Eine Nacht, da der Mond nicht schien und es pechfinster war und regnete, als ob es mit Mulden gösse, hatte sich ein Herr aus der Nachbarschaft von seinem Wege verirrt, und weil er ganz durchnäßt und sein Pferd nicht weiter konnte, war er in unsern Garten eingekehrt. Aus Erkenntlichkeit für die gute Aufnahmen, die er in unsrer freilich schlechten, bei solchen Umständen aber, zum Schutz und zur Ruhe herrlichen Wohnung gefunden hatte, versprach er bei seiner Abreise seinem gütigen Wirte, ihm etwas Korn und Öl, auch zwei Faß Wein zu schenken; er solle nur nach seinem Gute kommen und es abholen. Mein Herr vergaß das nicht; sobald er abkommen konnte, nahm er einen Sack und ein paar leere Schläuche, schwang sich auf meinen bloßen Rücken, und damit den angewiesenen Gütern zu, die sechzig Stadien von uns lagen. Als wir hinauskamen, empfing meinen Herrn sein vornehmer Gastfreund sehr höflich und bewirtete ihn aufs vortrefflichste; indem sie aber noch zusammen beim Weine guter Dinge waren, ereignete sich ein großes Wunder.
Eines von den vielen Hühnern auf dem Hofe lief mit lautem Gackern umher, als ob es legen wollte. Der Herr sah es und rief: »Seh’ man nur einmal die treffliche Leghenne. Tag für Tag ein Ei! Alleweile wird sie wieder legen! He, Junge! Setzte doch gleich dort in den Winkel den Korb hin, in den die Hühner legen!«
Ungeachtet der Junge sofort den Befehl ins Werk richtete, so ging die Henne doch nicht auf das gewöhnliche Nest, sondern brachte dicht vor den Füßen ihres Herrn, zu seiner nicht geringen Bestürzung, eine frühzeitige Geburt hervor. Ihr denkt etwa ein Windei? – Nein! Ein völliges, förmliches Küchlein, mit Flügeln, Füßen, Augen, das sogleich piepend hinter der Mutter herlief.
Hierbei blieb es nicht. Noch ein weit größeres Wunder geschah, worüber jedermann mit allem Rechte in Schrecken geriet.
Gerade unterm Tische, worauf noch die Überbleibsel der Mahlzeit standen, tat sich die Erde auf und sprang ein reicher Blutquell hervor, der die Tafel über und über bespritzte. Und in dem nämlichen Augenblick, da alle dornsteif vor Erstaunen dastanden und voller Furcht die göttliche Vorbedeutung anstaunten, kam jemand aus dem Weinkeller herbeigestürzt und meldete, daß aller Wein, den man vorlängst auf Fässer gezogen, darin nicht anders gäre und brause, als ob Feuer darunter wäre. Auch wurden zu derselben Zeit verschiedene Wiesel gesehen, die eine tote Schlange mit den Zähnen herumzerrten, und ein lebendiger Laubfrosch, der dem Schäferhunde aus dem Halse gesprungen kam, worauf der Widder, der daneben gestanden, über den Hund herfiel und denselben mit einem Biß erwürgte.
Herr und Gesinde waren über diese so vielerlei außerordentlichen Ereignisse ganz weg; sie wußten nicht, was sie zuletzt oder zuerst tun sollten, den Zorn der himmlischen Mächte zu besänftigen.
Noch war alles in der ersten schrecklichen Erwartung irgendeines großen Unglücks, als ein Bedienter vollen Laufs ankam und dem Gutsherrn die Nachricht hinterbrachte, daß soeben alle seine Kinder jämmerlich ermordet worden wären. Der gute Mann hatte ihrer drei gehabt, schon erwachsene Söhne, die er mit solcher Sorgfalt unterrichtet und erzogen, daß sie ihm Freude und bei aller Welt die größte Ehre machten. Diese Jünglinge waren Herzensfreunde mit dem Inhaber eines kleinen Gütchens, an welches zum Unglück die schönen weitläufigen Besitzungen eines jungen reichen Edelmanns anstießen. Des Adels seiner Ahnen sich überhebend, hatte dieser Junker sich einen so großen Anhang in der Stadt gemacht, daß er tun konnte, was er wollte. Er griff also um sich wie ein Feind und plünderte anfangs die Armut seines ohnmächtigen Nachbars, erwürgte dessen Schafe, trieb die Ochsen weg und trat die Saat nieder, bevor sie reif war. Bald, so war er nicht mehr mit der Ernte zufrieden, er wollte auch das Land haben. Er zettelte einen Grenzprozeß an und nahm das Gut in Anspruch.
Hatte bis dahin der arme Nachbar zu allem stillgeschwiegen, so konnte er doch nicht zugeben, daß man ihn gänzlich auszöge und von seinen väterlichen Grundstücken nicht so viel übrig ließe, wohin er sein Haupt legen konnte. Bei so bedrängten Umständen berief er alle seine Freunde zusammen, um Zeugen abzugeben bei Anzeigung seiner Grenze. Unter diesen waren nun vorzüglich jene drei Jünglinge, die ihres Freundes Unglück wie ihr eigenes empfanden.
Der hochadlige Tollkopf ließ durch die Gegenwart so vieler Bürger sich weder furchtsam noch irremachen; nicht ein Haarbreit wollt’ er von seinen Anmaßungen ablassen. Dabei mäßigte er sich nicht einmal in Worten. Als jene mit der äußersten Höflichkeit seine Ansprüche widerlegten und sich geflissentlichst in acht nahmen, sein Ungestüm auf keinerlei Weise zu reizen, fuhr er jählings auf und tat, seiner Gewohnheit nach, einen großen Schwur, bei seiner teuren Ahnen und seiner eigenen Seligkeit: Er schere sich viel um alle die Hundsfötter von Mittelsmänner! Seine Leute sollten den Augenblick, ihnen zum Trotz, den ruppigen Nachbar bei den Ohren von dem Gute herunterwerfen!
Die schimpfliche Rede verdroß jedermann, und ganz frei versetzte darauf einer der Jünglinge: Er solle nur auf seinen Reichtümern nicht zu sicher fußen und gar zu sehr den unumschränkten Tyrannen spielen! Noch gäbe es für die Armen bei den Gesetzen Schutz und Gerechtigkeit gegen den Übermut der Reichen.
Das hieß Öl ins Feuer gegossen! Schwefel in die Glut geworfen! Die Furie gepeitscht!
Der wilde Mensch schnappte über in seiner Wut. Er rief: An den Galgen sollten sie alle mitsamt ihren Gesetzen gehen! Und gab Befehl, die Hirten und Bauernhunde auf sie zu hetzen; böse, große Bestien, die sich vom Aase auf dem Felde nährten und recht dazu abgerichtet waren, jeden Vorübergehenden zu zausen und zu beißen.
Sobald die abscheulichen Bestien durch das Hetz! Hetz! der Hirten angefeuert und angereizt sind, stürzen sie in wildem Grimme und mit fürchterlichem Gebelle auf die armen Leute ein und beißen, zerfleischen und zerreißen sie aufs allererbärmlichste. Wehe! wen sie gleich fassen, aber weher noch, wen sie erst nach langem Verfolgen erhaschen!
In dem Gewirre und Getümmel der Flucht geriet der jüngste der drei Brüder ins Gedränge, stieß an einen Stein und stürzte zu Boden. Gleich hatten die Hunde den Unglücklichen unter und fingen an, ihn in Stücke zu zerreißen. Sein Sterbegeschrei hörend, erkennen die Brüder die Gefahr; sie eilen zu Hilfe herbei. Sie wickeln die Röcke um ihre Linke und suchen durch Steinwürfe ihren Bruder zu verteidigen und die Hunde von ihm abzujagen; allein umsonst! Es war der grausamen Blutgier derselben kein Einhalt zu tun; der Arme verschied unter ihren Bissen! Seine letzten Worte waren: »Brüder, laßt an dem reichen Bösewicht euern jüngeren Bruder nicht ungerächt!«
Nun drangen die beiden übrigen Brüder blindlings, nicht aus Verzweiflung, sondern aus Verachtung ihres Lebens auf den reichen Wüterich ein, und schleuderten in der äußersten Bosheit Steine über Steine nach ihm. Allein ohne allen Anstand schwang dieser seine Lanze und warf sie dem einen mitten durch die Brust. Augenblicklich verließ den Getroffenen das Leben, dennoch fiel er nicht zur Erde; denn das Eisen der Lanze fuhr, nachdem es Brust und Rücken durchbohrt, so tief in den Boden, daß der schwingende Schaft den Leichnam in der Schwebe emporhielt.
Nach dem andern Bruder schleuderte ein großer, starker Kerl von Bedienten, der seinem Herrn zu Hilfe kam, einen gewichtigen Stein; doch, anstatt den rechten Arm zu zerschmettern, auf den er gerichtet, streifte der mattgeworfene Wurf nur die äußersten Fingerspitzen desselben und fiel unschädlich zur Erde. Der Jüngling bediente sich listig dieses glücklichen Zufalls zur Rache; er tat, als sei von dem Wurfe ihm die Hand zerquetscht, und sprach also zum grausamen Reichen: