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Herbert W. Franke

Der grüne Komet

1

Start

Die Sehnsucht nach den Sternen ist uralt. Heute nähert sich der große Traum vom Weltraum allmählich der Wirklichkeit: Als gigantisches Ziel liegt er vor uns. Ihm gegenüber ist der Mensch nur ein Nichts.

Kies knirschte leise unter seinen Füßen, als er sich mit festen Schritten der Rakete näherte. In ihrem Startgerüst steckte sie wie ein Tier in einem Käfig – wie ein Tier, das bereit ist, auszubrechen.

Er empfand die Wirklichkeit als einen unverständlichen Traum. Das Startgelände mit den Betonarealen, den darin verwurzelten Stahlaufbauten, den Rohrzuleitungen, dem Fühlerwerk der Antennen, den platten Labordächern. Den Kranz der Berge mit ihren ungezähmten Zacken und mit den verfließenden Pastelltönen, die die sinkende Sonne darübergoß. Den Mittelpunkt: die Spindel der Rakete.

Jenseits der Sperre standen die anderen – der Chefkonstrukteur, der ihm die letzten Anweisungen gegeben hatte; die Ingenieure, die ihn auf die Schulter geschlagen und ihm die Hand geschüttelt hatten; sein Freund, der ihm die Nachricht zugeflüstert hatte, die ihn jetzt so sehr verwirrte.

Er war stolz gewesen. Jetzt war er enttäuscht, aber auch wieder befreit – jetzt fiel es ihm leichter, sicher seinen Weg zu gehen. Er erreichte die Rakete, stieg die Leiter hinauf, kroch in die Kabine, schloß die Luke.

Nun war er allein, hermetisch von der Außenwelt abgeschlossen. Er zog die Riemen fest an, die ihm während des Fluges Halt geben würden. Rings um ihn herum blinkte ein Gewirr von Drähten, Meßzellen, Kontrollskalen, Lämpchen. Vor ihm wölbte sich der Fernsehschirm, der ihm den Blick nach außen erschloß. Die Welt, die er darin sah, war farblos – weiß, grau, schwarz.

Einen Augenblick war alles starr in ihm, dann drückte er auf die Signaltaste.

Zuerst geschah nichts. Aber schon im nächsten Moment kippte das Bild vor ihm hintenüber, und die Kraft, die ihn auf seine gepolsterte Unterlage drückte, wuchs, stieg – ungeheuer rasch. Er beobachtete sich selbst.

Noch halte ich es aus, dachte er, aber es darf nicht ärger werden!

Es wurde ärger, und dennoch trug er es, wenn sich auch sein Herz durch den ganzen Körper ausbreitete, seine Muskeln von den Knochen krochen, seine Augen in den Kopf tauchten.

Der Nothebel fiel ihm ein – ein Griff und die Beschleunigung hört auf, er kehrt zur Erde zurück. Aber er verbiß sich diesen lockenden Gedanken.

Und dann ließ der Druck mit einemmal nach. Er konnte wieder fühlen, sehen, denken. Der Leuchtschirm vor ihm war schwarz, nur einzelne Lichtpunkte wanderten langsam darüber hinweg – die Sterne!

Die Anziehungskraft erlosch.

Obwohl er mehr wußte als alle vor ihm, die dasselbe mitgemacht und dabei versagt hatten, obwohl er die Eindrücke in Gelassenheit verarbeiten konnte, war das Gefühl überwältigend – das Gefühl des Schwerelosen, Unbegrenzten, Freien. Aber schon in die erste Begeisterung stahl sich ein Anflug von etwas Grauenvollem, das irgendwo versteckt in ihm lauerte. Dann versuchte er, sich ein wenig aufzurichten – und da stürzte dieses Grauen wie ein Hieb aus seinem Winkel hervor. Die Leere um ihn... der Abgrund! Es war kein Schweben mehr, es war ein Fallen. Es war ein Zusammenbrechen aller Orientierung, ein völliges Verlieren jeden Halts. Unendlichkeiten klafften auf, verschlangen ihn... Er trudelte tiefer, in eine dunkle Verlorenheit hinein. Es ist doch alles Täuschung, suchte er sich einzuhämmern, alles ist nur Täuschung... alles Täuschung...

Und irgendwie half es. Es gelang ihm, seine Hand zurückzuhalten, so oft sie sich zum Nothebel vortastete.

Er kämpfte diesen Kampf gegen sich selbst durch. Er ertrug es – 47 Minuten lang, die Zeit, die zu einer Umrundung der Erde vorgesehen war. Er beendete sein Abenteuer, ohne sich von seiner Hilflosigkeit restlos überwältigt haben zu lassen.

Als er sich mit wankenden Knien aus der Kabine stemmte, liefen sie auf ihn zu und gratulierten ihm.

»... haben bestanden«, rief der Chefkonstrukteur. »... erster haben Sie diese Prüfung bestanden. Es war ein letzter Test, den wir mit Ihnen vorgenommen haben. Alle Bewegungseindrücke wurden mit Zentrifugen und Fallmechanismen hervorgerufen. Im Fernseher haben wir einen Film ablaufen lassen. Recht wirklichkeitsnah, nicht? Aber Sie haben bestanden – nächste Woche können Sie wirklich starten!«

Er hatte es gewußt. Sein Freund unter den Ingenieuren hatte es ihm kurz vor Beginn verraten. Er konnte nicht lachen, nicht sprechen, nicht gehen. Er stand still und sah hinauf zu den Sternen, deren helle Kaskaden im Raum hingen. Er wußte es besser: Er hatte nicht bestanden.

Nach mir, dachte er, werden andere kommen – vielleicht steht denen der Weltraum offen. Ihnen wird er all das bieten, was uns bisher nur unsere Phantasie ahnen läßt. Für mich ist er zu groß. Für mich bleibt er ein Traum.

2

Schlag und Gegenschlag

Die Städte sind ausgestorben, ihre Einwohner tot. Aber noch ist etwas lebendig: die automatischen Verteidigungsanlagen. Ein Urinstinkt der Lebewesen, sich wehren, sich schützen, ist in toten Maschinen über die Zeit hinaus verankert, und ein kleiner Anstoß genügt, den Funken auszulösen.

Wie zwei Augen lagen die Kraterinseln inmitten des endlosen Meeres. Das Raumschiff sank langsam tiefer.

»Antwortet jemand auf deine Signale?« fragte Kai.

»Niemand«, murmelte Ben in seine Arbeit vertieft.

»... steuere einfach auf die Insel zu«, meinte Kai.

Die Kreise wuchsen. Gitterartige Linienzüge und Rechtecke wurden sichtbar. Sie füllten den Grund beider Krater dicht aus. Schließlich erstreckte sich der eine von beiden über den ganzen Bildschirm. Sein Durchmesser mochte 200 km betragen.

»Dort unten rührt sich nichts«, stellte Ben fest. Das Schiff erreichte eben die Gipfelhöhe des Kratergebirges – es befand sich etwa 20 km über dem Boden, auf dem jetzt Gebäude und Straßen deutlich erkennbar wurden –, als ein Ruck durch die Räume lief. Kai stoppte die Fahrt und beobachtete den Bildschirm, der die hinter ihnen liegende Region zeigte. Ben stellte auf ›nah‹ ein. Da sahen sie auch schon die Ursache: Sie hatten ein feines, silbrig glänzendes Netz durchstoßen.

»Hätte uns dieses Spinngewebe aufhalten sollen?« fragte Kai. Statt einer Antwort deutete Ben auf das Kanzelfenster. Unter ihnen wurde es lebendig. An mehreren Stellen der Riesenstadt stiegen schirmförmige Gebilde auf, die sich wie Medusen fortbewegten. Alle schlugen die Richtung gegen die zweite Kraterstadt ein.

Um ihren Flug beobachten zu können, lenkte Kai das Schiff wieder höher. Mehrere Reihen der Gebilde liefen mit steigender Geschwindigkeit über das Meer, einige waren schon über der zweiten Inselstadt. Dort hielten sie inne, schwebten einige Sekunden und fielen dann wie Säcke in das Häusermeer. Dort bewegte sich plötzlich etwas. Zwölf quaderartige Körper stiegen auf und zielten mit Parabelbahnen mitten in den ersten Krater. Hier sanken sie allmählich in die Tiefe. Dabei zogen sie sich ziehharmonikaartig zusammen und streckten sich wieder, und versprühten eine grünliche Flüssigkeit, deren Dämpfe sich träge über die Straße breiteten.

Das ging 48 Stunden so weiter. Immer neue Schirmgebilde fielen abwärts, ohne daß eine Wirkung sichtbar wurde, und immer von neuem regnete der grüne Nebel auf die Dächer. Dann war der Spuk vorbei.

»Sehen wir uns die grüne Masse an?« fragte Ben.

»Natürlich«, antwortete Kai. Mit größtmöglicher Vorsicht landeten sie im ersten Krater. Ben steckte eine Probe in ein luftdicht geschlossenes Röhrchen und untersuchte es. Kai lief im Raumanzug durch die Stadt, durchstreifte Straßen und Häuser und kehrte schließlich mit der Nachricht zurück, er hätte weder ein lebendes noch ein totes Wesen gefunden.