Tejada, der von dem räuberischen Treiben auf den Flüssen viel besser unterrichtet war, als der Alguacil ahnte, lauschte mit großer Aufmerksamkeit.
"Mir war endlich ein in Orocue ansässiger Handelsagent aufgefallen, der für eine Firma in Trinidad aufkaufte und die Hacienderos ermunterte, ihren Tabak, Kakao, Kaffee, ihre Häute u. s. w. nach der Küste zu senden. Die meisten von diesen Ladungen verschwanden auf dem Strom. Als aber endlich durch einen unserer Stromschiffer, der einem räuberischen Überfall auf dem Orinoko durch ein wohlbewaffnetes Piratenboot glücklich entgangen war, sichere Kunde über dieses unheimliche Treiben zu uns gelangte, hierbei auch Anzeigen gegen den Agenten in Orocue sich ergaben, suchte ich den Mann zu fassen, der sich nach allem als der äußerst gefährliche Zutreiber dieser Flußpiraten, als ihr verderbliches Werkzeug am Lande auswies. Leider verfolgte ich ihn vergeblich, trotzdem ich ihm die Flüsse verlegte, wo die Piratas ja überall ihre Helfershelfer haben, und setze ihm, wie es scheint, auch jetzt vergeblich nach."
Keiner von den beiden, weder der Alguacil noch Tejada beachtete, daß dicht hinter ihnen der Indianer ritt, teilnahmslos vor sich hinschauend.
"Das ist freilich eine große Gefahr für Leben und Eigentum, Sennor," sagte Tejada, "und ich wünsche, daß es Euch gelingt, diesem gefährlichen Treiben ein Ende zu machen."
"Ja," seufzte der Beamte, "wenn wir nur die Schlupfwinkel dieser Räuber kennen würden, aber die Ströme mit ihren einsamen Ufern bieten deren zu viele. Erwische ich den Burschen vor mir, wollen wir schon dahinter kommen."
"Nun, alles Glück dazu! Am Magdalena macht sich zwar hie und da auch ein Pirat bemerkbar, doch im ganzen selten. Das sind hier im Süden absonderliche Zustände."
"Ja, leider. Die Regierung in Bogotá hätte schon längst mit fester Hand eingreifen müssen, aber sie tut gar nichts, und das ist bei der Stimmung der Bevölkerung in den Llanos gar nicht gut."
Sie verließen bald darauf die Berge und erreichten eine Posada, die zur Seite ihres Weges lag.
Tejada beschloß dort zu übernachten.
Sancho Tejada und sein Peon vor der Posada.
Der Polizeibeamte aber, nachdem er sich nach dem, den er suchte, erkundigt hatte, freilich ohne Nachricht über ihn zu erlangen, ließ durch den Posadero frische Pferde herbeischaffen und entfernte sich mit seinen Lanceros, nachdem er gespeist hatte, nach Süden, um seinem Wilde zu folgen.
Don Sancho Tejada rauchte, nachdem er eine treffliche Mahlzeit eingenommen hatte, nachdenklich seine Zigarito. Das Piratenwesen auf dem Orinoko war ihm durchaus nicht unbekannt, er hatte einige ehemalige Genossen unter der verwegenen Bande, die die Flüsse unsicher machte in jenen Gegenden, wo das Gesetz seine Macht verlor.
Ja, er hatte selbst, wenn die Verfolger gar zu arg hinter ihm waren, Neigung verspürt, sich diesen Piraten anzuschließen, nur daß die Hoffnung, ein sicheres Asyl am Lande zu finden, ihn davon zurückgehalten hatte.
Aber diese Leute vom Orinoko, die auf irgend einer Insel eine geheime Niederlassung hatten, hielten weitverzweigte Verbindungen an den Flußläufen aufrecht.
Sie waren vielleicht zu brauchen, ihm bei seinem Vorhaben zu unterstützen oder ihm im Notfall eine Zuflucht zu gewähren, denn gefährlich schien ihm die Sache mit dem gesuchten jungen Alcantara doch.
Er kannte die Llaneros aus Erfahrung.
War Don Alonzo einer von den ihren, und das war ja wohl das Wahrscheinliche, so gehörte viel Vorsicht und viel Klugheit dazu, ihm einen Streich zu versetzen, ohne eigene Gefahr zu laufen.
Diese wilden Rinderhirten mit ihren langen Lanzen und ihrer Sicherheit im Gebrauche des Lassos, zugleich mit ihrer Fähigkeit, einer Spur zu folgen, waren furchtbare Gegner und Don Sancho Tejada, der ehemalige Teniente im Dienste der Republik Neugranada, verspürte wenig Lust, sich ihrem Grimme auszusetzen.
Vielleicht gelang es ihm, eine Verbindung mit den Flußpiraten herzustellen und in ihrer Mitte ein Werkzeug zu finden, das sich gegen Don Alonzo brauchbar erwies.
Es war ihm recht angenehm, durch die Begegnung mit dem Alguacil die Erinnerung an die Räuberinsel aufgefrischt zu sehen.
Tejadas nächstes Bestreben war darauf gerichtet, den Jüngling erst zu ermitteln.
Hoffentlich fand er in der Nähe von Gomez' Heim die Spur, die ihn weiter und bis zu dem ersehnten Opfer führte.
Das übrige mußten die Umstände geben.
Tejada, der im Besitz einer Summe Geldes war, wie er sie seit langem nicht besessen, und sich hier sicher fühlte, war in der rosigsten Laune und malte sich eine Zukunft aus, die er sich mit den fünftausend Pesos de Vallas zu schaffen hoffte.
Unweit von ihm saß sein indianischer Peon und blickte teilnahmslos, nach der Art der Ureingeborenen vor sich hin.
Zwölftes Kapitel.
Naëva
Alljährlich, sobald die Regenzeit vorüber war, fand in Naëva ein Markt statt, der die Leute von weit her anlockte. Da kamen die Hacienderos von den Flüssen, die Llaneros aus der Steppe, von den Bergen die Ackerbauer und Viehzüchter, die Indianer aus den Anden und der Ebene, um zu kaufen und zu verkaufen, Geschäfte zu besprechen und zu erledigen und Neues aus dem Lande zu erfahren.
Selbstverständlich fehlten Händler aller Art nicht, die den Landleuten und den Indianern ihre mannigfaltigen Waren anboten, von der Büchse bis zum Kinderspielzeug herab, oder Käufe mit ihnen abschlossen.
Dieser Zusammenschluß vieler Leute aus der Ferne wie aus der Umgebung nahm daneben den Charakter eines Volksfestes an, dessen Freuden nicht selten außer durch Vergnügungen aller Art auch durch Wettrennen, Preisschießen oder andere Wettkämpfe erhöht wurden.
Sennor Vivanda, der regelmäßig zu dem Markte in Naëva zu erscheinen pflegte, hatte diesmal darauf verzichtet und für die Geschäfte seinen Administrator und Alonzo mit der Repräsentation der Familie beauftragt. Sennor Vivanda hatte den Jüngling schon wiederholt nach Naëva genommen, um ihn in größerem Kreise bekannt werden zu lassen. Auch hatte der ernste junge Mann durch seine vornehme und doch bescheidene Haltung, seine Meisterschaft in allen körperlichen Übungen sich rasch die aufrichtige Zuneigung aller erworben, mit denen er in Berührung kam. Er galt für einen Anverwandten der Vivandas.
Der Sennor wollte in diesem Frühjahr wieder einmal mit seinem Liebling die Berge aufsuchen. Der Schreck, den Elvira durch das Auftauchen des Jaguars erlitten, hatte sie mehrere Jahre verhindert, nach den Anden zu gehen, doch diesmal hatte sie selbst den Wunsch danach ausgesprochen. Alonzo hätte sie am liebsten begleitet, doch Sennor Vivanda hatte ihm vorgestellt, daß seine Anwesenheit in Naëva umso wichtiger sei, als der Tag nahe, wo der Kampf um seine ererbten Rechte aufgenommen werden solle, daß hierfür eine Bekanntschaft mit den Bewohnern der Ebene wie mit denen der Berge vorteilhaft sein werde. Daß Alonzo nicht der Mann war, um Freundschaft oder Wohlwollen sich zu erwerben, wußten die Herren Vivanda wohl, aber auch ebensogut, daß seine Persönlichkeit sich leicht die Herzen der Menschen gewann. So sollte Alonzo als Vertreter des Hauses Vivanda auf der Versammlung der einflußreichsten Grundbesitzer des Departementos Cauca erscheinen und sich später nach den Bergen aufmachen, um dort mit Sennor Vivanda und Elvira einige Tage zu verbringen.