Einen Tag vorher hatte sich folgendes ereignet:
Im Arbeitszimmer seiner Villa in der Umgebung der Hauptstadt von Gamma verabschiedete der einflußreiche Geschäftsmann etwas abrupt seinen Gesprächspartner, als ihm das Eintreffen eines anderen Besuchers gemeldet wurde. Gleich darauf kam vom Hinterzimmer aus ein dunkelgekleideter Herr herein und setzte sich betont bescheiden auf die Kante eines Polsterstuhls.
»... habe eine interessante Aufgabe für Sie«, erklärte der Hausherr. »Im Raumschiff hundertneunzehn, das morgen startet, werden einige Akten nach Beta befördert. Ich bin daran interessiert, daß sie nicht ankommen. Wollen Sie das für mich erledigen?«
»... wem sind die Papiere?« fragte der Agent.
»... herauszufinden ist Ihre Sache«, meinte der andere.
»... wie stellen Sie sich die Lösung vor?«
»... Sie Ihre Aufgabe erfüllen, ist mir gleichgültig«, erklärte der Geschäftsmann. »... Tarif schlage ich dieselbe Summe vor wie letztesmal.«
»Einverstanden«, entschied der Dunkelgekleidete nach kurzem Besinnen. »... werden wie immer zufrieden sein.«
Ohne ein weiteres Wort verließ er den Raum.
31
Die Raupen
Die chemische Zusammensetzung der Luft unterschied sich kaum merklich von der der Erde. Aber auch winzige Abweichungen können entscheidende Verschiebungen in biologischen Abläufen mit sich bringen.
Das war Land, wie er es sich immer erträumt hatte. Wiesen von saftigem Grün, weite gefurchte Äcker, auf denen schwarze Erde zutage trat. Wälder aus Nadelbäumen, deren Wipfel sich im Wind wiegten. Nur selten sah man einen Menschen.
John konnte nicht verstehen, warum um diesen Planeten eine strenge Nachrichtensperre verhängt war. Wer einwanderte, durfte nie mehr zurück.
Sie standen am Fenster des Zwischendecks. Einen Arm hatte er um Anns Schulter gelegt. Das Schiff änderte jetzt seine Höhe nicht mehr. Die Landschaft glitt unter ihnen vorbei, immer gleich fruchtbar, immer gleich grün. Eine Farm kam in Sicht.
Beide dachten an die Erde mit ihren Riesenstädten, ihren schwebenden Wohnblocks, den mehrstöckigen hydroponischen Gärten, den Menschenmassen, denen man niemals entrinnen konnte.
Sie hätten sehr zufrieden sein können. Sie besaßen eine eigene kleine Wohnung, die Arbeit machte ihnen mehr Freude als Mühe, und die Leute der Farm verhielten sich freundlich. Die Anziehungskraft war fast dieselbe wie auf der Erde, und daß die Zusammensetzung der Luft von der gewohnten abwich, wußten sie nur aus Büchern. Es schien sich auf ihr körperliches Befinden nicht auszuwirken. Sie fühlten sich wohl. Und doch war etwas um sie, das sie nicht nennen konnten, etwas Geheimnisvolles, das man ihnen vorenthielt. Es war nicht nur das, daß sie das obere Stockwerk nicht betreten durften. Es lag auch an Gesprächen, die plötzlich verstummten, an Blicken, die ihnen nachwanderten.
Am Morgen des dritten Tages kamen die Raupen. John erwachte, weil ihn Ann wild an der Schulter rüttelte. Vor ihr auf der Bettdecke kroch etwas. Ein hellgrauer Körper pulsierte. Zwei knopfartige grüne Augen veränderten ständig ihre Richtung. Eine riesige, dicke Raupe, gut 40 cm lang. Und neben dem Schrank bewegte sich noch eine. John griff nach einem Stiefel und wollte auf das Wesen einschlagen. Da flog die Tür auf und der Farmer stürzte herein. Er schleppte einen Korb, hob die eine Raupe vorsichtig von der Bettdecke, die andere vom Fußboden, setzte sie hinein und verließ, ohne das Paar eines Blickes zu würdigen, den Raum.
John grübelte unablässig über das Erlebnis nach. Auf seine Fragen erhielt er Antworten, die keine Aufklärung gaben. Er tat, als wäre er damit zufrieden. Aber in der Mittagspause schlich er zum zweiten Stockwerk empor. Er fand ein Zimmer, in dem längs der Wand kleine Nester angeordnet waren. Auf jedem räkelte sich eine Raupe, einige klein, andere größer als die beiden vom Morgen.
John ging weiter. Er stand vor einer Tür, die versperrt war. Er steckte sein zusammengedrehtes Taschentuch durch den Bügel des Vorhängeschlosses und riß ruckartig daran. Das Schloß sprang auf, er öffnete die Tür. Es war ein kleiner Raum. Und fast leer. Nur in einer Ecke hing ein sackartiger Körper – der zusammengekrümmte, von weißem Gewebe umsponnene, aufgequollene Leib einer Raupe. John sah von Zeit zu Zeit ein Zucken darüber weglaufen. Dann glitt die graue Haut zentimeterweise, von längeren Pausen unterbrochen, hinunter, bis sie ganz abgestreift war und zu Boden fiel. Übrigblieb ein Bündel in Tropfenform, von einer matten, aber gut durchsichtigen Hülle zusammengehalten. Darin lag, zusammengekrümmt, leise zuckend und rosig, der Körper eines Kindes.
John ging weiter seiner Arbeit nach. Aber sie bereitete ihm keine Freude mehr. Auf die Fragen seiner Frau antwortete er ausweichend. Er dachte an die Grottenolme, die bei Temperaturen über vier Grad lebende Junge zur Welt bringen, bei Temperaturen darunter Eier legen. Ein Stamm von intelligenten Olmen, der seit Generationen in warmem Klima lebt, wüßte nur von den lebenden Jungen. So ähnlich erklärte er es sich. Wie aber sollte er es Ann beibringen?
32
Verwandlung
Die Fliege kommt nicht als Fliege zur Welt und der Frosch nicht als Frosch. Die Metamorphose im Tierreich ist die Regel, nicht die Ausnahme. Es gibt aber Tiere, die über den ersten Erscheinungstyp, die Larve, nicht hinauskommen. Die Umwelt, ihre klimatischen oder chemischen Einflüsse, ist schuld, wenn sie ihre Entwicklung nicht vollenden.
Es wunderte mich, daß mir Mac nicht entgegenkam. Er mußte doch die Stoppstöße meiner Rakete gehört haben.
Ich ging durch den Sand auf die Station zu. Das Raupenfahrzeug stand vor dem Lagerschuppen, eine dicke Staubschicht auf den Scheiben. Das war gar nicht die Art Macs. Hoffentlich war er nicht krank! Ich hätte ihn vor 14 Tagen wohl nicht allein vorausschicken sollen.
In der Glaskuppel des Beobachtungsstandes war niemand. Ich wandte mich zum Wohnblock. Die Tür stand offen, der Flügel schwenkte im Wind hin und her.
Als ich eintrat, flatterte mir ein Tier entgegen. Ich schoß sofort – gemäß den ungeschriebenen Gesetzen der Weltraumfahrt. Es fiel zu Boden: ein 60 cm langer Körper, halb Heuschrecke, halb Fledermaus, mit kurzen bunten Federchen überzogen.
Ich ging weiter. Macs Räume lagen da, als hätte er sie eben verlassen. Ein Becher Kakao stand auf dem Tisch, auf dem Nachtkästchen lagen Pfeife und Feuerzeug. Das Bett war zerwühlt, ein Bündel Kleider – darunter seltsamerweise sein Arbeitszeug – lag darauf. Darüber gestreut bemerkte ich Fetzen eines hautartigen Gewebes, deren Herkunft ich mir nicht erklären konnte.
In meinem Zimmer standen einige Gläser mit Spiritus, in denen Insekten schwammen. Mac mußte sie mir zum Untersuchen hergerichtet haben. Von ihm selbst keine Spur.
Ich machte mich daran, das Haus aufzuräumen, ich wusch den Wagen und setzte den Peilsender in Betrieb. Am Abend zog ich dem Tier, das noch an der Türschwelle lag, den Balg ab, stopfte es aus und stellte es in den Gemeinschaftsraum.
Am nächsten Tag suchte ich wieder nach Mac. Nichts. Ich war sehr niedergeschlagen, denn er war mein einziger Freund.
Es gab genug zu tun. Ich bohrte nach Wasser, untersuchte die Luft und analysierte einige rostrote, gurkenartige Früchte. Auch Mac mußte sich mit ihnen beschäftigt haben, denn ich fand im Labor unter dem Mikroskop einige Gewebeschnitte. Ich konnte nichts Verdächtiges an ihnen feststellen, sie enthielten die üblichen Elemente kohlenstofforganischen Gewebes, die rote Farbe kam von einer Verbindung, die dem Karotin verwandt war. Ich bereitete daraus Salat, der mir ausgezeichnet schmeckte.
Die Einsamkeit tat mir nicht gut. Ich dachte über die verschiedensten Dinge nach und gelegentlich ertappte ich mich dabei, daß ich laut zu mir selbst sprach. Manchmal hatte ich Anfälle von Müdigkeit und eines Tages bemerkte ich, daß meine Haut faltig wurde und einen klebrigen Stoff ausschwitzte, der bald erstarrte und hornige Überzüge bildete. Sie juckten, und ich kratzte sie mühsam weg. Ich schickte einen Funkspruch ab und bat um einen Arzt, aber ich wußte, daß vor einem halben Jahr mit keiner Antwort zu rechnen war.