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»Wie sollte ich ihn nicht kennen?« versetzte darauf die galante Bäckerin, »seine Frau Arete ist mit mir in die Schule gegangen.«

»Oh, so werden Sie auch schon«, sprach jene wieder, »die ganze Geschichte mit dem Philesietärus wissen!«

»Nein! Nicht ein Wort davon«, war die Antwort; »aber ich möchte sie wohl wissen. Erzählt’ sie doch von Anfang an, Mütterchen, ich bitte Euch!«

Darauf hub das alte Plappermaul folgendermaßen zu erzählen an:

»Dieser hochgelahrte Herr Barbarus hatte vor kurzem eine notwendige Reise zu tun. Er wußte sein geliebtes Weib unterdessen nicht besser aufzuheben, als daß er ihr einen von seinen Leuten, mit Namen Mirmex, den er immer vorzüglich treu befunden, zum Keuschheitswächter bestellte. Ewiges Gefängnis in Ketten und Banden und bei Wasser und Brot war das geringste, was er demselben androhte, falls er seine Frau von einer Mannsperson auch nur mit dem Finger im Vorbeigehen würde berühren lassen. Er schwur bei allen Göttern, das Leben würde er ihm nehmen, und das auf die jämmerlichste, schmählichste Art! Nach solcher ausdrücklichen Installation trat er seine Reise ruhigen Herzens an; desto unruhiger aber hinterließ er den armen Mirmex. Dieser lebte in tausend Ängsten. Keinen Schritt durfte Arete ohne ihn tun, wie der Schatten verfolgte er sie; zu Hause beim Wollspinnen wich er ihr nicht von der Seite. Ging sie abends, was nicht zu ändern war, in das Bad, so saß er ihr immer auf den Hacken und haftete wie eine Klette an einem Zipfel ihres Kleides. So gewissenhaft versah er sein aufgetragenes Ehrenwächteramt.

Inzwischen war die Schönheit der Frau Ratsherrin zu groß, als daß sie der wachsamen Aufmerksamkeit des Philesietärus lange hätte verborgen bleiben können, und alles, was er von ebendieser gepriesenen strengen Zucht und Hut hörte, das reizte und feuerte ihn nur um so mehr an, alles in der Welt zu wagen und zu dulden, um ein solches Kleinod zu erobern.

Er kannte die Zerbrechlichkeit menschlicher Tugend und wußte, wie vor dem Golde alle Hindernisse weichen und selbst diamantene Tore aufspringen. Er trat also einmal den Mirmex an, als er ihn eben allein fand, entdeckte ihm seine Liebe zur Arete und flehte aufs rührendste, seiner Qual Linderung zu verschaffen. Er könnte sein Leben nicht länger ertragen, wo er nicht bald der Erfüllung seiner Wünsche teilhaftig würde; er müsse sterben. Was er fordere, sei auch nur eine Kleinigkeit; Mirmex habe nicht das geringste dabei zu befürchten; er wolle nur abends, unterm Schutze und Schleier der Finsternis, sich allein bei ihm in das Haus einschleichen, keine sterbliche Seele solle ihn sehen, und nicht länger als einen Augenblick wolle er sich aufhalten.

Bei diesen und ähnlichen flehentlichen Bitten ließ es der feien Zeisig aber nicht bewenden, sondern er fügte noch ein Überredungsmittel hinzu, das da fähiger als alles war, die mauerfeste Treue des Kerles in ihren tiefsten Grund zu erschüttern. Er hielt ihm nämlich die Hand hin und ließ ihm daraus den Glanz schöner neugeprägter Goldstücke ins Gesicht blitzen, wovon zwanzig der Dame, ihm aber zehn mit tausend Freuden bestimmt wären.

Entsetzen ergriff den Mirmex bei dieser Zumutung des Philesietärus, und er lief, als ob ihm der Kopf brenne, mit verschlossenen Ohren davon. Allein der Sonnenglanz des Goldes hatte ihn einmal verblendet und verfolgte ihn überall! So weit er auch auf seinen Beinen davon rannte, so fest er sich auch dagegen in dem Hause verschanzte, dennoch stach er ihm beständig in die Augen. Immer schwebten die blanken Goldstücke vor seinem Gesichte, immer überrechnete er den reichen Gewinn. Mit sich selbst in unaufhörlichem Zwiste, schwankte sein Sinn wie ein Nachen bald hier-, bald dorthin. Ein Gedanke, ein Vorsatz verdrängte, verjage den andern. Jetzt hielt ihn Treue, jetzt zog ihn Habsucht; dann schreckte ihn Marter, dann lockte ihn Wollust. Bis zuletzt Gold über Todesfurcht obsiegte; denn selbst die Zeit verminderte die schnöde Begierde nach dem schimmernden Metall nicht! Nicht Tag, nicht Nacht fand der Arme Ruhe. Trotz der abscheulichsten Drohungen seines Herrn war er seiner selbst nicht mehr Meister; es ängstigte, es drängte, es zwängte ihn innerlich. Er mußte endlich Scham und Verzug verbannen und seiner Gebieterin den Antrag ihres Liebhabers hinterbringen.

Dame Arete fiel nicht ab von dem angeborenen Leichtsinn unseres Geschlechtes. Sofort war der Handel mit ihr geschlossen und ihre Keuschheit für das verfluchte Gold verpfändet.

Niemand war nun froher als Mirmex, war es gleich auf Kosten seiner Treue. Er konnte den Augenblick nicht erwarten, das Geld, das er zu seinem Unglücke gesehen hatte, nur zu berühren, geschweige in Empfang zu nehmen. Er flog zum Philesietärus, berichtete ihm voller Freuden, wie sein geäußertes Verlangen mit großer Mühe bewerkstelligt sei, forderte auf der Stelle seine versprochene Belohnung und sah sich denn endlich so glücklich, goldene Münzen in einer Hand zu halten, die kaum noch eherne berührt hatte.

Jetzt war es stockfinstere Nacht; jetzt nimmt er den wackeren Liebhaber, das Haupt wohlverhüllt, allein mit sich nach Hause und führt ihn in Aretes Schlafzimmer.

Kaum hatten sich beide Liebenden voller Entzücken umarmt und jeglicher Hülle entledigt ihrer Liebe mit aller Inbrunst lechzender Begier die ersten Opfer gebracht, als wider Vermuten der Herr Gemahl, der die Nacht durch gereist war, vor dem Hause anlangt. Er klopft, er ruft, niemand will hören; er wird ungeduldig, schmeißt mit Steinen wider die Haustür; es kommt noch niemand. Nun kriegt er Schwanzfedern und schimpft und flucht auf den Mirmex und bedroht denselben mit der schrecklichsten Strafe, wo er nicht unverzüglich aufmache.

Der arme Teufel, über die unglückliche Überraschung in der äußersten Verwirrung, wußte vor Bestürzung seinem Leibe keinen Rat. Doch besann er sich noch so viel, daß er sagte, er haben den Hausschlüssel mit so großer Sorgfalt verwahrt, daß er ihn nun in der Dunkelheit selbst nicht wieder zu finden wisse. Unterdessen hörte Philesietärus den Lärm, warf hurtig sein Kleid über und, ohne an seine Schuhe zu denken, barfuß zur Kammer hinaus!

Nun kam mein Mirmex gemach mit dem Hausschlüssel angestochen und schloß auf. Donnernd und wetternd stürzte sein Herr zum Hause herein und gleich in die Schlafkammer; Philesietärus aber husch! hinter ihm weg und unbemerkt und glücklich davon!

Solchergestalt von seiner Angst gerettet, schloß Mirmex ruhig sein Haus wieder ab und legte sich schlafen, sonder Ahnung von dem, was ihm andern Tags bevorstand. Denn als der Herr Ratsherr Barbarus morgens beim Erwachen die Schuhe entdeckte, welche der flüchtende Philesietärus unter dem Bette hatte stehenlassen, verspürte er mit einmal ein so gewaltiges Jucken vor der Stirn, daß er flugs aus den Umständen die Wahrheit mutmaßte. Indessen fanden Sr. Wohlweisen nicht für gut, Dero Herzeleid weder Ihre Frau Gemahlin noch jemand von den Leuten merken zu lassen, sondern Sie versteckten die Schuhe heimlich unter Ihrem ratsherrlichen Kleide und stellten Befehl, den Mirmex sogleich zu binden und nach dem Gerichtsplatz zu schleppen. In hoher eigener Person begaben Sie sich auch dahin, stillschweigend Ihren Gram unter Ihrer Würde verbergend; aber fest überzeugt, durch Hervorweisung der Schuhe Dero Ehrenschänder genau auf die Spur zu kommen.

Aber was geschah?

Eben wie Barbarus, das Gesicht von verbissener Wut aufgeschwollen, mit dem geschlossenen Mirmex in Prozession die Straße hinanzog und dieser, weil sein Gewissen ihn verklagte, durch Heulen und Lamentieren alle Leute vergeblichem Mitleid bewegte, so kam Philesietärus in Geschäften die Straße herunter und ihnen gerade entgegen. Der erste Blick erinnerte ihn sogleich an seine gestriges Vergessen; er zweifelte nicht, daß dies die Folgen davon seien. Augenblicklich rüstet er sich mit seiner ganzen Entschlossenheit und Gegenwart des Geistes und, wie ein Pfeil unter die Sklaven, und dem Mirmex mit großem Geschrei und nicht anders, als ob er ihn auf der Stelle erdrosseln wolle zu Halse!