Die Brüder Vivanda, die jetzt, wo Alonzo durch seinen verwegenen Zug gegen die fast unangreifbaren Aimaràs der Held des Tages geworden war, die Zeit gekommen glaubten, das Dunkel, das über seiner Abkunft schwebte, zu lüften, und die viel tiefer in die Bewegungen der politischen Parteien eingeweiht und besser über die Vorgänge in Bogotá unterrichtet waren, als es bei ihrer Zurückgezogenheit den Anschein erweckte, hatten lange Schreiben an den Präsidenten Alonzos wegen gerichtet. Abschriften aller Beweismittel über dessen Abkunft, für den Fall diese überhaupt bezweifelt werden sollte, waren beigefügt, um Alonzos Ansprüche auf Namen und Abstammung zu begründen und zwar im Einverständnisse mit den einflußreichsten ihrer Nachbarn, die wie sie bereit waren, diese Ansprüche zu vertreten.
Man mußte harren, was von Bogotá aus erfolgen werde, und freilich Alonzo d'Alcantara, dessen Name bei der herrschenden Partei sehr verhaßt war, gut bewachen. Schritte hierfür waren, obgleich für den Augenblick nichts zu besorgen war, durch Don Vivanda, freilich ohne Wissen Alonzos, schon getan. Und der Fremde? Nun auch ihm gegenüber konnte man ja vorsichtig sein.
Derselben Meinung war übrigens des Cura Bruder, als er zurückkehrte, er äußerte aber: "Wenn Alonzo diesen Menschen für einen Bandido hält, wird er sich schon vor ihm hüten, dennoch wollen wir auf unseren werten Gast acht geben, die Zeiten sind wild und wir sind in Bogotá nicht gut angeschrieben. Wer weiß, ob man uns den Herrn nicht von dort geschickt hat, um ein wenig zu spionieren."
Trotz dieser Stimmung der beiden Brüder wurde Tejada mit einer rücksichtsvollen Höflichkeit von ihnen behandelt, die nichts zu wünschen übrig ließ.
Tejada selbst aber war sehr ernst und nachdenklich geworden, und der ihm erteilte Auftrag schien ihm immer schwieriger zu werden.
Tejada war scharfsinnig genug, zu erkennen, daß er in den Vivandas lebenskluge, mächtige und einflußreiche Leute vor sich hatte, und daß es auf der reich mit Arbeitern versehenen Hacienda nicht leicht sein werde, einen Streich gegen Alonzo zu führen, abgesehen davon, daß der Bursche ungewöhnliche Kraft und viel Mut besaß. Und wie hatte ihn der Mensch behandelt? Dieser Knabe, ihn, einen Caballero? Geradezu mit Verachtung.
Sein Leben auf das Spiel zu setzen, um sich in den Besitz der fünftausend Pesos zu bringen, dazu verspürte der tapfere Kriegsmann keine Neigung und auf den stupiden Peon, den er sich angeworben hatte, war ja kein Verlaß.
Dabei tauchte ihm von neuem der Gedanke auf, daß de Valla, der ja in den nächsten Tagen Kenntnis von dem erlangen mußte, was auf Otoño in Gegenwart vieler Menschen vor sich gegangen war, einen anderen beauftragen möchte, Alonzo hinwegzuräumen, und dann entging ihm der Preis. Daß jetzt de Valla mehr als je daran gelegen sein mußte, den Träger eines Namens, der, wie er sich überzeugt hatte, von weithin hallendem Klang war, zu beseitigen, war klar. Doch für den Augenblick war nichts von de Vallas Seite zu besorgen, und man mußte zusehen; es war ja nicht das erste Mal, daß er mit Erfolg eine Kugel aus dem Hinterhalt abgefeuert hatte. Er bewegte sich auf Otoño mit großer Sicherheit, schwatzte von seinen Kriegsabenteuern, von den Gefahren, die er an der Seite Pedro d'Alcantaras überstanden, benahm sich gegen Donna Elvira mit einer caballeromäßigen Höflichkeit und gegen den kühl höflichen Alonzo mit einer gönnerhaften Zärtlichkeit.
Donna Elvira fühlte gleich Alonzo einen instinktiven Widerwillen gegen den geschwätzigen Menschen mit der ihr unheimlichen Physiognomie. Tejada aber schien das alles nicht zu bemerken. Sein Peon, der der Dienerschaft zur Pflege übergeben war, fühlte sich augenscheinlich sehr wohl auf Otoño und zwar umsomehr, als sein Herr seine Dienste kaum in Anspruch nahm. Maxtla oder Juan schlenderte auf der ausgedehnten Besitzung umher, teilte seine Zigaritos mit den indianischen Arbeitern und horchte aufmerksam ihren Erzählungen von dem Sennorito, den alle sehr zu lieben schienen. Von seiner Kühnheit und Kraft berichteten sie Wunderdinge. Alle wußten auch, daß Don Alonzo der Sohn eines großen Capitanos sei und jetzt selbst ein großer Capitano werde. Aber sie wußten auch, daß böse Menschen ihm nach dem Leben strebten und hatten oftmals große Angst um ihn, wenn er in die Llanos ritt.
Ein nicht minder scharfes Auge wie auf die Umgebung hatte Maxtla auf Tejada und Alonzo und beobachtete sie in einer so unscheinbaren Weise, daß dies selbst Alonzo entging, der die Wachsamkeit des wilden Indianers besaß und außerdem von ihm vor drohender Gefahr gewarnt worden war.
Maxtla saß auf einem Hügel, der sich zwischen den Gebäuden der Hacienda und dem Wald, der den Fluß einfaßte, erhob und rauchte nach seiner Gewohnheit. Er hatte von hier einen weiten Rundblick. Sein Maultier hatte er angepflockt.
Während seine dunklen Augen umherschweiften, fiel ihm ein Reiter auf, der von Westen kam und am Waldsaume herritt. Der Mann unterschied sich kaum von den Landbewohnern oder den Vaqueros, nur etwas in seiner Haltung, das nur den Caballeros eigen war, fiel dem scharfsichtigen Indianer auf, der auch erkannte, daß der Reiter nicht zur Hacienda Otoño gehöre.
Maxtla sank in das Gras zurück und bewegte sich dann mit einer staunenswerten Geschicklichkeit mit großer Eile vorwärts, um den Weg des Reiters zu kreuzen.
An einer Stelle angelangt, wo dieser vorüber mußte, setzte er sich nachlässig nieder.
Er harrte nicht lange, so kam der Reiter heran. Maxtlas funkelnde Augen erweiterten sich, denn er erkannte sofort in dem nach Vaqueroart gekleideten Manne Don Ignacio Caldas, den er in Bogotá und im Hause de Vallas oft gesehen und als verrufenen Schurken kannte.
Der Reiter hielt sein Pferd an, als er Maxtla, der schläfrig dasaß, erblickte.
"Sage mir, Muchacho," rief er Maxtla zu, "bin ich eigentlich auf dem Wege nach Esmeralda, der Hacienda Sennor Reals?"
"Du kannst auch am Flusse her hingelangen, Sennor, doch ist es ein Umweg, die Straße führt dort oben."
"So bin ich falsch berichtet worden. Welche Hacienda ist dies?"
"Es ist meines Sennors Hacienda."
"Nun ja, und der heißt?"
"O, du kennst Sennor Vivanda nicht?"
"O, so ist das Otoño, wo vor einigen Tagen das große Fest gefeiert wurde, von dem die Leute überall reden."
"O ja, es war schön."
"Es galt Eurem jungen Sennor, ich hörte davon erzählen. Das muß ein mächtiger Herr sein."
"O ja."
Don Ignacios Auge war forschend auf das Gesicht des Indianers gerichtet und plötzlich sagte er: "Ich habe dich schon gesehen, Bursche!"
"O, das sehr möglich," entgegnete ruhig Maxtla, "ihm werden viel gesehen, noch in Naëva zu Jahrmarkt gewesen."
"Nein, ich habe dich in Bogotá gesehen."
"Das sehr gut," entgegnete lachend Maxtla, "er oft in Bogotá, dreimal, zweimal mit Rindern von Sennor, o, Juan dich nicht gesehen."
"Diese Roten haben so verwünscht ähnliche Gesichter," brummte Caldas vor sich hin, und ein Verdacht, der in ihm aufgetaucht war, schien gewichen zu sein.
"Wie weit habe ich noch bis Esmeralda?"
"O, drei Leguas."
"Das ist weit und dazu die Hitze. Hätte fast Lust Rast zu machen, schon um euren berühmten Sennorito einmal zu sehen, von dem alle wie von einem Wundertier reden; mein Brief kommt noch zeitig genug nach Esmeralda. Wie heißt er eigentlich jetzt?"