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Der Gefangene der Aimaràs

 Die Lassos flogen auf die Hörner widerspenstiger Tiere. 

Erstes Kapitel.

Auf der Höhe der Anden

    Im Westen und Norden des gewaltig dahinströmenden Orinoko, der, vom Äquator kommend, viele Meilen weit die Grenze zwischen Neugranada und Venezuela bildet, um dann in westlichem Laufe dem Atlantischen Ozean zuzueilen, nachdem er Venezuela durchquert hat, breitet sich die ungeheure Ebene aus, die der Spanier die Llanos nennt.

    Den Pampas des Südens, den Prärien des Nordens gleicht sie nur in ihrer Bodengestaltung, nicht im Pflanzenwuchs, der durchweg tropisch ist, nicht in der Einförmigkeit, die jene Wüsten auszeichnet; Grasflächen wechseln mit Buschwerk ab, Haine sind eingestreut, in denen die Palmenarten vorwiegen, und vor allem bringen zahlreiche Wasserläufe reiches Leben in die Llanos. Und aus dieser endlosen Ebene steigen nach Westen hin Gebirgszüge empor, die sich in ihrer fast den ganzen amerikanischen Kontinent durchziehenden Kette nirgends höher erheben, als im Nordwesten Südamerikas, nirgends kompakter und gewaltiger auftreten. Da wo Ebene und Gebirge aneinander grenzen, findet man auf kleinem Raume alle Klimate vereinigt.

    In der Ebene herrscht unter den sengenden Strahlen der Sonne des Äquators tropische Hitze, in den Vorbergen der Andenkette ein gemäßigtes Klima, und die Spitzen der Bergriesen, die bis zu siebentausend Meter aufragen, deckt ewiges Eis, trotz der sich oft bemerkbar machenden vulkanischen Tätigkeit ihres Innern.

    In der heißen Ebene, die durch zahlreiche Wasserläufe, die dem Gebirge entquellen, befruchtet wird, wo die Agave gedeiht und die Königspalme ihre riesigen Blätter im Winde wehen läßt, hausen die mit ihren Pferden fast nur ein Wesen bildenden Llaneros, die in der Steppe ihre zahlreichen Herden weiden, ein wildes, rauhes, ausdauerndes Centaurengeschlecht, das seine Freiheit über alles liebt.

    In den Bergen aber wohnt ein zäher Stamm von Ackerbauern, der durch seine mühsame Arbeit seinen Lebensunterhalt gewinnt, Mais, Weizen, Kartoffeln baut und seine Herden in den Bergen weiden läßt, die Montaneros; nicht minder mannhaft und trotzig als die Reiter der tiefer liegenden Steppe.

    Ihnen gesellen sich in den Andentälern zahlreiche Kolonien Ureingeborener, die, für das Christentum gewonnen, friedlich ihren Acker bauen und wesentlich ihre Stammesreinheit wahren.

    Hoch oben aber im Gebirge, in schwer ersteigbaren Felstälern wohnen einzelne, niemals unterworfene Indianerstämme, die, unzugänglich aller europäischen Zivilisation, noch treu die Überlieferungen ihrer einst mächtigen Vorfahren bewahren und den Weißen als ihren Todfeind betrachten.

    Solange die spanische Regierung in jenen Ländern mit eiserner Faust herrschte, verhielten sich diese zerstreuten wilden Horden ruhig in ihrer Abgeschlossenheit, denn sie fürchteten den Zorn des spanischen Königs.

    Als aber Anfang des neunzehnten Jahrhunderts der Unabhängigkeitskampf ausbrach und die weißen Bewohner dieser Länder, Nachkommen der eingewanderten Spanier, in jahrelangen blutigen Kämpfen mit der Macht des Mutterlandes rangen, um sich frei von dessen Herrschaft zu machen, kam auch Leben in diese abgelegenen Ansiedlungen der wilden Indianer und sie beteiligten sich an den Kämpfen der Parteien, wenn auch nur mit Rauben, Morden und Sengen, wobei es ihnen ganz gleichgültig war, ob sie königlich Gesinnte oder Liberale niedermetzelten.

    Die Bruderkämpfe, in denen sich, nachdem endlich die Unabhängigkeit von Spanien errungen war, die Bewohner dieser Landstriche erschöpften und ihren Heimatboden mit Blut tränkten, dienten nicht dazu, die im Gebirge hausenden Indianer friedlich zu stimmen, umsoweniger als sie in ihren Felsenschluchten unangreifbar waren, auch die Parteikämpfe im Inneren des Landes jedes energische Auftreten gegen sie verhinderten.

    Die friedlich gesinnten, halbzivilisierten ackerbauenden Indianer der Vorberge fürchteten ihre wilden Stammesgenossen im Hochgebirge gleich wie die Weißen diese scheuten, auch machten die Indios bravos (wilde Indianer) zwischen beiden kaum einen Unterschied, wenn sie räuberisch in das Land eindrangen.

    Zum Glück für die Bewohner der Vorberge und der Ebene war die Zahl dieser Indios bravos eine geringe, und nur von Zeit zu Zeit wagten es die Nachkommen des einst mächtigen Aimaràvolkes, die in dem Gebirgsstock hausten, der nach Neugranada wie nach Ecuador hineinragt, aus ihren Schlupfwinkeln hervorzubrechen, um sich mit der errungenen Beute bald wieder in ihre unzugänglichen Berge zurückzuziehen.

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Auf der Spitze eines rauh zerklüfteten Felsens, hoch im Gebirge, stand ein Knabe, der sinnend nach Osten über Berge, Hügel und Wälder hinwegblickte, bis weit hinaus, wo sich in bläulichem Schimmer Erde und Himmel zu vereinen schienen.

    Der Anblick, der sich von hier aus dem Auge bot, war von seltener Großartigkeit, von einer feierlichen Erhabenheit, wie ihn die Erde nur an wenigen Stellen dem Menschen gewährt, und die tiefe Stille ringsumher machte ihn noch eindringlicher.   

Der vor diesem Bilde weilende Knabe trug das Kleid der in den Bergen hausenden Ureingeborenen, eine bis an das Knie reichende ärmellose Tunika von Bikunjawolle, die ein Ledergürtel um den Leib zusammenhielt, und hohe lederne Gamaschen. Der kräftige Arm und das Antlitz zeigten, daß das Blut des Europäers unverfälscht in seinen Adern rollte, so sehr beides von Sonne und Luft auch gebräunt war.

    Um das schön geformte sinnende Antlitz, aus dem dunkle Augen sehnsuchtsvoll in weite Ferne blickten, hing lang herab dunkles, welliges Haar, das ein Streifen Leopardenhaut, der um Stirn und Hinterhaupt geschlungen war, zusammenhielt.

    Die Haltung des Knaben war von seltener Anmut, wie er dastand, den Blick in das Endlose gerichtet. Lange stand er so, bewegungslos. Ein Seufzer stieg aus der Tiefe der Brust hervor, hinweggetragen von dem lauen Luftzuge, der nach Osten wehte, der Heimat das Jünglings.

    "Wann werde ich dich wiedersehen, mein Heimatland?" sagte er leise in sanftem Klagetone. "Findet dieser qualvolle Aufenthalt unter den räuberischen Wilden nicht bald ein Ende, so verlerne ich noch die Sprache meiner Väter. O Allmächtiger, rette mich - rette mich - ehe ich untergehe."

    Er sank auf die Knie, neigte das Haupt und schien zu beten.

    Endlich erhob er sich.

    "Nur im Gebet kann ich noch Spanisch sprechen," flüsterte er tiefschmerzlich.

    Der Mann hinter dem Busche betrachtete den ruhig dasitzenden Knaben.

   Während sein Auge über die Schluchten nach Osten hinstreifte, zuckte er plötzlich zusammen und verschärfte den Blick der großen dunklen Augen. "Bei meinem Leben, sie bringen einen Weißen," sagte er in tiefer Erregung.

    Einem gewöhnlichen Auge kaum wahrnehmbar, erkannte der Adlerblick des Jünglings zwischen einem noch fernen, sich langsam heranbewegenden Zug von Eingeborenen einen Europäer.

    "Gott schütze ihn vor diesen grauenhaften Menschen."

    Wie sein Auge, war auch das Ohr des Knaben ungewöhnlich scharf. Das Geräusch eines leichten Schrittes drang zu diesem, und augenblicklich sank der Jüngling zur Erde nieder und nahm eine ruhig nachdenkliche Stellung ein. Gleich darauf erschien das braune Gesicht eines jungen Indianers zwischen den Büschen, die den Fels bedeckten. Obgleich er ähnlich gekleidet war wie der weiße Knabe, zeichnete sich die Tracht des braunen Burschen doch durch größeren Reichtum aus. Stirnband und Gürtel zeigten reichen Schmuck von goldenen und silbernen Stickereien und Zieraten.