Neben ihm stand der Halbindianer, dessen bronzefarbene Züge seine Verwandtschaft mit den Ureingeborenen verrieten. Sein gutgeformtes Gesicht zeigte Klugheit und Energie, seine schlanke, in einen einfachen Jagdanzug gehüllte Gestalt sehnige Formen. Sein dunkles Auge ruhte mit Staunen auf Techpos jugendlichem Äußeren, seinem indianischen Putz.
Doch nur einen kurzen Augenblick dauerte diese gegenseitige Musterung der drei jungen Leute, die hier im rötlichen Schein des kommenden Tageslichts auf kahler Felshöhe standen.
"Quer vor uns ist ein oft begangener Pfad," flüsterte Techpo, "ich will hinunter und spähen, dort ist der Weg, der hinabführt, er ist leicht zu begehen. Lasse ich den Schrei des kreisenden Adlers hören, folgt mir."
Hierauf stieg er hinab und entschwand den Augen der beiden anderen.
Nun lauschten diese auf das Zeichen, das sie hinabrufen sollte.
Nach kurzer Zeit erklang der täuschend nachgeahmte helle Schrei des Raubvogels.
"Laßt mich vorangehen, Sennor," sagte der Mestize, "ich bin mit den Felsen vertrauter als Ihr."
"Geh, Amigo, ich bin todmüde."
Der Mestize stieg hinab und vorsichtig folgte ihm der Spanier.
Sie gelangten ohne große Mühe in die Tiefe der Schlucht, wo der Knabe sie erwartete.
"Vorsichtig, wir müssen dort schräg hinüber," er deutete auf eine Einbuchtung in der gegenüberliegenden Felswand. "Tretet nur auf Steine, sie sind schlau, die Bandidos."
Seinem Winke folgend und mit großer Vorsicht die Füße nur auf die durch die Schlucht verstreuten Steine setzend, gelangten sie hinüber, wo ihrer in einer Felsenrinne, die dem strömenden Regen als Abfluß dienen mußte, ein neuer Aufstieg harrte, der sich glücklicherweise minder schwierig und anstrengend erwies als der erschöpfte Spanier befürchtet hatte.
Nach kurzer Zeit waren sie oben und alle drei verschwanden im Dunkel des Waldes.
"Habt ihr noch Kräfte, eine Legua zurückzulegen?" richtete Techpo die Frage an den Spanier - "dann sind wir in voller Sicherheit und können ruhen."
"Vorwärts, Amigo - ich halte noch aus. Ein gütiges Geschick hat mir in dir" - er blickte mit dem Ausdruck freudiger Rührung in des Knaben Gesicht - "den rettenden Engel gesandt."
"Ja, Sennorito - Sennor spricht wahr - und das Geschick sei gepriesen. Antonio Minas wird nie vergessen, was Ihr für ihn getan habt."
Lächelnd reichte Techpo beiden die Hand und sagte einfach: "Ich bin glücklich, euch den Ladrones entrissen zu haben, was noch kommt, tragen wir gemeinsam."
Nach einer Stunde erreichten sie das stille, liebliche Tal, in dem die Maultiere Techpos weideten.
"Hier ruht aus, hier sind wir sicher - kein Indianer wagt es, dieser Höhle und diesen Felsen zu nahen, sie glauben sie von bösen Geistern bewohnt."
Er entnahm dem Beutel, den er mitgeführt hatte, gedörrtes Fleisch und Maiskuchen.
"Eßt, wenn ihr Hunger habt - ich muß schlafen, ich eile seit vielen Stunden durch die Berge."
Er suchte eine geschützte Stelle, wo das Gras hoch wuchs, wickelte sich in seinen Poncho und war gleich darauf eingeschlafen.
Don Fernando, der sich kaum noch auf den Füßen halten konnte, und der Mestize folgten, ohne auch nur die dargebotenen Speisen zu berühren, seinem Beispiele und suchten im Schlafe Erholung nach großer Anstrengung.
Viertes Kapitel.
Die Flucht
Der klare Quell, der durch das Tal rann und seinen Abfluß durch Felshöhlungen unterirdisch suchte, murmelte sein eintöniges Lied - der Wind rauschte leise über die Felsen hin und freundlich schien die Sonne vom unbedeckten Himmel in das lauschige Tal hernieder, das die Flüchtlinge barg. - Erst nach Stunden erhob der Knabe das Haupt, schaute sich um und stand dann auf. Sein Auge weilte mit inniger Teilnahme längere Zeit auf den Schläfern, die er dem Tod entrissen hatte, besonders auf dem hübschen Gesicht des Spaniers. Dann nahm er seine Büchse und erkletterte an ihm bekannter Stelle die Felswand nach Norden hin. Sich zwischen Gräsern niederkauernd, durchspähte er die an deren Fuß hinführende Straße, den einzigen Weg auf viele Meilen hin, der Zugang zu dem Tale der Aimaràs gewährte.
Sein Auge gewahrte nichts Lebendes.
Er ging zurück und nahm den Weg nach der Straße, den er am Abend vorher eingeschlagen hatte. Vorsichtig betrat er ihn und forschte auf dem Grunde nach Spuren.
Weder Pferd noch Mensch hatten den Weg seit gestern betreten.
Hufschlag berührte sein feines Ohr - der vom Dorfe herkam. Die Felsen mußten ihm den Herannahenden verborgen haben, als er nach dem Dorfe hinblickte.
Schnell erkletterte er den Fels und verbarg sich hinter Büschen, er machte die Büchse schußbereit und legte sie neben sich. Dann ergriff er einen Stein von der Größe einer starken Mannesfaust.
"Sie senden Botschaft an die Wächter," sagte er leise vor sich hin - "sie darf nicht ankommen oder wir sind verloren."
Er lauschte.
"Es ist nur ein Pferd."
In scharfer Gangart nahte ein Reiter, dem das lange Haar wild um das Haupt flatterte. Techpo erkannte ihn, es war einer der älteren Bewohner des Tales, ein Mensch von finsterer, grausamer Gemütsart.
Auf kaum zehn Schritt jagte der Mann an ihm vorbei. Der Knabe hob den sehnigen Arm und schleuderte den Stein von oben hernieder.
Am Hinterhaupt getroffen, sank der Mann vornüber und fiel dann schwerfällig aus dem Sattel.
Techpo sprang in den Hohlweg, die blitzende Machete in der Hand, und stand neben dem gestürzten Mann, von dessen Hinterhaupt Blut triefte.
Der Flüchtling lauschte, bewegungslos harrend, auf ein Zeichen des wiederkehrenden Bewußtseins. Der Mann war tot.
Einen Augenblick dachte Techpo daran, dem Toten Büchse und Kugelbeutel zu nehmen, doch unterließ er es.
"Sie müssen glauben, ein Stein, der sich vom Berge gelöst hat, habe ihn erschlagen."
Das wohlgeschulte Pferd des Indianers war in einiger Entfernung stehen geblieben. Techpo, dem das Tier bekannt war, lockte es mit Schmeichelworten leicht an sich. Vorsichtig tilgte er seine Fußspuren, schwang sich dann in den Sattel und ritt langsam weiter.
In der nächsten Schlucht zu seiner Rechten bog er ein.
Als er auf Felsboden gelangt war, stieg er ab und leitete das Tier über rauhe Pfade zu der Höhle und durch diese in das Tal, in dem er die Schläfer zurückgelassen hatte.
Der Knabe hob den Arm und schleuderte den Stein.
Er fand seine Gefährten munter. Verwundert blickten diese auf das indianisch gezäumte Pferd.
Techpo erklärte, wie er in dessen Besitz gekommen.
Die Hörer staunten über die stoische Ruhe, mit der er den aufregenden Vorfall berichtete.
"Wir können uns glücklich schätzen," sagte er dann, "die Botschaft an die Wächter von unserer Flucht ist zunächst verhindert. Hoffentlich gelingt es, ihre Augen blind zu machen, denn sie behüten den einzigen Pfad, der nach Osten hin einem Pferd den Durchgang erlaubt." Er zündete dann mit Hilfe von Stahl und Stein und trockenem Reisig Feuer an und bereitete aus Vorräten, die er für seine geplante Flucht sorgfältig in der Höhle aufgespeichert hielt, aus gedörrtem Fleisch und Maismehl das Frühstück in einem irdenen Topfe, den er mit sich geführt hatte. Es mundete den Flüchtlingen, die ausgeruht hatten, vortrefflich. Der junge Spanier, dem der düstere Ernst des über seine Jahre kräftigen Knaben aufgefallen war, der so wenig zu seinen jugendlichen Zügen paßte, wie ihm dessen Energie und Entschlossenheit Bewunderung abnötigten, fragte nach beendetem Mahle, das schweigend verzehrt ward: "Wie nenne ich dich, mein teurer Retter?"