Meine Bedenklichkeit jagte den Demochares ins Bockshorn, und damit dieser Bär nicht auch verrecken möchte, pflichtete er ohne weitere Umstände sogleich meinem Vorschlage bei und gestattete uns, den Käfig in seinem Hause hinzustellen, wo wir es nur für gut befänden.
›Wir wollen, mit Eurer Gnaden Wohlgenehmen, hier auch wohl des Nachts beim Käfig wachen‹ – fügt’ ich hinzu –, ›damit das arme Tier nach der ausgestandenen Hitze und Beschwerde der Reise auch mit aller Pünktlichkeit und, wie’s gewohnt ist, gefüttert und getränkt werde.‹ –
›Was das anlangt‹, gab er zur Antwort, ›so bedarf ich dazu Eurer Hilfe nicht. Fast mein gesamtes Gesinde weiß durch die lange Gewohnheit recht gut mit Bären umzugehen.‹
Darauf empfahlen wir uns und gingen fort, gingen zur Stadt hinaus und suchten uns ein Grabmahl, das etwas abseits von der Landstraße an einem entfernten verborgenen Orte gelegen.
Da öffneten wir vorläufig zur Aufbewahrung der künftigen Beute verschiedene Särge, die vor Fäulnis und Alter nur halb noch bedeckt waren und nichts als den Staub verwester Toter enthielten, und warteten’s ab, wie wir’s immer zu machen pflegen, daß es finster wurde und die Leute im ersten Schlafe tief begraben lagen.
Nun bricht unsere ganze Schar wohlbewaffnet auf, und nicht anders, als hätte sie sich zur Plünderung verbürgt, stellt sie sich vor Demochares’ Tür ein.
Thrasileon seinerseits paßt gleichfalls der Nacht raubgünstigen Augenblick ab, kriecht aus dem Käfig heraus, ermordet erst die neben ihm schlafenden Wächter alle miteinander, dann auch den Pförtner, und nun macht er die Haustür auf, läßt uns flugs hinein und zeigt uns die Kammer, worin er abends einen großen Vorrat Silbergeschirr hatte verwahren sehen.
Ohne lange zu fackeln, legen wir insgesamt Hand an, und mit Gewalt hineingebrochen!
Dies getan, befehle ich einem jeden von uns, so viel Gold und Silber aufzusacken, als er nur fortbringen könnte, es in aller Geschwindigkeit in der Behausung unserer biederen Toten zu verbergen, dann spornstreichs wieder zurückzukehren und wiederum also zu tun. Ich wollte mich unterdessen, zum gemeinschaftlichen Besten, vor die Tür pflanzen und bis zu ihrer Wiederkunft genau alles beobachten, was von außen vorging, derweilen Thrasileon, immer noch als Bär, im Hause umginge und das Gesinde fürchten machte, wenn etwa jemand davon erwachen sollte, denn wer würde nicht, wenn er auch noch so tapfer und unerschrocken wäre, bei dem Anblicke eines so ungeheuren Tieres, zumal bei Nacht, sogleich davonlaufen und mit großem Herzklopfen sich hinter Schloß und Riegel in seiner Kammer verschanzen?
Trotz dieser herrlichen Anordnungen mußte doch alles unglücklich ablaufen!
Derweilen ich ganz ängstlich die Zurückkunft unserer Kameraden erwarte, stiehlt sich einer von den Bedienten im Hause, den das Gelärm aufgeweckt hatte, leise auf den Zehen aus seinem Winkel heraus, sieht den Bären los und frei im Hause herumspazieren und schleicht dann wieder stillschweigend zurück und erzählt’s den andern.
Den Augenblick ist der ganze Flur mit dem Hausgesinde angefüllt, und Fackeln, Laternen, Lampen, Wachs- und Talgkerzen, und was es sonst noch für Arten von Nachtlichtern gibt, erhellen die Finsternis.
Jedweder ist bewaffnet, der mit einem Knüppel, der mit einem Spieß, der mit einem blanken Degen, und so besetzen sie die Türen. Die großen zottigen Doggen werden auch herbeigerufen und an den ergrimmten Bär angehetzt.
Da war keine Zeit zu verlieren; ehe noch das Getümmel überhandnahm, war ich zum Hause hinaus und versteckte mich hinter der Tür, von wo aus ich den Thrasileon sich bis zum Erstaunen gegen die Hunde wehren sah. Obgleich er jetzt am äußersten Rande des Lebens stand, so war er doch nimmer seiner selbst, noch unser, noch seiner vormaligen Tapferkeit uneingedenk, sondern kämpfte noch frisch, da er dem Tode gleichsam schon im Rachen steckte; ja, er spielte selbst seine Rolle, die er freiwillig übernommen hatte, bis auf seinen letzten Atemzug fort. Bald floh er, bald stellte er sich wieder zur Wehr und verteilte, auf den Hinterfüßen sitzend, mit den Vordertatzen rechts und links Maulschellen.
Endlich erwischte er sogar durch eine jähe Wendung aus dem Hause hinaus, ohne sich jedoch durch die Flucht retten zu können, wenn er gleich im Freien war. Denn alle Hunde von der Gasse, die nicht in geringer Anzahl waren, stießen mit lautem Gebell und voller Wut zu denen, die dicht hinter ihm her zum Hause herauskamen; und da sah ich das traurigste, jämmerlichste Schauspiel, unsern armen Thrasileon unter unzähligen Hunden und von ihren wütenden Bissen zerfleischt und zerfetzt.
Ich konnte den Anblick nicht ertragen, er zerriß mir die Seele. Ich mischte mich unter den Haufen des zusammenlaufenden Volks und suchte meinem armen Kameraden zu helfen, so gut ich wenigstens ohne mich selbst zu verraten, konnte, indem ich dem vornehmsten Anhetzer zuschrie:
›Nun wahrlich, das ist auch unverantwortlich, daß wir ein so großes kostbares Tier von den Hunden zerreißen lassen.‹
Doch der Pfiff war umsonst. Es kam ein großer starker Kerl aus dem Hause herausgestürzt, der rannte den Bären mit einem Spieße gleich mitten durch die Brust; seinem Beispiel folgten mehrere. Nun hatte ein jeder Mut, alle Furcht verschwand; wer nur ein Mordgewehr erhaschen konnte, der kam und stach mit drauflos.
Thrasileon bezeigte sich inzwischen immerfort als die Krone unsres Ordens. Eher war sein der Unsterblichkeit würdiger Geist erschöpft, denn seine Geduld; nicht durch Geschrei, nicht einmal durch Gewimmer brach er seinen getanen Eid der Treue. Von Hunden zerrissen, von Schwertern und Spießen zerhackt und zerstochen, besiegte er als Held mit unüberwindlicher Standhaftigkeit seine Schmerzen. Er grunzte und brummte gleich einem Bär bis auf den allerletzten Augenblick, da er sein junges Leben dem Schicksal für ewig unerlöschlichen Ruh zurückgab.
Furcht und Schrecken, so er den Leuten eingejagt, waren so groß, daß es hell wurde und auch noch ein großer Teil des Tages verging, ehe sich jemand getraute, das tot am Boden hingestreckte Tier auch nur mit einem Finger anzurühren! Endlich faßte noch ein Fleischer Mut, wagte sich heran, schlitzte ihm den Bauch auf und schälte somit, zur allgemeinen Verwunderung, den unvergleichlichen Räuber heraus.
Also büßten wir den Thrasileon auch ein! Indessen mit ihm ist uns nicht zugleich auch sein Ruhm verloren.
Wir andern packten schleunigst alles zusammen, was die Toten uns treu und redlich verwahrt hatten, und damit fort über die platäische Grenze.
Unterwegs überdachten wir bei uns selbst, wie natürlicherweise keine Redlichkeit mehr unter den Lebendigen zu finden sei, da sie sich so, aus Abscheu vor dem Betrug, in die Gräber zu den Verstorbenen geflüchtet.
Und so bringen wir euch denn nach drei Mann Verlust, ganz abgemattet vom Tragen und Marschieren, diesen unsern Raub zu, den ihr da sehet!«
Nach Endigung dieses Gesprächs gossen die Räuber alle aus goldenen Bechern lautern Wein zum Gedächtnis ihrer verlorenen Kameraden aus, sangen auch verschiedene Liederchen zum Lobe ihres Schutzpatrons, des Mars, und legten sich dann ein wenig schlafen.
Derweilen hatte uns die Alte Gerste ohne Maß und zur Genüge vorgeschüttet. Mein Pferd, das den ganzen Überfluß allein auf sich nahm, stand sich sehr wohl dabei, allein ich, der die Gerste nur allenfalls in Graupensuppen leiden mag, ich stöberte bald den Winkel aus, wo die Überbleibsel der Mahlzeit waren hingetan worden, und machte da meinen vor langem Hunger fast verstarrten und aufeinandergewachsenen Kinnbacken gar weidlich zu tun.
Als es weiterhinkam in die Nacht, wurden die Räuber wieder wach und brachen auf. Sie rüsteten sich verschiedentlich; die einen bewaffneten sich mit Gewehr, die andern verkleideten sich als Gespenster. So zogen sie aus.
Weder hierdurch noch durch Schlaf ließ ich mich in meinem Eßeifer stören. Als Lucius war ich stets mit ein, zwei Broten zufrieden und stand vom Tische auf. Jetzt, bei der bodenlosen Tiefe meines Bauches, fühlt’ ich den dritten Korb voll noch nicht, und der helle Tag überraschte mich noch bei voller Arbeit.