Sie gab ihm zur Antwort; sie könne sich nicht sogleich erklären, sie müsse die Sache erst reiflicher überlegen.
Mittlerweile erschien der Schatten des grausam ermordeten Tlepolem dem tugendhaften Weibe im Traume. Von Blut und Totenblässe war sein Antlitz entstellt.
›Du meine Gattin!‹ sprach er zu ihr, ›wenn mein Andenken deinem Herzen wert bleibt, wird nie ein anderer dich so nennen dürfen! Doch, hat mein unglückseliger Tod den Bund unserer Liebe zerrissen, so lebe glücklich mit jeglichem andern, nur dem gottlosen Thrasyll gib deine Hand nicht! Er sei ewig von deinem Gespräche, von deinem Gastmahle, von deinem Bette verbannt! Fliehe seine blutige Rechte! Hochzeit mit ihm wäre Totschlag; denn er ist mein Mörder! Die Wunden, die deine Tränen gebadet, waren nicht alle mir vom Eber geschlagen! Ach! Die Lanze Thrasylls allein hat uns voneinander getrennt!‹
Er fügte alles übrige hinzu und entdeckte die Schandtat ganz umständlich. Charite, die, unter Betrübnis das Gesicht ins Kissen gedrückt, eingeschlummert war und selbst im Schlafe noch ihre schönen Wangen mit Tränen netzte, fuhr wie von einem Geschütz erweckt aus dem rastlosen Schlummer auf; erneute ihre Klagen, wimmerte und schluchzte, zerriß ihr Gewand und zerkratzte mit wütenden Händen ihre schönen Arme. Dennoch vertraute sie niemandem die nächtliche Erscheinung, noch tat sie, als ob ihr irgend etwas von der Ermordung ihres Mannes entdeckt worden; aber stillschweigend beschloß sie bei sich; erst den verhaßten Mörder zu strafen und dann sich selbst vom jammervollen Leben zu befreien.
Siehe, der schamlose Freier stellte sich wieder ein und lag ihr ohne Unterlaß mit seinem Antrage, wovon ihre Seele nichts wissen mochte, in den Ohren. Was sagte er nicht, ihr Herz mit Liebe zu bestechen; wir bat und fluchte er nicht in weichem Tone!
Sie verlarvte sich mit List, hörte ihn leutselig an und gab ihm zur Antwort: ›Noch schwebt deines Freundes, meines teuren Gemahls, reizendes Bild mir beständig vor Augen, noch schallt in meinen Ohren der liebliche Klang seiner Stimme, noch lebt mein Tlepolem ganz in diesem Herzen. Soll denn seine betrübte Witwe nicht wenigstens das von den Gesetzen bestimmte Trauerjahr abwarten? Meinerseits erfordert dies der Wohlsand ebensosehr als deinerseits die Sorge für deine Sicherheit; denn durch unsere zu frühe Verbindung würde mein seliger Mann im Grabe zum Unwillen gereizt werden und du, Thrasyll, würdest es dann mit dem Leben entgelten müssen.‹
Thrasyll, dem nichts von Arglist schwant, begnügte sich mit dieser erhaltenen Hoffnung noch nicht, sondern fuhr ohne Schonung fort, Charitens Widerstand bei jeder Gelegenheit mit der süßesten Beredsamkeit zu bestürmen.
Endlich stellt sie sich überwunden und spricht zu ihm: ›Alles, was ich tun kann, geliebter Thrasyll, ist dies einzige, daß wir bis zur Vollendung des Trauerjahres in geheimer Vertraulichkeit miteinander leben. Allein es muß aufs sorgfältigste vor unseren Freunden verborgen bleiben!‹
Dieser trügerische Vorschlag verfing. Thrasyll willigte mit tausend Freuden in das geheime Verständnis und hätte gewünscht, es wäre schon Nacht, damit nichts mehr seinem Glücke entgegenstände.
›So komm denn, Geliebter‹, sprach Charite, ›komm mit einbrechender Nacht leise an meine Haustüre, aber wohlvermummt und sonder Begleitung! Du darfst einmal nur pfeifen; meine Amme soll dein mit dem Ohre am Schlüsselloch warten. Sie wird unverzüglich dich einlassen und im Dunkeln nach meiner Kammer führen, daß dich niemand sieht.‹
Thrasyll war entzückt über diese Anordnung der Hochzeit, die, ach! so schrecklich ablaufen sollte. Kein Verdacht kam ihm in den Sinn. Von Ungeduld gequält, seufzt er nur über des Tages trägen Gang, über den tödlichen Verzug der Nacht.
Als endlich seinem sehnlichen Verlangen die Sonne untergegangen war und die nächtlichen Schatten herrschten, da vermummt er sich, wie es ihn Charite geheißen, stellt an der Tür sich ein, folgt der Amme, die bereits auf ihn mit Schadenfreude lauschte, stillschweigend mit leisem Tritte nach und schlüpft, voll der süßesten Hoffnung, in Charitens Schlafgemach.
Den Befehlen ihrer Gebieterin treu, tut die Alte mit ihm sehr freundlich und bindet ihm auf, ihre Frau sei nur noch bei ihrem kranken Vater, sie werde aber augenblicklich kommen. Unterdessen reicht sie ihm ein Glas Wein nach dem andern, worin sie heimlich einen Schlaftrunk gemischt hatte. Thrasyll, nichts Böses gewärtig, trinkt, seine Ungeduld zu täuschen, so hastig hinein, daß er nur allzubald im härtesten Schlafe begraben, jeglicher Schmach bloßgegeben, daliegt. Nun wird Charite gerufen.
In wilder Hitze stürzt sie herbei, beugt mit männlichem Trotz über den Meuchelmörder sich hin und ruft: ›Ha! Bist du da, du treuer Gefährte meines Gemahls! Du trefflicher Weidmann! Du zärtlicher Liebhaber! Ist das die Faust, die das Blut meines Herzens verspritzt hat? Sind das die Augen, denen ich zu meinem Unglück gefallen habe? Ha, sie ahnen schon die Finsternis, die sie hinfort decken wird, und kommen der Strafe zuvor! Ruhe sanft! Träume süß! Kein Dolch, kein Schwert soll dich verletzen! Fern sei’s von mir, durch ähnliche Todesart dich meinem Gemahle gleichzustellen! Leben sollst du, aber deine Augen sollen ersterben, und nur im Schlafe sollst du künftighin sehen. Ich will machen, daß du den Tod deines Feindes glückseliger preisen sollst als dein Leben. Wenigstens wirst du das Licht nicht wieder schauen und nur an fremder Hand hinfort dich leiten. Du wirst Chariten nicht umfangen, nicht mir ihr der hochzeitlichen Freuden genießen! Wirst weder die Ruhe des Todes noch die Wonne des Lebens schmecken! Als ein elendes Scheusal wirst du zwischen Himmel und Hölle herwanken, wirst lange nach der Hand forschen, die dich des Gesichts beraubt hat, und zum Übermaß des Unglücks nicht einmal wissen, über wen du zu klagen hast, unterdessen ich am Grabe meines Tlepolem stehen und das Blut deiner Augen ausgießen werde, ein Opfer seinem seligen Geiste! Aber was zögere ich? Was verweile ich deine Strafe einen Augenblick, in dem du dich vielleicht noch glücklich in meinen Armen träumst? So erwache denn aus den Finsternissen des Schlafs zu anderen ewigen Finsternissen! Schlage deine leeren Augenlider auf, erkenne meine Rache, fühle dein Unglück und überdenke dein Elend! Siehe, also gefallen deine Augen einem tugendhaften Weibe, also erleuchte die Hochzeitsfackeln diene Brautkammer! Merk auf! Die Furien sind Brautführerinnen, Blindheit ist dein Geleite, und ewig nagendes Gewissen breitet dir die Arme entgegen!‹
Nachdem sie also in wütender Begeisterung dem Thrasyll sein künftiges Schicksal geweissagt, nimmt sie eine Haarnadel vom Kopfe uns sticht ihm die Augen aus.
Schier entfliegen diesem Schlaf und Rausch vor dem unbekannten Schmerz.
Sie aber reißt das Schwert aus der Scheide, womit ihr Tlepolem sich zu umgürten pflegte, und mit dem Vorsatz einer schrecklichen Tat läuft sie wild mitten durch die Stadt, geradenwegs zu dem Grabmahle ihres Gemahls hin.
Wir anderen und das ganze Volk lassen die Häuser leerstehen, und in vollem Lauf hinter ihr her, und einer den andern ermahnend, das Schwert ihr aus den Händen zu winden!
Neben der Gruft des Tlepolem blieb sie stehen, mit dem blanken Schwerte einen jeglichen von sich abhaltend, und wie sie sah, daß alles um sie weine und lamentiere, sprach sie:
›Trocknet diese unzeitigen Tränen, stellet diese Klagen ein; sie entehren meinen Mut! Ich habe mich gerächt an dem Meuchelmörder meines Gemahls, habe meinen schandbaren Freier gestraft. Jetzt ist es Zeit, daß dies Schwert mir den Weg zu meinem Tlepolem bahne!‹
Als sie darauf alle nach der Ordnung erzählt, was ihr Gemahl ihr im Traume entdeckt hatte und wie sie den Thrasyll durch List gefangen, stieß sie sich das Eisen durch die rechte Brust, sankt zur Erde und hauchte, sich in ihrem Blute wälzend und unvernehmliche Worte stammelnd, ihre männliche, edle Seele aus.