Er hörte da, daß nur die Furcht, von neuem die Furie des Bruderkriegs zu entfesseln, die besten Männer abhielt, die Waffen gegen diese Regierung zu erheben, die die Entwicklung des Landes hemmte und jede freiheitliche Regung unterdrückte. Er hörte auch mit bitteren Worten die dunkle Vergangenheit de Vallas und seine geschickte, aber charakterlose Mantelträgerei den sich bekämpfenden Parteien des Landes gegenüber erwähnen. Doch vernahm er auch, daß de Vallas Regiment, gestützt auf die Unterstützung der Farbigen aller Schattierungen, besonders der Indianer, überaus machtvoll sei, wie daß auch einflußreiche Kreise der weißen Bevölkerung zu ihm hielten.
Alonzo galt auch in diesen Kreisen für einen nahen Verwandten und mutmaßlichen Erben Sennor Vivandas.
Mit tiefer Rührung hörte er auch seines Vaters erwähnen, mit der Achtung, die dem Sohnesherzen so wohl tut.
Im Herzen bewegt schied er von den Herren.
Es war mittlerweile dunkel geworden. Doch die Nacht war lau.
Häuser und Posaden waren überall hell erleuchtet, die Leute saßen auf der Straße, plauderten, sangen zur Gitarre ihre Lieder und schmausten.
Auch das Lager, das sich um die kleine Stadt gebildet hatte, war erleuchtet und belebt.
Hier bewegten sich vorwiegend Farbige und die kleinen Besitzer von den Llanos.
Alonzo war von allem, was er bei seinen Besuchen vernommen hatte, erregt und schlenderte zu dem kleinen Orte hinaus in das Treiben des Lagers.
Er bemerkte nicht, daß ihm ein Indianer im Poncho vorsichtig folgte.
Alonzo betrachtete sich das bunte Treiben, die Händler, die unter roh gefertigten Zelten immer noch bemüht waren, bei mangelhafter Beleuchtung Geschäfte zu machen, und den Indianern ihre bunten Waren anzupreisen. Hie und da warf ein am Boden brennendes Feuer Licht in weiterem Kreise um sich.
Während Alonzo in der Nähe eines solchen Feuers stand, hörte er hinter sich Worte in der Sprache der Aimaràs. Jäh überrascht, gelang es ihm nur mit Mühe, seine Ruhe zu bewahren und den aufsteigenden Grimm, den die Laute seiner Peiniger in ihm aufsteigen machten, zu bändigen.
"Es ist genug," sagte die Stimme, "wir wollen weiter und sind mit Sonnenaufgang an den Bergen."
"Laß uns noch bis morgen bleiben, es ist schön hier bei den weißen Leuten."
"Es sind viel Chibchas hier und man könnte uns erkennen."
Langsam hatte sich Alonzo umgewandt und sah das von dem Feuer hell beleuchtete Antlitz Guatis vor sich und neben ihm das Tucumaxtlis, des Kaziken. Die Aimaràs trugen die einfache Tracht der umwohnenden friedlichen Indianer.
Der Blick Guatis, der hoch und kräftig aufgeschossen war, begegnete seinem funkelnden Auge.
Alonzos Hand zuckte - er fühlte das leidenschaftliche Bedürfnis, die Kehle des Kaziken zu fassen, trotzdem er unbewaffnet war -, da stürmte singend und johlend eine Schar betrunkener Neger einher, die umstehenden Indianer machten eilig den Trunkenen Platz, einen Augenblick entstand Verwirrung - und die beiden Aimaràs waren in der Dunkelheit verschwunden - einem Trugbilde gleich. Aber Alonzo hatte ihre Laute vernommen, ihre ihm nur zu wohl bekannten Gesichter gesehen - ihn täuschte kein Trugbild.
Ob sie ihn erkannt hatten? Möglich -, denn der Indianer Augen sind scharf und ihr Gedächtnis treu. In der Nacht und unter dem Zusammenschluß Fremder nach den Aimaràs zu suchen, wäre vergebliches Beginnen gewesen. Dennoch beschloß er, sofort den ersten Alguacil, dem die Marktpolizei oblag, aufzusuchen und ihm Kenntnis von der Anwesenheit der Aimaràs zu geben.
Doch mußte er sich gleich darauf sagen, daß dies nur mit Vorsicht geschehen könne, wenn er sich nicht verraten wollte.
Während er, überlegend, welche Schritte er tun sollte, um der Aimaràs habhaft zu werden, zwischen einigen dunklen Bäumen der Stadt zuschritt, vernahm er plötzlich ein leise gesungenes einfaches Lied, wie es die Maultiertreiber singen, wenn sie mit ihren Tieren gehen.
Eine Flut von Erinnerungen stürmte plötzlich bei diesen Klängen, die er seit seiner Knabenzeit nicht mehr vernommen hatte, auf ihn ein, und er blieb lauschend stehen.
Vor sich sah Alonzo plötzlich schattenhaft eine dunkle Männergestalt und vernahm in gebrochener Sprache die Worte: "Alonzo, der Sohn Don Pedros, kennt noch das Lied seiner Kinderjahre?"
Alonzo erschrak und fragte hastig: "Mann, wer bist du?"
"Dein Freund, Don Alonzo, dem dein Vater einst Gutes getan," war die Erwiderung des Mannes, der nicht genauer zu erkennen war, doch sicher ein Indianer sein mußte. "Ich wollte nur wissen, ob du der Sohn Don Pedros warest, nun weiß ich es. Nenne deinen Namen hier nicht, und hüte dich; du hast Feinde hier, nicht unter den Roten, unter den Weißen. Hüte dich vor dem Manne mit dem Gesicht des Raubvogels."
"Alonzo, der Sohn Don Pedros, kennt noch das Lied seiner Kinderjahre?"
Leute kamen von der Stadt her mit Fackeln und der Mann war im Schatten der Bäume verschwunden. Alonzo stand wie ein Träumender da. Die Erinnerung an seine Kinderzeit, die Nennung seines Namens, die Warnung des Unbekannten, das Auftauchen der Aimaràs, das ihm die schrecklichste Zeit seines jungen Lebens zurückrief -. Alles zog verwirrend durch sein Gehirn.
"O, da steht Don Alonzo," ließ eine muntere Stimme sich vernehmen, "und treibt Astronomie. Wir suchen dich, Hermano, komm mit uns, wir wollen die alten spanischen Lieder singen und vergnügt sein."
Er sah einiger der jungen Leute vor sich, mit denen er bekannt war, die von indianischen Peons, die Fackeln trugen, begleitet waren.
In der Erregung seiner Seele hatte er wenig Lust, sich der munteren Gesellschaft anzuschließen, doch konnte er nicht gut ablehnen, ohne die jungen Leute zu verletzen, und ging mit, hoffend, daß er den Aimaràs noch einmal, und zwar unter vorteilhafteren Umständen, begegnen oder den Alguacil sehen werde.
Die jungen Leute suchten eine im Felde errichtete Tienda auf, wo der an den Abhängen der Kordilleren gezogene Wein verschenkt wurde. - Auf dem Wege dorthin begegnete er dem Administrator Vivandas, den er als erfahrenen und zuverlässigen Mann erkannte, der fest im Vertrauen seines Herrn stand.
Alonzo ging einige Schritte mit ihm, sprach über einige gleichgültige Dinge und äußerte dann: "Wenn ich einige von den Montaneros vorhin recht verstand, Don Sebastian, treiben sich unter den Indios auch einige der Räuber aus den Anden umher. Ist das nicht gefährlich? Sollte man der Polizei nicht Anzeige machen?"
"O, Sie meinen Aimaràs, Don Alonzo? Die sind alljährlich hier, sie kommen hierher um Munition und Waffen zu kaufen; im übrigen sind sie ungefährlich."
"Glauben Sie? Ich hörte, es seinen gefährliche Bandidos?"
"Ja, sie bestehlen die angesiedelten Indios, selbst die Montaneros von Zeit zu Zeit."
"Aber, daß man sie dann hier duldet?"
"Sie sind schwer von Indio reducidos zu unterscheiden, wenn sie Spanisch sprechen, auch fürchten die christlichen Bergindianer sie anzugeben, um nicht ihrer Rache zu verfallen."
"Aber ermorden sie nicht auch von Zeit zu Zeit Weiße? Sie sollen uns doch tödlich hassen."
"In einer einsamen Bergwildnis möchte ich keinem von der Bande begegnen, aber hier haben sie nur die Absicht, ihre Einkäufe zu machen, und entfernen sich dann schleunigst wieder. Jeder Versuch, ihrer habhaft zu werden, wäre ganz aussichtslos, und im Falle es gelänge, noch mehr jedes Prozeßverfahren gegen sie. Waren Aimaràs hier und wurden sie als solche erkannt, so dürfen Sie versichert sein, daß sie bereits auf ihren flinken Tieren dem Gebirge zueilen."