"Ich bin durch den Sturm von den Meinen getrennt worden und mein Maultier ist mir entlaufen, so irrte ich in Verzweiflung umher. Todesmatt sank ich gestern abend hier nieder, ich glaubte sterben zu müssen."
"O, noch ist Ihre Stunde nicht gekommen, Sie sehen, die Vorsehung hat mich zu Ihnen gesandt."
"Ja, und wie bin ich dafür dankbar!"
"Aber wie kommen Sie in diesem seltsamen Aufzuge, der wohl für die Städte gut sein mag, so tief in die Llanos, und noch dazu ohne Waffen?"
"O Sennor, ich bin Naturalista und kam in guter Begleitung."
"Naturalista?" fragte nicht ohne Erstaunen Alonzo.
"Ja, ich bin hier, um die Tier- und Pflanzenwelt der Llanos zu studieren."
"O -. Ja, ich habe gehört, daß es solche Leute gibt," und ein heiterer Zug erschien in Alonzos Gesicht.
"Ich geriet auf der Schmetterlingsjagd von den Meinen ab. Dann kam der Sturm, mein Maultier ging durch und warf mich schließlich ab, jagte davon -, und einsam war ich in der endlosen Wüste, dem Hungertode preisgegeben."
"Schmetterlingsjagd?" Dem jungen Hünen kam dies komisch vor und er, etwas sehr Seltenes in seinem Wesen, er lachte. Er hatte wohl Kinder hinter Schmetterlingen herlaufen sehen und er selbst freute sich an ihrer bunten Pracht wie an der der Blüten, aber ein Mann und Schmetterlingsjäger? Das war drollig.
Der Fremde schien beleidigt und Alonzo gewahrte es.
"Verzeiht, Sennor, wenn ein Mann, der dem Hirsch und dem Jaguar nachstellt, die Jagd auf Schmetterlinge ungewöhnlich findet -," doch setzte er mit einladender Gebärde und freundlichem Lächeln hinzu, "wie wäre es, wenn wir frühstückten?"
Der Fremde lächelte auch, der Gedanke, das Frühstück fortzusetzen, war ihm sehr sympathisch und verscheuchte alsbald seinen Mißmut.
Jetzt ging Alonzo zu seinem wohlgezogenen Roß, das unweit ruhig graste, nahm den Beutel von dessen Sattel und bald saßen die jungen Leute zusammen und verzehrten kaltes Fleisch und Maisbrot. Dies schien dem Fremden sehr zu behagen.
Endlich sagte er: "Sie sind ein Llanero, Sennor?"
Die Kleidung Alonzos, das Pferd und sein Sattelzeug hatten ihm gesagt, daß er keinen der gewöhnlichen Bewohner der Ebene vor sich hatte.
"Llanero, Montanero, wie es kommt, Sennor."
"O, kennen Sie das Gebirge auch?"
"Bis zum ewigen Schnee hinauf."
"Aber Sie sind hier zu Hause?"
"Ja."
Nach einer Weile sagte der junge Fremde: "Aber wo finde ich nur meinen Professor und meine Peons wieder. Hoffentlich sind sie dem Sturme entgangen."
"Wo waren Sie, als der Sturm kam?"
"Wenn ich das wüßte."
"Da wird es freilich schwer halten, die Ihrigen zu finden."
"Aber was beginne ich, mein Freund, der Sie sich so teilnahmsvoll meiner annehmen, was beginne ich?"
"Ich will Sie zu den Meinigen bringen, ich denke, mein Cesar wird uns beide tragen, bis ich ein Reittier für Sie habe. Glauben Sie, den Ritt auszuhalten?"
"O, ich denke wohl."
Der Fremde erhob sich -, aber er wankte noch vor Schwäche.
"O, das wird nicht angehen -. Sie sind zu erschöpft, Sennor Naturalista. Wir haben einen langen und rauhen Weg vor uns."
Er stand auf und erkletterte gewandt die unteren Äste einer Tamarinde, um von erhöhter Stelle Umschau zu halten.
Wie er gehofft, gewahrte er am westlichen Horizont leichten Rauch, nur einem ungewöhnlich scharfen Auge wahrnehmbar.
Er kam herunter und sagte: "Dort wohnen Leute, ich will Sie dorthin bringen, wir finden da ein Reittier, und, wenn es sein muß, ein Nachtlager."
"Mille gracias, Sennor -, mir ist alles genehm."
"Also gut! Es ist Mittag vorüber und die Sonne steht nicht lange mehr am Himmel."
Alonzo rief seinem Cesar, der gehorsam wie ein Hund herankam, stieg in den Sattel und sagte: "Geben Sie mir die Hand, setzen Sie Ihren Fuß auf den meinen."
Der Fremde tat so und saß im Augenblicke, von Alonzos ehernem Arm gehalten, vor ihm auf dem Rosse. Alonzo ließ das Tier, das stutzend war, aber doch gehorsam die ungewöhnliche Belastung sich gefallen ließ, angehen, doch bald zeigte es sich, daß der aller Strapazen ungewohnte Körper des Fremden unter der Bewegung und dem unbequemen Sitze litt, so sehr er auch seine Schmerzen zu verbergen suchte.
Wiederholt mußte Halt gemacht werden.
So kam es, daß Cesar mit seiner doppelten Last erst kurz vor Sonnenuntergang vor der einfachen, von einigen Bäumen umstandenen Behausung eines Llanero anlangte, deren Rauch Alonzo von weitem gesehen.
Erschöpft stiegen beide ab, denn auch Alonzo hatte, besonders auf der zweiten Hälfte des Weges, seine ganze Kraft aufbieten müssen, um den erschöpften Verirrten vor sich auf dem Sattel zu halten.
Eine ältere Frau trat ihnen aus dem Hause entgegen und begrüßte sie freundlich, sah aber mit Erstaunen, daß zwei Reiter auf einem Pferde angelangt waren.
Alonzo gewahrte das wohl, und während sein halb geräderter Gefährte matt auf eine Bank sank, sagte er: "Ja, Madrecilla, sieh nur verwundert darein, die Mula meines Freundes hat der Sturm davon getragen und wir mußten uns mit einem Pferderücken begnügen."
"Geht auch," sagte die Frau, "ich sitze oft genug hinter meinem Manne, wenn wir die Nachbarn besuchen. Aber sattelt Euer Pferd ab, Sennor, dort ist Pferdefutter und macht's Euch bequem. Mein Mann ist den Rindern nachgeritten, aber darum soll Euch doch nichts fehlen."
"Gib was du hast, Mutterchen, wir sind dankbar für alles."
Er sorgte für das Pferd und setzte sich neben den Gefährten.
Gleich darauf kam Kaffee von der trefflichen Art, die das Land erzeugt, Eier, frisches Maisbrot und kalter Braten.
Das stellte die Lebensgeister der jungen Leute und selbst die des stillen Naturforschers her. Die Sonne sank und eine erfrischende Abendluft umfächelte sie, unendlich wohltuend nach dem heißen Tage.
Nach einiger Zeit sagte der Verirrte: "Erst jetzt beginne ich mich wieder als Mensch zu fühlen, und wenn ich die Besorgnisse um meine Begleiter los wäre, könnte ich guter Dinge sein."
"Warum solltet Ihr um diese in Sorge sein? Sie werden sich nicht auf der Schmetterlingsjagd verirrt haben, wie Ihr, der Ihr noch dazu der Llanos unkundig seid."
"Ihr mögt ganz recht haben und ich ängstige mich grundlos. Wie vielen Dank bin ich Euch schuldig, ohne Euch wäre ich in der Wüste umgekommen."
"Erwähnt das nicht, ich habe kein sonderliches Verdienst dabei. Doch laßt uns hineingehen, der Tau beginnt zu fallen und das könnte Euch schaden."
Sie traten in das durch eine sehr primitive Lampe erleuchtete einfache Gemach und ließen sich dort nieder.
Alonzos Blick suchte das Antlitz des Fremden, der ihm plötzlich in den Weg geworfen worden war, dessen Zartheit und Sanftheit fast etwas Mädchenhaftes an sich hatte.
Der Jüngling gefiel ihm ungemein.
"So haben Euch also Schmetterlinge und Käfer in die Llanos gelockt, Sennor?"
"Wenn Ihr wollt, ja, doch nicht sie allein. Es fehlt unserem herrlichen, gottgesegneten Vaterlande, das alle Klimate in sich vereinigt von der Terra caliente (heißen Zone) bis zur Terra fria (kalten Zone) noch an einer genauen Kenntnis seiner Tier- und Pflanzenwelt. Und Ihr müßt nicht glauben, Sennor, daß Forschungen auf diesem Gebiete unfruchtbar für das Land seien, nein, sie haben neben der Bereicherung der Wissenschaft auch ihren praktischen Nutzen. Ich hoffe nicht, daß Ihr von der Wissenschaft gering denkt."