"So wißt ihr wohl nichts von dem Unglück, das -?"
"Erzählt mir das später. Schafft etwas zu essen und zu trinken. Wenn mein Peon kommt, meldet es mir; sein Tier lahmte und blieb zurück. Rasch etwas zu essen, ich komme um vor Hunger."
Er stieg ab und folgte dem Wirt auf dessen Einladung ins Haus, während ein Peon sein Tier nach den Stallungen führte.
Tejada hatte den Fremden gleichgültig betrachtet, er schien einer der Hacienderos des Landes zu sein. Maxtla aber erkannte beim ersten Blick in ihm den Mann, der, von dem Alguacil verfolgt, ihren Weg in die Berge gekreuzt hatte, er erkannte den Mann, so flüchtig er ihn gesehen, und das vortreffliche, aber, wie es schien, hart mitgenommene Tier.
Tejada irrte sich, wenn er glaubte, daß sein auf kurze Zeit angeworbener Peon das Spanische nur mangelhaft verstände; er verstand es sehr gut, wenn er es auch unbehilflich sprach. Dabei hatte der Mann ein ungemein feines Gehör und hatte jedes Wort von dem vernommen, was der Alguacil über den Verfolgten und die Räuberinsel in einem der großen Flüsse äußerte. Daß der im Freien schlafende Mann oftmals nächtlich umherschlich und die Fremden, die zu Pferde oder auf dem Flusse gekommen waren, sorgfältig beobachtete, wußte sein Herr nicht.
Die Nacht war herabgesunken, die Leuchtkäfer begannen zu schwirren und Fledermäuse schwebten durch die Luft.
Tejada, der an dem eben angekommenen Fremden einen Gesellschafter für den langen Abend zu finden hoffte, erhob sich.
"Morgen mit Tagesanbruch reiten wir," rief er seinem Peon zu.
"Sehr wohl, Sennor."
Damit trat Sancho in das Haus. Er begrüßte den Fremden, in dem er einen gut aussehenden Mann von vielleicht vierzig Jahren erblickte, dessen hageres Gesicht etwas Lauerndes hatte, und drückte den Wunsch aus, sich seiner Gesellschaft erfreuen zu dürfen. Der fremde Caballero lehnte dies indessen höflich ab mit dem Bemerken, er sei von einem sehr langen Ritt so ermüdet, daß er notwendig des Schlafes bedürfe und ließ sich gleich darauf vom Wirt in ein nach hinten gelegenes kleines Zimmer führen mit dem Befehl, ihn nicht früher zu stören, als bis sein Peon einträfe.
Tejada ließ sich grimmig nieder und versuchte sich mit einer Flasche Wein, wie er an den Abhängen der Kordilleren wächst, zu trösten, seinen Gedankengang von vorher weiterspinnend.
Maxtla an der Schenke.
Maxtla verharrte noch geraume Zeit in eherner Ruhe, dann stand er auf und ging langsam dem Flusse zu. Er erreichte, leise dahinschleichend und schattenhaft in der Dunkelheit nur wahrnehmbar, von niemand beachtet oder auch nur bemerkt, die Stelle, die Flößen und Fahrzeugen als Landungsplatz diente; hier hielt er an. In einer Einbuchtung lagen mehrere größere Kähne, wie sie die Landleute zur Befrachtung ihrer Bodenerzeugnisse benützen, dazwischen leichtere Boote und indianische Canoas. Trotz der Dunkelheit erkannte Maxtla, der diesen kleinen Hafen, wie alles ringsum scharf beobachtet hatte, sofort ein neu angekommenes größeres Boot, das dicht am Ufer lag und mit einem Halbverdeck versehen war. Das Boot war leicht vertaut und so gelegt, daß es mit leichter Mühe in den Strom zu bringen war.
Der Indianer schritt geräuschlos weiter, seine dunklen Augen auf alles richtend, was in seinen Gesichtskreis kam.
Am Ufer erhoben sich einige luftige, aus Bambusstauden und Palmenblättern hergestellte Tienden, in denen vorwiegend Farbige verkehrten; mäßig beleuchtet ließen ihre offenen Räume doch einen Überblick über die darin befindlichen Gäste gewinnen. Es waren Peons, Feldarbeiter, kleine Grundbesitzer, vorwiegend indianischen Stammes, die hier vereint waren, obgleich Mulatten und Vollblutneger nicht fehlten. Auch die Inhaber dieser Geschäfte, die halb Kaufläden und Warenniederlage, halb Schenke waren, entstammten den Eingeborenen.
Maxtla überschaute, langsam vorbeischlendernd, den Schenkraum und gewahrte eine von den anderen getrennt sitzende Gesellschaft von sechs Personen, von denen drei Indianer waren, zu deren Seite ein Neger und zwei Zambos saßen. Maxtla zweifelte keinen Augenblick, daß er die Bemannung des Bootes, das seine besondere Aufmerksamkeit erregt hatte, vor sich habe. Er trat bescheiden ein und ließ sich in der Nähe des Tisches, an dem die Gesellschaft Platz genommen, nieder, bestellte ein Glas Limonade und zündete sich eine Zigarrito an.
Verstohlen musterte er die nur in Hemd und Beinkleid gekleideten Gesellen, deren Häupter breitrandige Strohhüte bedeckten, besonders seine Stammesgenossen.
Da wenigstens zwanzig seinesgleichen in dem Raum umhersaßen, nahm man an dem Tische, den Maxtla im Auge hatte, keine Notiz von ihm.
Die Leute dort wechselten wenige Worte und in spanischer Sprache. Hie und da fiel aber auch von den Lippen der schweigsamen Indios ein Wort in der Chibchasprache.
Einer der drei Indianer, der schweigsamste von allen, weckte Maxtlas besondere Aufmerksamkeit; es war ein Mann mit ernsten, düsteren Zügen, der um den bloßen Hals eine dünne Schnur mit einem kleinen, kaum bemerkbaren Zierat daran trug.
Als er zufällig einmal nach der Seite blickte, wo Maxtla saß, nahm dieser nachlässig seinen Hut ab, als ob ihm zu warm sei und strich mit der rechten Hand sein Haar langsam von rechts nach links hinüber.
Erkennbar funkelte es in den Augen des fremden Indianers auf und nach einiger Zeit bewegten sich die Finger seiner linken Hand über seine linke Augenbraue, worauf Maxtla sein Haupt wieder bedeckte.
Diese Zeichen waren so unverdächtiger Natur, daß sie selbst Beobachtern nicht hätten auffallen können, aber niemand beachtete sie überhaupt.
Maxtla trank seine Limonade aus und ging langsam hinaus.
Nach einiger Zeit folgte ihm der andere und ging nach dem Flusse zu.
Forschend sah er sich um.
Ein eigenartiges Zischen lenkte seine Aufmerksamkeit auf ein Lorbeergebüsch und schattenhaft gewahrte er dort eine Gestalt.
Er ging darauf zu und sprach leise ein Wort; es war der Chibchasprache entnommen, doch einer älteren Form dieser heute noch weit verbreiteten Sprache eines ehemals mächtigen Volkes.
Ein anderes Wort aus demselben Sprachstamm kam ihm antwortend entgegen.
Er trat nun ganz nahe zu Maxtla und sagte: "Sind die Kinder der Felsen allein?"
"Sie sind allein, kein fremdes Ohr ist in der Nähe."
Darauf schüttelten sie sich die Hände.
"Ich erkannte dich als einen Sohn der heiligen Erde," sagte Maxtla, "ich bin der Sohn Jolols und im Schatten der Berge mit den Inschriften der Väter aufgewachsen."
"Ich bin Huatl, der Sohn Loxitls, vom Fuße des Berges des Erdgeistes."
"Wir sind Brüder, Sohn Loxitls, das reine Blut der Chibchas rollt in unseren Adern."
"Wir sind Brüder."
"Wie kommt der Sohn der Felsen in das Boot auf den Flüssen der Steppe?"
"Der Sohn Loxitls schlug einen großen Caudillo, der ihn beleidigt hatte, und mußte flüchtig werden, er fand Zuflucht auf den Flüssen. Wie kommt Maxtla hierher?"
"Ich lebe schon lange in den Städten der Llanos, fern den heiligen Felsen und habe gefochten in den Kriegen des Landes. Ich bin hier als Peon im Dienste eines Bandido, der sich für einen Caballero ausgibt. Er ist ausgesandt, das Leben eines jungen Weißen zu nehmen, doch ich halte schützend die Hand über ihn, denn sein Vater, ein großer Capitano, war mein Freund."
"Maxtla wird ihn schützen, die Kinder der Felsen sind dankbar."