"Wir wollen uns nach links wenden," brach endlich Techpo das Schweigen. "Dort oben, wo die Lebenseichen stehen, sah ich vor einigen Sonnen die Fährte eines starken Hirsches."
"Gut, laß uns nach ihm spüren."
Sie wandten ihre Tiere auf einem Pfad zu ihrer Linken, der nach der angedeuteten Richtung führte.
Nach einiger Zeit äußerte Techpo mit leiser Stimme: "Sage mir, Guati, hast du die Berge schon einmal sprechen hören?"
Der Indianer zuckte merklich zusammen und schaute in das ernste unbewegte Gesicht seines Begleiters, nicht ohne einen Ausdruck des Schreckens in den dunklen weitgeöffneten Augen.
"Was meinst du damit?"
"Als ich zuletzt oben in diesen Bergen war, gerade da, wo ich die Spur des Hirsches erblickte, wurde es am hellen Tage plötzlich dunkel um mich her; doch es war nicht Nebel wie ihn die Berge erzeugen, es war ein Dunst, der aus der Erde zu kommen schien. Und nun begannen die Berge zu singen, wild und schauerlich in tiefen, langgezogenen Tönen."
"Es war der Wind," brachte Guati mit bebender Stimme hervor.
"Nein, kein Lüftchen regte sich. Gleich dem Chiko (Jaguar), wenn er seine Stimme in der Nacht erhebt, heulten die Berge, und ich zitterte bis ins Herz hinein. Dann zog eine weiße Gestalt an mir vorüber - riesengroß - ich warf mich zu Boden und glaubte hinabgeschlungen zu werden in die Tiefe. So lag ich lange. Als ich aber den Blick wieder erhob - war es hell und die Sonne schien herab und ein lauer Wind umfächelte mich. - Sag mir, Guati, was dies alles war."
Erst nach längerer Zeit fragte der Indianer, der trotz der ihm angeborenen und anerzogenen Selbstbeherrschung zitterte: "Und dort in jenen Bergen war es?"
Er wies nach der Gegend, zu der sie ihren Weg nahmen.
"Dort. Ich wollte schon die Priester danach fragen, doch ich fürchtete, sie würden mich einen Lügner schelten. Vielleicht weißt du die Erscheinung zu deuten?"
"Ich weiß nichts. Du hast geträumt."
Stumpfsinnig blickte Guati dann vor sich hin, und schweigend ritten sie weiter. Als sie in eine düstere Schlucht einbiegen wollten, die nach oben führte, sagte der Indianer: "Ich habe Druck im Haupte, so daß ich den Weg nicht klar sehen kann - und die Glieder schmerzen - ich werde Rast machen in der Höhle dort, wo die Jäger oftmals lagern. Sieh nach dem Hirsche und wenn du zurückkommst, hole mich ab."
"Ist mein Bruder krank, so wäre es gut, er ginge ins Dorf zurück."
"Nein, der Kazike würde die Stirn runzeln und mich Weichling nennen."
"Wäre es nicht besser, ich bliebe bei meinem Bruder, wenn er Fieber hat?"
"Nein, wir müssen mit Beute zurückkehren, sonst lachen die Männer. Du bist ein großer Jäger und triffst den Hirsch im Sprung; mein Bruder möge jagen und zu mir zurückkommen."
"Wie du willst, Guati; die Götter mögen dich bald gesund werden lassen. Aber ich kann nicht sagen, wann dein Auge mich wiedersieht."
"Ich warte bis du kommst."
"Gut."
Sie waren vor der Höhle angelangt. Guati stieg ab, band sein Maultier an und ließ sich im Grase nieder.
Techpo nahm die Zügel des Saumtieres und sagte: "Die Unsichtbaren mögen dich schützen und mich mit Beute zurückkehren lassen."
Dann ritt er davon. Unfreundlich schaute ihm der Indianer nach und murmelte: "Wenn sie dich nur nicht in den Abgrund stürzen, du weißer Hund! Ich gehe nicht dahin, wo der Erdgott zornig seine Stimme erhebt."
Als Techpo, der sich gar nicht umblickte, durch einen Felsvorsprung dem Gesichtskreise des Indianers entzogen war, veränderte sich sein starres Gesicht; ein spöttisches Lächeln zog darüber hin, und leise sagte er vor sich hin: "Habe ich dich von mir gescheucht, abergläubischer Indio? Fürchtest du deine Götzen? Hahaha! Wie er zitterte!"
Ernster fuhr er fort: "Sie werden den weißen Mann ihren Göttern opfern wollen, darum haben sie mich fortgeschickt. Aber es soll nicht geschehen, wenn ich es zu verhindern vermag; Techpo, wie ihr mich nennt, kennt die Geheimnisse der Priester.
"Die Stunde ist da, wo ich zu den Leuten meiner Farbe zurückkehre, ich bin jetzt stark genug, um den Weg zu finden, und gewinne mir hoffentlich in dem Gefangenen einen Freund und Kampfgenossen. Sie haben mich heucheln gelehrt, die Unmenschen, haben mich gelehrt, nichts von dem zu verraten, was im Herzen vorgeht - ich habe sie alle getäuscht, selbst den schlauen Kaziken. Sie gaben mir die Büchse in die Hand, sie sollen es bereuen. Die geheimen Pfade durfte ich nie betreten - aber ich bin aller Künste dieser schleichenden roten Tiere Meister geworden, sie sollen es erfahren.
"Gelingt es mir, den Weißen zu retten, und ich hoffe es, so suchen wir gemeinsam den Weg in das Land der Christen; vermag ich es nicht, trete ich ihn allein an, ich habe drei Tage Vorsprung. Lebendig kehre ich in dieses Tal nicht zurück. Ich will nicht länger unter diesen furchtbaren Menschen weilen."
Langsam ritt er weiter, bald durch Schluchten, deren Wände himmelan ragten, bald zwischen düsteren Föhrenwälder einher.
Ein Bach kreuzte seinen Weg.
"Sie haben übermorgen ihr dem Kriegsgott geltendes Fest, folgen wird mir deshalb niemand, und vor Guati bin ich sicher, aber es ist besser, ich verberge meine Spur."
Er ritt in den untiefen Bach und folgte seinem Laufe eine große Strecke. Als flacher, kahler Felsboden seine Ufer bildete, verließ er ihn.
"Nun sucht mich," sagte er.
Er nahm jetzt nicht mehr den Weg höher in die Berge, sondern wählte mit großer Sicherheit Schluchten und Waldstrecken, die ihn in fast gleicher Höhe am Gebirge entlang führten.
Als der Mittag nahte, erreichte er ein kleines Tal, in dem zwischen Büschen saftiges Gras sproßte und ein seichter, klarer Wasserlauf seinen Weg suchte.
Techpo stieg ab, pflockte die Tiere mit den Lassos an und suchte sich, den Beutel mit Nahrungsmittel, den er mitführte, an sich nehmend, ein schattiges Plätzchen aus, um zu speisen und zu ruhen. Auch den Tieren war die Rast notwendig. Während sie grasten, sann der Knabe nach.
"Ich hoffe, sie haben den Gefangenen in dem Hause der Priester untergebracht, wie den, den die blutdürstenden Menschen vor zwei Jahren töteten; ich muß es noch heute abend erfahren. Der Weg ist weit durch die Berge, zur Ebene, ich weiß es wohl, aber ich habe jetzt eine Büchse und besitze die Nase eines Spürhundes; ich werde nicht wieder vor Hunger umsinken, wie es geschah, als ich früher entfloh. Die Berge sind jetzt meine Freunde und werden mich schützen.
"Aber," fuhr er traurig fort: "Wenn ich zu den Leuten meiner Farbe komme, wer wird mich noch kennen? Ich bin ein Wilder geworden, und spreche kaum noch die Muttersprache. O arme Mutter, süße Mutter - die Unmenschen haben dich erschlagen - dich und den Vater - oh - oh! Aber hütet euch - der Tag der Vergeltung naht!"
Er versank in Brüten. Dann aber erhob er sich. "Man muß von hier das Dorf sehen können," sagte er.
Mit wunderbarer Kraft und Gewandtheit erstieg er den schroffen Felsen, in dessen Schatten er gelagert hatte.
Als er nach kurzer Zeit dem Gipfel nahte, riß er Gras, das spärlich dort in Spalten wuchs, aus, und zwängte es in das Band, das sein Haar zusammenhielt.
"Sie haben gute Augen, man muß vorsichtig sein."
Techpo folgte dem Laufe des Baches eine große Strecke.
Behutsam kroch er jetzt vorwärts, langsam das von Grashalmen eingefaßte Haupt erhebend, bis er das Dorf fernhin vor sich sah. Er hatte sich demselben allmählich wieder genähert.