"Wir alle im Lande," fuhr Vivanda fort, "glaubten damals, daß keiner der Alcantaras dem Mörderstahl entgangen sei, aber es war nicht so; der Erstgeborene Don Pedros war am Leben geblieben und in Gefangenschaft geschleppt worden."
Unter den Anwesenden erregte diese Mitteilung maßloses Erstaunen und Aufsehen.
Was war das: Ein Sohn Pedro d'Alcantaras lebte?
Ein dumpfes Summen der Erregung ging durch die Versammlung.
"Hier ist Don Antonio de Minas, der Sohn des Alkalden von Albumarge, er wird euch erzählen, wie er den Sohn Don Pedros fand."
Und nun begann der Mestize mit einer feurigen Beredsamkeit zu berichten, wie er von den Aimaràs gefangen, in ihre unzulänglichen Schluchten geschleppt worden sei, um dort nach dem alten Aberglauben dieser Wilden als Opfer für ihre Götzen - in schaudervoller Weise zu enden. Wie er in höchster Todesnot, er und Don Fernando, ein Caballero aus dem Norden, der gleichfalls in die Hände dieser Wilden gefallen war, durch einen von diesen gefangen gehaltenen weißen Knaben, der kaum noch des Spanischen mächtig war, mit einer unvergleichlichen Hingebung gerettet wurden, und, fuhr er fort, auf Alonzo deutend, dort steht der Knabe, der uns rettete, als Mann, der einzige von allen Weißen, der die Schlupfwinkel der Aimaràs und uns zur Befreiung Donna Elviras führen konnte, vor dem der sterbende Kazike der Aimaràs bei seinen Göttern, vor unseren Ohren, schwor, daß er ihn vor zehn Jahren aus dem Tale der drei Quellen davongeführt habe. Die leidenschaftliche Erregung der Hörer wurde immer größer bei des Mestizen Worten.
Und nun berichteten die Herren Vivanda, wie Alonzo zu ihnen gekommen, und daß schon vor fünf Jahren der sterbende Gomez Zeugnis für seine Identität abgelegt habe.
"Hatten wir Gründe," schloß Sennor Vivanda, "den Namen d'Alcantara zu verbergen, der in einer Zeit politischer Zerrissenheit und gefährlichen Parteigetriebes für seinen Träger hätte verhängnisvoll werden könne, so sind diese Gründe jetzt hinweggefallen. Hier steht Alonzo d'Alcantara, ihr Freunde, der dadurch, daß er mit eigener großer Lebensgefahr den Sohn des mächtigen Ministers dieses Staates vom Tode errettete, sich dessen Dankbarkeit und Freundschaft erworben hat."
"Was Minister? Was de Valla?" schrie einer der großen Nachbarn der Vivandas - "wir sehen nur den Sohn Don Pedros vor uns, den Gott so wunderbar erhalten hat. Heil, Alonzo d'Alcantara, Heil ihm für immer!"
Die "Vivas, Don Alonzo! Salve sea d'Alcantara!" mit aller Begeisterung der Südländer donnernd gerufen, wollten kein Ende nehmen.
Man drängte sich um Alonzo, umarmte ihn, drückte ihm die Hände, zeigte ihm auf alle Weise, wie sehr man ihn um seiner selbst und seines Vaters willen schätzte und liebte.
"Und," schrie ein sonngebräunter Llanero, "brauchst du Arme, Don Alonzo, um deine Rechte zu erlangen, so rufe nur, wir steigen in den Sattel und greifen zur langen Lanze."
"Und wir Montaneros," schrie ein junger Mann aus den Bergen, "greifen für dich zur Büchse; du bist ein Capitano, dem wir gerne folgen."
"Salve, Don Alonzo d'Alcantara!" Ein Gefühl stolzer Freude zog durch Alonzos Herz bei diesen feurigen, hingebenden Beteuerungen, und daneben stieg eine tiefe Wehmut empor mit der Erinnerung an den Vater, den alle so sehr schätzten und liebten, der ihm ein leuchtendes Vorbild durchs Leben war, und - so schrecklich enden mußte. Es kostete ihn Mühe, seine stürmischen Empfindungen zu verbergen, doch gelang es ihm, und er dankte für so viel Liebe in einer Weise, die allen wohlgefiel.
Elvira aber saß am Fenster und Tränen des Glücks rannen über ihre Wangen. Der Cura aber, der seinen Zögling kannte, flüsterte ihm zu: "Danke Gott für diese Stunde, Kind, und bändige den Dämon in deiner Brust."
Auch die Farbigen draußen, die Don Alonzo alle liebten, die wettergebräunten Vaqueros nahmen teil an der allgemeinen Freude und ihre "Vivas" klangen nicht minder herzlich als die der Sennores. Weit in die Nacht hinein, unter Liederklang und Saitenspiel, dauerte das seltene Fest - das dem Staate einen d'Alcantara wiedergab.
Sechzehntes Kapitel.
Die beiden Chibchas
Don Sancho Tejada war in Naëva zurückgeblieben, auch nachdem die Jahrmarktsgäste sich zerstreut hatten, was infolge der Unheilsbotschaft aus den Bergen rascher geschehen war, als es sonst der Fall gewesen sein würde. Dennoch waren immer noch eine Menge Gäste, vorzugsweise Farbige, in dem Städtchen anwesend, und selbst der Fluß zeigte zahlreiche fremde Fahrzeuge, die stromauf und stromab gekommen waren.
Don Sancho Tejada war trotz des behaglichen Daseins, das er in der Posada, die er zum Aufenthalt gewählt hatte, führte, sehr verdrießlich. Seine Hoffnung, hier etwas von dem jungen Alcantara zu erfahren, war gründlich getäuscht worden, niemand wußte etwas von ihm, niemand glaubte, daß ein Sohn Don Pedros noch am Leben sei.
Erfahren aber hatte er hier, daß der Name d'Alcantara überall Begeisterung erweckte und - daß Don Carlos de Valla gründlich gehaßt werde. Noch setzte er seine Hoffnung auf die Gegend am Ocoa, um dort die Spur des Jünglings zu finden. Wenn ihm dies nicht gelang, konnte er nur seinen Weg ins Ausland nehmen, denn de Valla würde ihm die Täuschung nie verziehen haben. Aber wohin? In Peru und Bolivia kannte man ihn; aus Peru war er eben entwichen, als er in Bogotá auftauchte. Er mußte dann schon seinen Weg nach Brasilien oder über das Meer nehmen, um dem Zorne des Ministers zu entgehen. "Der Junge lebt am Ende gar nicht mehr," sagte er vor sich hin, "und ich laufe einem Schatten nach. Meine fünftausend Pesos wären in diesem Falle verloren und meine Zukunft ist so gut wie zerstört. Carlos hätte mir am Ende doch noch ein Pöstchen im Staatsdienste gegeben."
Unweit von ihm saß still und mürrisch, wie immer, sein indianischer Peon. Der Mann war pünktlich in seinem Dienste, aber seine Kenntnis der spanischen Sprache war gering, und dann hatte er die Eigenschaft, stets im Freien zu schlafen, was bei einem Rinderhirten, der sein ganzes Leben im Freien zugebracht hatte, freilich nicht auffallen konnte.
Doch war Tejada das nicht angenehm, denn oft war der Mann nicht da, wenn er ihn rief. Daß der Indianer wenig Spanisch verstand, war ihm ganz recht, obgleich er von dem stumpfsinnigen Burschen wohl kaum zu fürchten hatte, daß er ihn belausche.
Während er noch saß und über die nächsten Schritte nachdachte, die er zu tun habe, um den übernommenen Auftrag auszuführen, nahte die Straße her ein Reiter auf einem erschöpften Maultiere. Kleidung und Sattelzeug ließen auf einen Mann von Stand schließen; das Gesicht beschattete der breite Hutrand.
Der Mann hielt, ohne von seinem Reittier abzusteigen, vor der Posada, auf deren Veranda Sancho Tejada saß.
"He, Posadero!"
Alsbald erschien auch der Wirt.
"Habt Ihr Unterkunft für Mann und Tier?"
"Sehr wohl, Sennor. Beliebe es Euer Gnaden nur abzusteigen."
"Gut. Doch vor allem sagt mir, ist Sennor Martinez noch hier?"
Es war der Name eines bekannten reichen Gutsbesitzers der Llanos, den der Fremde nannte.
"O, Euer Gnaden, die Caballeros haben alle Naëva verlassen, als die Unglücksbotschaft aus den Bergen eintraf, auch Sennor Martinez - -"
"So habe ich den beschwerlichen Weg umsonst gemacht und ich hoffte ihn so sicher hier zu treffen."