›Bin ich besser daran?‹ nimmt die andere das Wort. ›Der Meinige ist gar ein Krüppel, ganz krumm zusammen von der Gicht gezogen und so an allen Gliedern gelähmt, daß mir leider wenig Freude bei ihm zuteil wird. Beständig muß ich seine versteinerten Finger reiben und die ekelhaftesten, scheußlichsten Umschläge machen und meine zarten Hände dabei gänzlich verwahrlosen; statt seiner geliebkosten Frau bin ich seine geplagte Krankenwärterin. Aber, Schwester, du magst nun dies alles so demütig (um dir’s frei herauszusagen, wie ich’s eigentlich meine), so sklavisch erdulden, wie es dir nur immer beliebt! Ich für mein Teil werde das nie. Ich kann gegen diese schreiende Ungerechtigkeit, so übel angebrachte Gunst des Glückes nicht einen Augenblick gleichgültig bleiben. Erinnerst du dich, wie hoffärtig und aufgeblasen sie sich gegen uns betrug? Ihrer Prahlerei nahm gar kein Ende, ihr Stolz ward je länger, je mehr unausstehlich. Merktest du, wie sie nur erst nach großem Kampfe uns von ihren grenzenlosen Reichtümern diese Kleinigkeiten hinwarf und gleich auch unserer Gegenwart überdrüssig war und uns von ihren Winden wieder fortbringen ließ? Aber ich will nicht Weib heißen, will jetzt zum letzen Male Odem geschöpft haben oder sie muß mir dafür büßen! Sie muß hinab, muß mir zum Boden hinab von ihrer stolzen Höhe! Ich hoffe doch, wie’s wohl billig wäre, daß unsere Schmach dich ebenso rührt als mich. So laß uns denn gemeinschaftlich auf einen kräftigen Anschlag bedacht sein! Laß uns fürs erste gleich diese ihre Geschenke weder unseren Eltern noch sonst jemand zeigen. Stellen wir uns lieber, als ob wir gar nichts von ihr gehört hätten! Genug, daß wir selbst mehr erfahren haben, als wir wünschen! Was sollen wir noch hingehen, um ihr Glück bei unseren Eltern und bei allen Völkern auszuposaunen. Nein, ein unbekanntes Glück ist kein Glück. Sie soll es schon inne werden, daß wir nicht ihre Mägde, sondern ihre älteren Schwestern sind. So wollen wir uns denn vor der Hand nur wieder zu unseren Männern, in unsere freilich ärmliche, doch bescheidene Wohnung begeben. Aber da bei Muße, nach den reiflichsten Überlegungen, laß uns die untrüglichsten Maßregeln ergreifen, und damit ausgerüstet, endlich ihren Stolz zu demütigen, wieder hierherkehren.‹
Dieser böse Anschlag findet bei den zwei Elenden mehr Beifall denn irgendein guter, den ihnen die Dankbarkeit hätte eingeben mögen.
Sie verbergen also alle die kostbaren Geschenke, die sie von ihrer Schwester empfangen haben; zerraufen das Haar, zerkratzen sich ihr schändliches Angesicht, und durch ihr neues Gewinsel und Wehklagen reißen sie ihren armen Eltern alle Wunden des Herzens von neuem auf.
Bald, so verlassen sie diese auch wieder und eilen heim, sich ganz wie wahnsinnig in ihrer verstellten Betrübnis gebärdend, und brüten allda ruchlose, ja endlich meuchelmörderische Anschläge gegen ihre arme, unschuldige Schwester.
Mittlerweile warnt der unbekannte Gemahl Psychen in nächtlichen Gesprächen wiederum.
›Das Schicksal‹, sagt er, ›ist gegen dich in feindlichem Anzuge, o Psyche! Sieh dich da aufs sorgsamste vor; sonst kommt es mit seiner Wut über dich. Wie tückische Wölfe kommen deine Schwestern wieder, dich zu beschleichen. Meine Gestalt auszuspähen, wollen sie dich bereden. Du weißt aber, was ich gesagt habe: hast du mich einmal gesehen, so siehst du mich nimmermehr wieder! Kommt also die verruchte Brut mit ihrem giftigen Anschlage zu dir (und kommen wird sie gewiß, das weiß ich!), so ist es das Beste für dich, sie gar nicht zu sprechen; aber kannst du dies aus zu großer Zärtlichkeit nicht über dich erlangen, so mußt du, ich bitte dich, wenigstens nicht das Geringste, was mich betrifft, weder von ihnen anhören noch selber reden. Denn du wirst mir, o Psyche! Ein Kind gebären, das schon unter deinem Herzen lebt und das, je nachdem du mein Geheimnis bewahrst oder entweihst, unsterblich oder sterblich sein wird.‹
Bei dieser Nachricht schoß Psychen vor Freuden das Blut ins Angesicht. Das Herz wallte ihr auf. Sie genoß in dem Augenblick all den Trost, all die Wollust, all die Glorie, die nur der Gedanke, Mutter eines Götterkindes zu werden, geben kann.
Von nun an zählt sie ängstlich jeden kommenden Tag, jeden verstrichenen Monat, und ganz neu in ihrem Zustande, denkt sie mit Bewunderung dem unmerklichen Anwachse, vom Unfühlbaren bis zur drückenden Bürde, nach.
Allein schon hatten ihre Schwestern, diese höllischen, Natterngift atmenden Furien, sich eingeschifft und steuerten in gottloser Eile nach ihr hin.
Jetzt ermahnt, voller banger Besorgnis, Psychens nächtlicher Gemahl sie abermals.
›Der letzte, der entscheidende Tag. Psyche, ist nun da‹, sagt er. ›Deine abscheulichen Schwestern sind schon angekommen und halten den Dolch gezückt, welcher dir das Herz durchbohren soll. Ach, erbarme dich deiner selbst und rette mich, dich und dieses unschuldige Kind vom bevorstehenden Verderben! Bewahre mein Geheimnis heilig und unverbrüchlich, und wenn die ruchlosen Weiber (denn sie, die dir tödlichen Haß geschworen und alle Bande des Blutes mit Füßen treten, darf ich nicht mehr deine Schwestern nennen), wenn sie gleich Sirenen sich über den Felsen erheben und mit Unglückstimmen jeglichen Widerhall wecken, so höre sie nicht, so sieh sie nicht!‹
Ihm antwortete Psyche weinend und schluchzend:
›Du hast, soviel ich weiß, bisher meine Verschwiegenheit immer bewährt gefunden und fürchtest, ich möchte jetzt geschwätzig sein? Setze mehr Vertrauen in mich und befiehl getrost dem Zephyr, daß er mir wieder gehorche. Da mir der Anblick deiner heiligen Person versagt ist, so laß mich wenigstens meine Schwestern sehen! Laß mich sie sehen, ich bitte dich bei diesen duftenden, deinen Nacken umfliegenden Locken, bei deinen runden, zarten, den meinen so ähnlichen Wangen, bei deinem von unaussprechlichem Feuer glühenden Herzen. Sie sollen mich nicht verführen. Was sollte ich zu meinem Verderben nach deinem Anblick streben? Wird doch bald dies Kind mich dein Angesicht in dem seinigen erblicken lassen. Damit verstatte mir unbesorgt der Schwestern frohe Umarmung und ergötze mit Freuden die Seele deiner dir gänzlich geweihten, dich innigst liebenden Psyche, der in deinen Armen auch die tiefste Finsternis Licht ist.‹
Von diesen Worten, die mit den zärtlichsten Umarmungen begleitet waren, bezaubert; trocknete Psychens Gemahl ihre Tränen mit seinen Locken ab, gab ihrer Bitte nach und schied, noch ehe es tagte, wieder von ihr.
Sobald das verborgene Schwesternpaar gelandet, verläßt es in der größten Geschwindigkeit den Strand, denkt nicht daran, Vater und Mutter zu besuchen, sondern eilt geraden Weges auf den bekannten Felsen hin und stürzt sich mit tollkühner Wut, ohne den Wind zu erwarten, der sie hinabtrüge, sogleich von da in die Tiefe hinunter.
Jedoch Zephyr, des empfangenen Befehls wohlgedenk, fängt sie, wiewohl höchst ungern, auf und läßt sie in wallenden Lüften auf den Boden hernieder.
Nun beflügeln sie ihre Schritte zum Palaste hinein, umarmen ihre Beute, nennen sie unter tausend gleich falschen Beteuerungen ihre geliebte Schwester und verbergen unter gleißnerischen Worten und Mienen die höllischen Absichten ihres Herzens.
›Ei‹, sagen sie, ›wie in der Zeit sich unsere kleine Psyche verändert hat! Sieh, will sie nicht gar schon Mutter werden?! Du glaubst nicht, liebe Psyche, welche Freude das für uns ist. Das ist ein Glück für unsere ganze Familie. Oh, eine Seligkeit muß das sein, so ein Götterkind miterziehen zu helfen, das, wie natürlich, der Schönheit seiner Eltern entsprechen und so ein leibhafter kleiner Liebesgott werden muß!‹ Durch solche Schmeichelei und verstellte Zärtlichkeit stehlen sie Psychen unvermerkt das Herz.
Sie heißt sie gleich von der Reise auf weichen Polstern ausruhen, führt sie dann ins Bad und bewirtet sie in dem herrlichsten Saale aufs stattlichste an ihrer Göttertafel.
Sie winkt, und die lieblichste Zither läßt sich hören. Sie winkt wieder, da erhebt sich das sanfte Geflüster wechselnder Flöten. Sie winkt noch einmal, und unzählige Stimmen beginnen den volltönigsten Chor.