»Ja – nun, da war von Melden die Rede – freiwillig -«

»Na, schön«, erwiderte Weber.»Wie Sie wollen. Sechs Mann vortreten für leichte Arbeit.«

Niemand bewegte sich. Weber wurde rot. Die Blockältesten schrieen das Kommando nach und begannen, eilig Leute vorzustoßen. Weber ging gelangweilt die Reihen entlang und entdeckte plötzlich Ahasver im hinteren Glied vor Baracke 22.»Der da! Der mit dem Bart!«schrie er.

»'raustreten! Weißt du nicht, daß es verboten ist, so 'rumzulaufen? Blockältester! Was fällt Ihnen ein? Wozu sind Sie da?

Vortreten, der Kerl da!«

Ahasver trat vor.»Zu alt«, murmelte Wiese und hielt Weber zurück.»Einen Augenblick. Ich glaube, wir sollten das anders machen.«

»Leute«, sagte er dann sanft.»Ihr gehört ins Hospital. Alle. Im Lagerlazarett ist kein Platz mehr.

Ich kann sechs von euch anderswo unterbringen. Ihr braucht Suppen, Fleisch und kräftige Kost.

Die sechs, die es am nötigsten haben, vortreten.«

Niemand trat vor. An solche Märchen glaubte keiner im Lager. Die Veteranen hatten Wiese außerdem wiedererkannt. Sie wußten, daß er schon einigemale Leute geholt hatte. Keiner war wiedergekommen.

»Ihr habt wohl noch zu viel zu fressen, was?«schnauzte Weber.»Das werden wir ändern. Sechs Mann vortreten, aber flott!«

Aus Sektion B taumelte ein Skelett nach vorn und blieb stehen.»Gut«, sagte Wiese und musterte es.»Sie sind vernünftig, lieber Mann. Wir werden Sie schon auffüttern.«

Ein zweiter folgte. Dann noch einer. Es waren neue Zugänge.»Los! Drei mehr!«rief Weber ärgerlich. Er hielt die Sache mit dem freiwilligen Melden für eine Kateridee Neubauers. Man befahl auf der Schreibstube, und die sechs Leute wurden geliefert, fertig.

Wieses Mundwinkel zuckten.»Ich garantiere euch persönlich für gute Kost, Leute. Fleisch, Kakao, nahrhafte Suppen!«

»Herr Stabsarzt«, sagte Weber.»Die Bande versteht nicht, wenn man so mit ihr redet.«

»Fleisch?«fragte das Skelett Wassja, das wie hypnotisiert neben 509 stand.

»Natürlich, mein lieber Mann.«Wiese wandte sich ihm zu.»Täglich. Täglich Fleisch!«

Wassja kaute. 509 stieß ihn warnend mit dem Ellbogen an.

Es war kaum eine Bewegung gewesen; aber Weber hatte sie trotzdem bemerkt.