»Da sehe man«, sprach ich betroffen und stillschweigend bei mir selbst, »da sehe man heutige Freundschaft und Dankbarkeit! Du gutwilliger Tropf machst dich, deinem Wirte das Leben zu retten, zum Mörder und läßt dich auf den Tod anklagen, und er, nicht zufrieden, dir weder Trost noch Hilfe zu verschaffen, lacht sich noch scheckig über deinen Untergang!«
Indem kommt ein Weib in Trauer mit einem kleinen Kinde auf dem Arm heulend und schreiend über das Theater gerannt und hinter ihr her noch eine alte Runkunkel im jämmerlichsten Aufzuge von der Welt und mit einem ebenso kläglichen Geschrei. Beide Ölzweige in Händen.
Sie stellen sich um das Bette, worauf die Leichen der Erschlagenen zugedeckt lagen, und erheben ein erbärmlich Geschrei und Wehklagen.
»Bei dem Mitleiden, das Bürger von Bürgern, bei dem Rechte, das Mensch von Menschen fordern darf«, riefen sie, »habt Barmherzigkeit mit diesen so schändlich ermordeten Jünglingen und schenkt uns armen betrübten Witwen den Trost der Rache! Zum wenigsten steht dieser unglücklichen Waise bei, die so beim Eintritt ins Leben aller Hilfe beraubt worden, und vergießt wieder das Blut dieses Mörders zur Aufrechterhaltung eurer heiligen Gesetze und zur Steuer aller bösen Zucht!«
Hierauf erhob sich der Älteste unter den Magistratspersonen und sprach folgendermaßen zum Volke:
»Allerdings liegt uns ob, dieses Verbrechen, welches der Missetäter selbst nicht zu leugnen vermag, auf das allerschärfste zu ahnden. Inzwischen können wir nicht dazu schreiten, bevor wir nicht hinter die Mitgenossen dieser Schandtat gekommen sind. Wahrscheinlich ist es nicht, daß ein einzelner Mensch allein drei so handfeste Jünglinge entleibt habe. Also die Wahrheit herauszubringen, müssen wir zur Tortur erkennen. Denn da der Bursche, welchen der Missetäter bei sich gehabt, heimlich davongelaufen, so tut es not, ihn selbst auf der Folter seine Gehilfen bekennen zu lassen, damit wir die ganze Räuberbande mit einmal vertilgen und fernerhin davor nicht in Furcht zu stehen brauchen!«
Unverzüglich werden mir, nach griechischem Brauch, Feuer, Rad und allerhand Geißeln vorgelegt.
Ich wollte im Leid vergehen, daß ich nicht einmal mit ganzer Haut sterben sollte.
Allein das Weib, das mit seinem Geheul alles weichherzig gemacht hatte, sprach:
»Bevor ihr, beste Bürger, diesen Straßenräuber, diesen Mörder meiner unglücklichen Kinder an das Kreuz schlagt, so gestattet mir, die Leichen der Erschlagenen aufzudecken, damit ihr, durch Betrachtung ihrer Gestalt und ihres Alters je mehr und mehr zu einem rechtmäßigen Unwillen gereizt, eure Strenge desto genauer nach der Größe der Missetat abmessen möget!«
Allgemeiner Beifall wird dem Vorschlage zugeklatscht, und der alte Ratsherr befiehlt mir auf der Stelle, selber mit eigener Hand die hingestellten Leichen aufzudecken.
Ich weigere mich mit aller Macht. Ich wollte schlechterdings nicht durch Vorzeigen der Erschlagenen die Anwesenden noch mehr gegen mich erbittern und aufbringen.
Allein auf des Magistrats Geheiß packen Stadtknechte mich an, strecken mir den Arm, mit dem ich nach der Bahre hin stand und den ich fest an dem Leibe angeklemmt hatte, gewaltsam aus und führen denselben trotz allem Widerstreben auf die Leichen.
Überwältigt, schicke ich mich endlich in die Not, fasse wider meinen Willen das Tuch und reiße es von den toten Körpern herunter.
Allmächtige Götter, welch ein Anblick! Welch ein Wunder! Welcher schleunige Wechsel meines Schicksals! Denn, war ich bereits ein Raub des Todes, war ich nicht mehr unter die Lebendigen zu zählen, so war auch im Nu alles, alles umgekehrt!
Worte fehlen mir, den Grund dieser sonderbaren Erscheinung zu erzählen.
Genug, jene Leichen der erschlagenen Jünglinge waren nichts anderes denn – drei aufgeblasene Schläuche, die verschiedentlich und, wie ich mich noch ganz wohl aus dem gestrigen Gefecht erinnern konnte, gerade da durchstochen waren, wo ich die Straßenräuber verwundet hatte.
Das Lachen, welches man bisher aus Schalkheit verbissen hatte, brach nunmehr frei und allgemein aus.
Die Freude war ohne Grenzen.
Die einen wünschten mir Glück, die andern hielten sich vor Lachen den Leib. Kurz, alle insgesamt gingen höchst vergnügt aus dem Theater heraus, das Gesicht immer auf dem Rücken nach mir gekehrt.
Aber ich – ich blieb von dem Augenblick an, da ich das Leichentuch berührt, dornensteif und eiskalt wie eine von den Statuen oder Säulen des Theaters, auf demselben Flecke dastehen.
Ich kam nicht eher wieder zu mir, bis mein Wirt Milo mich anfaßte und, alles meines Weigerns ungeachtet, mit freundlicher Gewalt mit sich fortriß. Die Tränen stürzten mir häufig an den Backen hinunter, und ich schluchzte aus allem Vermögen.
Milo vermied alle volkreichen Straßen mit mir und führte mich durch lauter entlegene Gäßchen nach Hause.
Unterwegs ließ er es an keinerlei Zuspruch ermangeln, um mich zu trösten. Aber das war nur umsonst. Ich zitterte am ganzen Leibe und konnte mich schlechterdings nicht zufriedengeben, das Gefühl der mir angetanen Schmach war zu tief in das Innere meiner Seele gedrungen.
Nach einer Weile kam der Magistrat selbst mit all seinen Insignien zu uns ins Haus und suchte mich durch folgende Worte zu besänftigen:
»Ihr Stand, Herr Lucius, und Ihre Familie sind uns allen sehr wohl bekannt, da sowohl hier als in der ganzen Provinz Ihr vornehmes Geschlecht höchst ausgebreitet ist. Was Ihnen also jetzt widerfahren und Sie so außerordentlich schmerzt, ist Ihnen sicherlich nicht zum Schimpf von uns angetan worden. Lassen Sie Ihre Betrübnis darüber fahren und vertreiben Sie den Gram aus Ihrem Herzen. Alles war nur ein Scherz zu Ehren unseres holdseligen Gottes des Lachens, dessen Fest wir bei jährlicher Wiederkehr jedesmal durch eine neue lustige Erfindung feiern. Es wird sich dieser Gott dafür allewege Ihnen dankbar erzeigen. Von nun an wird er Ihnen beständig seinen wohlgefälligen Schutz angedeihen lassen, jegliche Traurigkeit von Ihnen entfernen und stete Fröhlichkeit auf Ihre Stirn lagern. Unsere Stadt aber entbietet Ihnen, aus Erkenntlichkeit für die ihr erwiesene Gunst, ihre höchste Verehrung. Sie erklärt Sie zu ihrem Schutzpatron und will Ihnen eine ehrende Bildsäule errichten.«
Hierauf antwortete ich, ich erwidere Thessaliens hochlöblicher Hauptstadt den gebührensten Dank für die große Ehre, die sie mir anzutun gesonnen ist. Indessen, mein Rat wäre, sie behielte lieber für verdientere und größere Männer, als ich bin, Schutzpatronat und Bildsäulen auf.
Nach diesem glimpflichen Komplimente, das ich mit einem freundlichen Lächeln begleitete, stellte ich mich so vergnügt, als ich nur konnte, und als der Magistrat endlich wieder wegging, nahm ich von ihm mit der größten Höflichkeit und Ehrerbietung Abschied.
Unmittelbar darauf kam ein Bedienter herein und sagte zu mir:
»Ihre Frau Tante Byrrhenna läßt ihre Empfehlung machen und Sie erinnern, daß Sie sich gestern bei ihr auf heute zum Essen versagt hätten; Sie würden sich doch einstellen? Bald wäre es Zeit.«
Vor Furcht und Abscheu bei bloßer Erwähnung dieses Hauses zurückschaudernd, geb’ ich dem Kerl zur Antwort:
»Von Herzen gern wollte ich dem Befehl meiner Tante Gehorsam leisten, allein ich darf es mit gutem Gewissen nicht tun. Mein Wirt Milo hat mich bei des heutigen Tages obwaltender Gottheit beschworen, heute mich bei ihm zu versprechen, und er läßt mich nun ebensowenig weg, als er selbst von mir gehen würde. Ich bitte meine Tante also, mich für diesmal zu entschuldigen.«
Ich war noch nicht einmal hiermit fertig, als mich schon Milo bei der Hand faßte, das Badezeug uns nachzubringen befahl und mit mir in das nächste Bad ging.
Aller Augen meidend und dem Gelächter der Vorübergehenden, das ich selbst veranlaßt hatte, ausweichend, schlich ich ihm zur Seite mit verdecktem Gesicht.
Kein Wort weiß ich davon, wie ich gebadet, abgetrocknet worden und wieder nach Hause gekommen bin. So sehr außer aller Fassung war ich über alles Ansehen, Winken und Fingerzeigen!
Als ich endlich in der Geschwindigkeit Milos armseliges Mahl eingenommen, schützte ich Kopfweh vor, welches das beständige starke Weinen mir verursacht, und erhielt gar bald Erlaubnis, schlafen zu gehen.