"Wir werden tun, was wir können, Sennor."
Rasch wurde jetzt beschlossen, daß unter des alten Jägers und Alonzos Führung die dreißig besten Bergsteiger und Schützen in die Berge ziehen sollten, um die Gefangenen durch Lösegeld, mit List oder Gewalt zu befreien. Die Leute wurden ausgewählt und rasch alle Vorbereitungen für den gefährlichen Zug getroffen.
Bald darauf ritten zweiundreißig entschlossene Männer auf guten Maultieren die Schluchten hinan, es waren nur Montaneros.
Voran ritt Geronimo Corazon, der Jäger. Etwas hinter den anderen ritten Alonzo und Antonio, der Mestize -, der, als sie allein waren, stürmisch seiner Freude Ausdruck gegeben, den jugendlichen Retter seines Lebens wiedergefunden zu haben.
"Glaubt nicht, Don Alonzo, daß wir Euch damals verlassen hatten -, wir haben lange im Nebel gewartet auf Euch, mußten aber endlich aufbrechen, um nicht in die Hände der Wilden zu fallen. Unsere Tiere führten uns sicher durch den Nebel den furchtbaren Weg nach unten. Ob wir verfolgt wurden, weiß ich nicht, wir haben nichts davon bemerkt. Am dritten Tage trafen wir auf Leute, die nach Chinarinde suchten, und waren gerettet."
"Und Euer Gefährte?"
"O Don Fernando? Bis auf die Besorgnis um Euch war er stets guter Laune, aber Euer Schicksal ging ihm sehr nahe. Ich habe, seitdem wir uns trennten, nichts wieder von ihm vernommen. Er war eines großen Mannes Sohn und wird wohl jetzt selbst ein großer Mann sein."
Alonzo teilte dem Mestizen jetzt die Vorgänge mit, die ihn gehindert hatten, den Ort des Zusammentreffens aufzusuchen; staunend und teilnahmsvoll lauschte Antonio Minas.
"Ihr habt ein goldenes Herz, Don Alonzo, Ihr habt für Fremde Euer Leben rücksichtslos gewagt. Ach, ich fürchtete, Ihr seid den Wilden zum Opfer gefallen und habe manche Messe für Euch lesen lassen -, glaubt es, ich habe oft mit inniger Dankbarkeit Eurer gedacht. Umsomehr freue ich mich, Euch wohlbehalten und den Eurigen wiedergegeben zu sehen. Wunderbar aber ist nur, daß ich, der ich doch den Llanos nicht gar so fern wohne, nie von Euch etwas vernommen habe."
"Es sind Gründe vorhanden, Don Antonio, zu verschweigen, daß ich aus der Gefangenschaft bei den Aimaràs zurückkehrte, daher gab ich Euch vorher einen Wink, nicht davon zu sprechen, und bitte Euch, es auch jetzt nicht zu tun."
"Seid versichert, ich schweige. - Eine unbändige Freude aber sollte es mir bereiten, jetzt in Eurer Gesellschaft den Roten die Angst, die ich einst ausgestanden habe, vergelten zu können."
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Anstrengend für Mensch und Tier war das Emporsteigen in die höheren Regionen der Kordilleren. Gegen Abend des dritten Tages hatte die kleine Schar der Montaneros eine Höhe erreicht, zu der außer Antonio und Alonzo nur der Jäger Geronimo bisher gelangt war. Geronimo war bisher der Führer gewesen. Als er, nachdem sie ein kleines Tal durchritten, nach links abbiegen wollte, ritt Alonzo zu ihm und sagte: "Wir müssen unseren Weg genau in der entgegengesetzten Richtung nehmen, Don Geronimo, wenn wir das Dorf der Aimaràs erreichen wollen."
"Es gibt dort keinen Weg, Sennor."
"Seid versichert, es gibt einen solchen. Dort," er deutete nach links, "kommen wir ins Hochgebirge, doch nimmer zu den Aimaràs."
Geronimo sah ihn erstaunt an.
"Da wäre ich doch begierig."
"Seht Ihr dort, neben jenem Felszacken, die Gentiansträucher, Sennor?"
"Wohl."
"Dort ist der Weg zu den Aimaràdörfern."
"O -. Habt Ihr recht, Don Alonzo, so seid Ihr ein Zauberer, oder Ihr wißt mehr vom Hochgebirge als ich vermutete."
"Ich habe hier einen Teil meiner Jugendjahre zugebracht, Don Geronimo."
"Hier?" Das Erstaunen des Alten war nicht geringer nach diesen Worten des Jünglings, und mit einem scheuen Blicke sah er zu ihm auf.
"Wir sind bis jetzt unentdeckt von den Aimaràs hoch in die Berge gekommen, denn sie haben sich natürlich in aller Eile mit ihrem Raube zurückgezogen, fürchten auch keine Verfolgung, denn die Wege zu ihren Dörfern sind nur allein ihnen bekannt. Von jetzt ab aber beginnt die Gefahr, entdeckt zu werden, von jetzt ab sind Wachen aufgestellt, und Ihr werdet sehen, wie leicht die Schluchten zu verteidigen sind. Laßt unsere Gefährten lagern, doch dürfen keine Feuer angezündet werden, und kommt mit mir, ich will Euch zeigen, wo der Weg beginnt."
Es wurde der Befehl erteilt zu lagern, und die jungen kräftigen Burschen versorgten ihre Tiere, zogen ihren Mundvorrat hervor und ließen sich nieder; die Luft war mild und sie konnten die Feuer entbehren.
Alonzo winkte Antonio heran und mit diesem und Geronimo ging er zu den Gentianbüschen. Zu seinem Erstaunen erkannte der Jäger, daß hier ein Pfad in die Berge führte, gangbar für Maultiere, der sich bald erweiterte.
"Die Sonne sinkt," sagte Alonzo, "heute ist nichts mehr zu tun. Morgen wollen wir sehen. Nur List kann uns zum Ziele führen."
Sie begaben sich zu den anderen zurück und bald lagen alle bis auf zwei, die zu aller Vorsorge als Wachen aufgestellt waren, in tiefem Schlummer. Alonzo dachte noch eine Weile des armen Mädchens, das so rauh aus den Armen ihres Vaters gerissen war, und des jungen Eugenio. Vertrauensvoll sah er dem kommenden Tage entgegen.
Noch war es dunkel als er sich erhob und nach kurzer Verständigung mit den Wächtern der versteckten Schlucht zuschritt, in der er gleich darauf verschwand.
Die Schlucht erweiterte sich, schroff aber ragten rechts und links Felswände empor. Ein nur einem geübten Auge erkennbarer Felspfad führte zur Rechten nach oben. Diesen schritt Alonzo hinan, höher und höher.
Der Pfad war schmal, er gab nur Raum für ein Maultier. Rechts die senkrechte Wand, links der gähnende Abgrund.
Gewandt und sicher schritt Alonzo diesen Weg entlang. Endlich hielt er und betrachtete die Felswand zu seiner Rechten -, ging noch einige Schritte weiter, eine nach oben führende Rinne zeigte sich schattenhaft dem Auge. Kräftig und vorsichtig zugleich ging Alonzo den steilen Weg hinan.
Endlich war er oben. Zerrissene Felsen, Steinbrocken, Büsche zeigten sich seinem Auge -, schon begann die Nacht zu weichen.
Er ging noch einige hundert Schritte weiter und ließ sich dann in einem Busche nieder, der am Fuße eines Felsens emporschoß.
Hier harrte er geduldig.
Heller wurde es im Osten und die Sterne erbleichten; rötliche Strahlen, die am Himmelsbogen emporstiegen, verkündeten das Nahen des Tagesgestirnes. Schon schimmerten die Häupter der fernen Bergriesen in zauberhafter Glut - und Nebelschleier flatterten um sie her. Und nun stieg am klaren Horizonte der Sonnenball in feuriger Pracht empor und eine Flut von Licht ergoß sich über Felsen, Wälder und Berge, alles ringsum und weithin zu neuem Leben weckend.
Es war ein Anblick von so erhabener Schönheit, daß kein fühlendes Menschenherz sich dem Eindruck dieser feierlichen Pracht entziehen konnte.
Auch Alonzo empfand tief in der Seele, was in tausend Zungen von Himmel und Erde eindrucksvoll zu ihm redete. Doch dann erwachte der Krieger wieder in ihm, der ein Feindeslager beschlich und sein scharfes Auge durchforschte die Felsen, von wo aus man den Pfad und den Weg in die Schlucht entlang sehen konnte. Auf diesen ward in Zeiten, die Gefahr fürchten ließen, eine Wache ausgestellt. Das wußte Alonzo, dessen ungebändigter Freiheitstrieb als Knabe nichts unversucht gelassen hatte, die Geheimnisse seiner Peiniger zu erspähen.