Don Christiano trat vor; er war aufgeregt und seine Hand bebte als er anlegte.
Ein guter Schuß - zehn Ringe.
Als jetzt Alonzo vortrat, hätte man eine Nadel fallen hören können, solche atemlose Stille herrschte.
Sorgfältig zielte Alonzo und feuerte.
Begierig schaute alles nach der Scheibe.
Neun Ringe -, die Kugel saß dicht neben der Don Christianos.
Der junge Bergbewohner war Sieger und betäubender Jubelruf erhob sich ringsum, während Alonzo dem Rivalen mit freundlichem Händedruck gratulierte.
"Nein, Sennor, ihr habt mich geschont, Euch gebührt der Preis, Ihr seid mir überlegen."
"O, Don Christiano, wo denkt Ihr hin, ich werde einen solchen Schützen schonen! Nein, der Preis ist redlich von Euch verdient und ich bin stolz darauf, daß ich ihn dem besten Schützen der Berge fast streitig gemacht habe."
Diese echte Höflichkeit gewann ihm im Sturm die Herzen, denn es waren nicht wenige unter diesen erprobten Schützen, die aus dem sorgfältigen Zielen Alonzos und dem Sitz der Kugel schlossen, daß er Christiano des Preises nicht berauben wollte.
Beide wurden mit Lobsprüchen überhäuft und Christiano eine prächtige Büchse als Preis von den Richtern feierlich übergeben.
Hellauf jubelten die jungen Llaneros, Alonzo war nur mit einem Punkte geschlagen geworden. Die Montaneros aber begrüßten herzlich und in schmeichelhafter Weise einen so seltenen Schützen.
"Wo hat der Bursche so schießen gelernt?" brummte Tejada vor sich hin.
Dieses Wettschießen, an dem ein Llanero so ruhmvollen Anteil hatte, diente sehr dazu, die Bewohner der Berge und der Ebene einander zu nähern und bald saßen sie in herzlichem Einverständnis miteinander in weitem Kreise, währen die Vorstände reichlich Erfrischungen herumreichen ließen.
Alonzo saß neben Christiano Montez und dessen Braut, einem anmutsvollen Mädchen, die nicht wenig stolz auf den Erfolg ihres Verlobten war. Ihm sowohl wie Alonzo wurden donnernde Vivas gebracht.
Eine überaus fröhliche und harmonische Stimmung herrschte unter der zahlreichen Gesellschaft.
Lieder ertönten zu Gitarrenbegleitung und das junge Volk trat zu einem der so anmutigen nationalen Tänze an.
Selbst die umherlagernden, sonst so trübsinnig dreinschauenden Indianer waren heiterer als sonst, besonders als man auch sie mit Fleisch und Schokolade bewirtete.
Es war ein überaus anmutiges, buntes Bild, das die fröhlichen Menschen hier boten, und selbst der Himmel lachte freundlich hernieder. Die festliche Stimmung wurde plötzlich gestört, als um ein Gehölz ein Reiter hervorkam, der mit der letzten Kraft seines Pferdes, im Sattel wankend, in aller Eile den Festplatz zu erreichen strebte.
"Seht da! Was ist das? Was bedeutet das?"
"Ein zu Schanden gerittenes Pferd?"
"Der Mann kann sich ja kaum im Sattel halten."
Der Anblick dieses Reiters erregte Aufsehen und rief Unruhe hervor.
Der Tanz wurde unterbrochen, die Gitarren schwiegen; aller Augen waren auf den Reiter gerichtet, der vom Gebirge zu kommen schien.
Das Pferd stürzte ermattet nieder -, der Reiter kam glücklich aus dem Sattel - und hinkte heran.
Totenbleich stand Alonzo da; es war ein Peon Sennor Vivandas, der seinen Herrn in die Berge begleitet hatte, der dort herankam.
Tiefe Stille hatte sich auf der Menschenmasse gelagert.
"Don Alonzo -!" rief schwach der Peon. "Don Sebastian!" Dies galt dem Administrator.
Jetzt traten beide vor.
"Don Alonzo soll kommen zu Sennor -, Donna Elvira ist verschwunden - geraubt - fort -"
Der Mann konnte vor Erschöpfung nicht weiter reden.
Alonzo stand bleich aber bewegungslos gleich einer ehernen Bildsäule da, nur die Augen schienen zu leben und spiegelten die Erregung seines Inneren wider.
Der Administrator war ein Bild des Entsetzens.
Man gab dem Unheilsboten, der mit Alonzo und dem Administrator dicht von den Weißen umdrängt war, etwas Wein, worauf dieser berichtete, daß die Sennorita, gefolgt von dem Cazador(Jäger) der Hacienda, einen Spaziergang in den Wald gemacht habe. Hier seien sie plötzlich von roten Leuten überfallen, der Cazador schwer verwundet worden, Donna Elvira davongeführt. Alonzo, der Administrator und die in Naëva anwesenden Vaqueros sollen zu Sennor kommen, der krank darniederliege.
Die Umstehenden lauschten dem Bericht mit sich steigernder Teilnahme.
"Das sind die Aimaràs gewesen," rief ein junger Montanero, "es ist Zeit, daß mit diesen Räubern aufgräumt wird."
Während der Administrator, der seine junge Herrin sehr liebte, wie alle auf Otoño, seine schmerzlich leidenschaftliche Erregung nicht zu verbergen vermochte, bewegte sich in Alonzos Angesicht kein Muskel.
"Wann geschah das?" fragte er, und auch der Ton, in dem er sprach, zeigte jene erzwungene eiserne Ruhe, die sein Gesicht zur Schau trug.
"Vorgestern abend."
"Gut. Nehmen Sie sich des Burschen an, Don Sebastian, lassen Sie mir den Rappen satteln und die Vaqueros aufsitzen, Mundvorrat und Munition nehmen, wir wollen reiten."
Der verzweiflungsvolle Administrator ging eilig zur Stadt zurück.
Der Peon wurde ihm nachgeführt.
"Wir begleiten dich, Don Alonzo," riefen die jungen Leute aus den Llanos, "wir wollen deine Elvira wieder holen."
"Ja, ja, wir begleiten dich alle!"
"Meine teueren Freunde," sagte mit derselben Ruhe Alonzo, "ich danke euch herzlich für eure Teilnahme; ich weiß, ihr würdet fechten gleich Löwen gegen das Mordgesindel, aber ihr seid der Berge und Felsen, der kalten Luft der Höhen nicht gewohnt, ihr würdet bald unterliegen."
"Nimm uns mit, Don Alonzo," rief Christiano Montez, "wir kennen die Berge und haben schon lange ein Wort mit dem Raubgesindel dort oben zu reden. Wer ist dabei, Companeros?"
Wohl an dreißig junge Leute, wettergebräunte, eisenfeste Gestalten, drängten sich herzu und erklärten ihre Bereitwilligkeit, zur Befreiung der Sennorita mitzuwirken.
"Euer Anerbieten, ihr Freunde, nehme ich mit Dank an, denn nur Bergbewohner vermögen in jenen Schluchten mit den schlauen Wilden zu kämpfen. Ihr werdet euch ein Verdienst erwerben, wenn ihr die Hand erhebt, um eine Tochter des Landes diesen Schurken zu entreißen."
"Ja, wir sind dabei."
"Es ist unerhört, daß sie das gewagt haben."
"Sie müssen gezüchtigt werden."
"Das geht alle Montaneros an."
So durchkreuzten sich die Stimmen.
"So sattelt und laßt uns reiten."
Augenblicklich begaben sich die jungen Bergbewohner zu ihren Reittieren, um sich für die Fahrt auszurüsten.
Alonzo ging zur Stadt zurück und fand vor seiner Wohnung den Administrator und die Vaqueros zum Abreiten fertig.
Er ging in sein Zimmer, kleidete sich in seinen Jagdanzug, nahm Kugelbeutel und Pulverhorn an sich, steckte die Machete in den Gürtel, warf den Poncho über, nahm die Büchse und erschien so zwischen seinen Leuten.
Draußen fand er alle seine Freunde aus den Llanos und die älteren Hacienderos, die mit der innigsten Teilnahme die Schreckenskunde aufgenommen hatten.
Die jungen Leute waren traurig, daß sie nicht mitreiten sollten, aber sie waren einsichtsvoll genug, sich zu sagen, daß sie, die im Sattel und der Hitze der Llanos aufgewachsen waren, hier gegen die Jäger der Berge zurückstehen mußten.